Pius XI.: Spannendes Kapitel der Kirchengeschichte

Neue Einblicke in die Amtszeit von Pius XI. gab am 22. und 23. November eine Tagung an der Uni Wien. Im Zentrum standen die Verknüpfungen zwischen dem Vatikan und der europäischen Politik in der Zwischenkriegszeit.

„Pius XI., Österreich und die ‚kleinen katholischen Nationen‘ Europas“ lautete der Titel der international besetzten Tagung an der Universität Wien. Kirchenhistoriker, aus mehreren europäischen Ländern präsentierten ihre Forschungsergebnisse über eines der spannendsten Pontifikate der Geschichte – das Pius XI.

Papst Pius XI.

gemeinfrei / Pol.Wissensch. Verlag Berlin

Pius XI., mit bügrerlichem Namen Achille Ratti, wurde 1922 zum Papst gewählt. Er starb am 10. Februar 1939.

Öffnung der vatikanischen Archive

Ausgelöst hatte das „Forschungsfieber“ ursprünglich das weltweit beachtete „Mea Culpa“ Papst Johannes Pauls II. im Jahr 2000. „Mea Culpa“ bedeutet „Meine Schuld“; gemeint ist damit das Schuldeingeständnis der römisch-katholischen Kirche unter anderem für Judenverfolgung, Inquisition und verfehlte Glaubensurteile. Dieses „Mea Culpa“ hatte wiederum - sechs Jahre später - die Öffnung der vatikanischen Archive bis zum 10. Februar 1939 zur Folge – dem Ende des Pontifikats Pius XI.

Forscher aus aller Welt nützen seitdem die Chance und durchforschen die Archive des Vatikan, um die Geschichte der Jahre zwischen 1922 und 1939 näher unter die Lupe zu nehmen. Es gilt auch als Verdienst des Wiener Kirchenhistorikers Rupert Klieber wesentliche Forschungsergebnisse innerhalb dieser Tagung präsentieren zu können. Die Forscher der von ihn initiierten Tagung legten ihre Aufmerksamkeit auf das Verhältnis Roms zu den „kleinen katholischen Nationen“ Europas – zu denen auch Österreich zählte.

Der Vatikan und der Ständestaat

Pius XI., mit bürgerlichem Namen Achille Ratti, sah sich während seines Pontifikats mit enormen Herausforderungen konfrontiert. In seine Zeit fiel der Aufstieg des Kommunismus und des Hitlerfaschismus – kirchenfeindlicher Ideologien, aber auch autoritärer katholischer Regimes wie des christlichen Ständestaats in Österreich. Besonderes Interesse legten die Tagungsteilnehmer auf die Ergebnisse der Forschung über die Politik des Vatikan und seiner Einflussnahme mittels der Bischöfe auf den christlichen Ständestaat zwischen 1934 und 1938.

Paolo Valvo, ein italienischer Kirchenhistoriker aus Mailand, referierte über die Haltung des Papstes zum sogenannten Anschluss Österreichs 1938 an Hitler-Deutschland – besonders interessant in diesem Zusammenhang: Das legendäre Treffen zwischen Papst Pius XI. und dem Wiener Kardinal Erzbischof Theodor Innitzer. Im März 1938 hatte dieser eine wohlwollend-moderate Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus eingenommen und wurde darauf nach Rom zitiert. Dem damals schon kranken 80-jährigen Papst missfiel die Haltung des Wiener Kardinals. Er forderte von ihm eine Erklärung, über die genauen Umstände berichten die Quellen.

Paolo Valvo forschte auch in den Tagebüchern des Kardinalstaatsekretärs Eugenio Pacelli - der spätere Papst Pius XII.; dort ist in diesem Zusammenhang vom „beschämendsten Kapitel der Kirchengeschichte“ die Rede. Kardinal Theodor Innitzer musste sich von Papst Pius XI. einen regelrechten Zornesausbruch gefallen lassen. „Nehmen Sie endlich Ihre rosa Brille herunter“, berichten Quellen über Pius XI. Brandrede gegenüber Kardinal Innitzer.

Österreichischer Einfluss auf Anti-NS-Enzyklika

Ein weiteres Ergebnis der „Pius-Forschung“ präsentierte der Afrikanist und Kulturanthropologe Peter Rohrbacher. Er fand heraus, dass die Entstehungsgeschichte der päpstlichen Enzyklika „Mit brennender Sorge“ (sie bezieht sich auf die ablehnende Haltung des Vatikans gegenüber der Weltanschauung des Nationalsozialismus) auch nach Österreich führt, konkret ins Missionswerk der Steyler Missionare nach Mödling bei Wien.

Dort wirkte der renommierte Ethnologe Wilhelm Schmidt, der 1927 eine eigene „katholische Rassenlehre“ entwickelte, die der Rassenideologie der Nationalsozialisten diametral entgegengesetzt war („Die Seele kann nicht vererbt werden, sie ist jedes Mal neu von Gott vererbt“, schrieb Schmidt gegen die NS-Ideologie).

Bisher galten andere als „Spiritus Rector“, der Enzyklika, vor allem die „Societas Jesu“, die Jesuiten. Durch das Studium der vatikanischen Archive, aber auch des Archivs der Steyler Missionare in Mödling bei Wien muss nun auch Wilhelm Schmidt – er wurde 1925 wissenschaftlicher Kurator der vatikanischen Missionsausstellung – im Umfeld einer der bedeutendsten päpstlichen Enzykliken berücksichtigt werden. Nach dem so genannten Anschluss wurden die nationalsozialistischen Propagandisten auf ihn aufmerksam, der Vatikan ermöglichte ihm die Ausreise nach Rom und später in die Schweiz.

Politischer Katholizismus

Kirchenhistoriker aus anderen Ländern präsentieren ebenfalls die Ergebnisse ihrer Arbeit: Unter anderem Igor Salmiĉ. Der Slowene referierte über die Politik des Vatikan gegenüber dem jugoslawischem Königreich und den gescheiterten Versuch ein Konkordat mit dem Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen abzuschließen. Bruno Cardoso Reis aus Portugal präsentierte seine Recherchen über die Beziehungen zwischen dem autoritären Salazar-Regime und dem Vatikan.

Pius XI. vor Radiostation

dapd / AP

1931 nahm der Vatikan seine Radiostation in Betrieb. Pius XI. war damit der erste Papst mit einem eigenen Radiosender.

Norbert Spannenberger wiederum erforschte eine andere „kleine katholische Nation“ – Ungarn. Die Auswirkungen des „politischen Katholizismus“ im Nachbarland führten während der 1930-er Jahre zur Hoffnung mit Hilfe des Vatikan die Ergebnisse der ungarischen Gebietsverluste nach dem Ersten Weltkrieg zu revidieren.

Johann Weißensteiner vom Wiener Diözesanarchiv berichtete über die „Quinquennal-Relationen“, die Fünfjahresberichte – ein wichtiges Kommunikationsmittel zwischen den Österreichischen Bischöfen und dem Vatikan. Diese Berichte beinhalten die Themen, die damals die Diskussion in der religiösen Auseinandersetzung beherrschten: Sekten, Modernismus, Freimaurer, Mischehen und Sozialisten.

Viele Fragestellungen könnten allerdings erst – so die Forscher – beantwortet werden, wenn der Vatikan auch die Archive in der Zeit nach 1938 – also von Pius XII. - öffnet. Schließlich war Eugenio Pacelli bereits Kardinalstaatsekretär unter seinem Vorgänger.

Klaus Ther, religion.ORF.at