Die Kopten: Fester Bestandteil Ägyptens

Bei den Protesten der letzten Wochen hielten sich die Kopten im Hintergrund. Für die größte christliche Minderheit Ägyptens waren die letzten Jahrzehnten nicht nur einfach. Abseits der Berichte über Diskriminierung lässt sich aber auch eine gefestigte Kirche entdecken.

Ein Bub zieht mit verbunden Augen aus einem Glasgefäß eine Kugel mit einem Zettel darin. Dieses Bild ging am 4. und 5. November um die Welt und brachte Ägypten abseits von Demonstrationen oder politischen Machtkämpfen in die internationale Berichterstattung. Tawadros lautete der Name auf dem Zettel und die Kopten, Ägyptens mit Abstand größte und älteste Kirche, bekamen durch Losentscheid einen neuen Papst – mehr dazu: Bischof Tawadros neuer Papst der Kopten.

Land im Umbruch

Der studierte Pharmazeut Tawadros übernahm die Führung der ägyptischen Kirche zu keinem einfachen Zeitpunkt. Seit Hosni Mubarak im Februar 2011 nach kurzen, aber heftigen Protesten sein Präsidentenamt zurücklegte, befindet sich das Land am Nil in einem Prozess der Veränderung. Für ungültig erklärte Parlamentswahlen, Machtkämpfe zwischen Militär, Islamisten und Liberalen sowie die Machtallüren des interimistischen Präsidenten Mohammed Mursi prägten das Bild Ägyptens in den letzten beiden Jahren.

Bub zieht Namen von neuem Koptenpapst

dapd/Nasser Nasser

Per Los bestimmten die Kopten ihren neuen Papst - Tawadros II.

Ende November erreichten die Konflikte einen neuen Höhepunkt, als der aus der Muslimbruderschaft stammende Mursi sich und die verfassungsgebende Versammlung per Dekret de facto über die Justiz stellte. Inzwischen hat Mursi einige der heftig kritisierten Erlässe wieder zurückgenommen. Über die neue, ebenfalls umstrittene Verfassung soll dennoch am 15. und 22. Dezember vom Volk abgestimmt werden.

Die Frage der Scharia

Im Westen hört und liest man vor allem von der festen Verankerung der Scharia in dieser neuen Verfassung und der Gefahr der Islamisierung Ägyptens, die damit einhergehe. Nur eine säkulare Verfassung, so heißt es, könne den Christen in Ägypten die nötige Rechtssicherheit geben.

Doch die wenigsten Kopten wollen eine säkulare Verfassung. Das sagt zumindest Wolfram Reiss, Professor für Religionswissenschaft an der Universität Wien und verweist auf aktuelle Befragungen unter den Kopten. Der evangelische Theologe und Religionswissenschafter hat seine Dissertation über die Kopten geschrieben und selbst ein Jahr in Ägypten gelebt. Zwar haben die koptischen Vertreter die verfassungsgebende Versammlung aus Protesten über den starken Einfluss der islamistischen Salafisten mittlerweile wieder verlassen. Für viele Christen sei es aber durchaus in Ordnung, dass die Scharia in der Verfassung bleibt: „Den Kopten ist vor allem wichtig, dass ihnen selbst besondere Rechte zugestanden werden“, so Reiss.

Streben nach politischem Einfluss

Im Laufe der islamischen Geschichte Ägyptens hatten die Kopten auch tatsächlich besondere Rechte genossen. „In der Tradition Ägyptens war es etwa über Jahrhunderte überhaupt kein Problem, dass ein Großteil der Administration durch Christen besetzt war. Die sind sogar überrepräsentiert gewesen“, sagt der Religionswissenschafter.

Seit dem Ende der Kolonialzeit wandelte sich dieses Bild allerdings. Zwar war es in Ägypten weiterhin Tradition, dass eine bestimmte Anzahl von Parlamentssitzen Kopten vorbehalten war. Auch in den Regierungen waren immer Kopten vertreten. Dennoch stand der Vorwurf, dass die Christen von der britischen Kolonialmacht bevorzugt worden waren, im Raum. Das führte zu einer sukzessiven Verdrängung der Kopten aus öffentlichen Ämtern – eine Erfahrung, mit der sie laut Reiss noch immer zu kämpfen haben.

Protestierende koptische Frauen

dapd/Khalil Hamra

Mit lautstarken Protesten versuchen die Kopten ihre Rechte in Ägypten einzufordern.

Seit Jahrzehnten versuchen die Kopten wieder an politischem Einfluss zu gewinnen. Das schlägt sich auch in der Frage nach ihren Mitgliederzahlen nieder. Geht es nach der koptisch-orthodoxen Kirche, machen Kopten 20 Prozent der ägyptischen Gesellschaft aus – eine Zahl, die man halbieren, wenn nicht sogar vierteln kann, um die tatsächlichen Verhältnisse abzubilden. „Vermutlich beträgt der Anteil der christlichen Bevölkerung nur etwas fünf bis sechs Prozent. Die Kopten hören das nicht gerne. Denn das ist natürlich eine politische Zahl, mit der Forderungen nach gesellschaftlicher Repräsentanz verbunden sind“, sagt Reiss.

Boomender Kirchenbau

Vieles rund um die Kirche, die ihre Ursprünge auf den Evangelisten Markus zurückführt, erscheint schnell einmal politisch aufgeladen. In westlichen Medien tauchen die Kopten meist als eine unterdrückte Minderheit auf. Man liest davon, dass ihre Kirchengebäude angezündet werden, ihre Mitglieder Benachteiligung und sogar Verfolgung ausgesetzt sind. Eindrücke, die laut Religionswissenschafter Reiss aber nur eine Hälfte eines ambivalenten Bildes wiedergeben.

Brennende koptische Kirche

EPA/STR

Diese Koptische Kirchen wurde zum Ziel radikaler Anschläge. Danach wurde sie allerdings in sehr kurzer Zeit von der Armee wieder aufgebaut.

„Es gibt Kirchbauprobleme, mancherorts sogar große Probleme. Es wurden immer wieder Kirchen angezündet und mehrfach Christen bei Anschlägen ermordet“, bestätigt Reiss die Berichterstattung in den westlichen Medien. „Aber trotz aller Probleme hat die koptische Kirche in den letzten Jahrzehnten gleichzeitig eine enorme Bautätigkeit entwickelt.“ Eine Ursache dafür war die große Erneuerungsbewegung innerhalb der Kirche. Kinder-, Jugend- und Sozialarbeit machten neue Gebäude notwendig. „Jede Kirche hat heute eine kleine Bibliothek, jede Kirche hat ihre eigenen Versammlungsräume“, so Reiss.

Zahl der Bischöfe vervierfacht

Dazu kommt, dass unter dem letzten Papst Schenuda III. die bestehenden 14 Diözesen massiv geteilt wurden. Die Zahl der Bischöfe hat sich seit den 70er-Jahren vervierfacht. „Jeder Bischof, der neu eingesetzt wurde, ist als allererstes einmal daran gegangen, sich eine neue Bischofskathedrale zu bauen oder die vorhandenen Kirchen auszubauen“, benennt Reiss einen weiteren Grund für die vermehrte koptische Bautätigkeit.

Neben diesen innerkirchlichen Faktoren führten auch demographische Gründe zu Kirchenneubauten. Viele Christen zogen vom Land in die Städte. Christliche Familien verließen ihre angestammten Wohngebiete und siedelten sich in Vierteln und Städten an, die zuvor rein muslimisch waren. Vor allem hier kam es dann zu Konflikten.

Alte Vorschriften

Immer wieder liest man davon, dass die bestehenden Gesetze den ägyptischen Christen das Bauen von neuen Kirchen schwer, wenn nicht gar unmöglich machen. Für Reiss sind es allerdings weniger die bestehenden Gesetze als deren Umsetzung durch die lokalen Behörden, die Probleme bereitet. Bei dem oftmals angeprangerten Gesetz handelt es sich um eine Verordnung aus dem Jahr 1856, also noch aus osmanischer Zeit - die sogenannte „Hamayouni-Schrift“. Das osmanische Gesetz wurde 1934 durch den stellvertetenden Innenminister Azabi Pascha bestätigt und mit zehn Punkten erläutert. Diese sollen bei jedem Kirchbauprojekt durch die lokalen Behörden überprüft werden, bevor es zur Vorlage beim Staatsoberhaupt kommt. So ist etwa zu klären, wem das Grundstück gehört, wer die Anrainer sind und welche öffentlichen Gebäude sich in der Nachbarschaft befinden.

„Das sind Fragen, die in dieser oder ähnlicher Weise auf der ganzen Welt bei einem Antrag von religiösen Bauten gestellt werden“, sagt Reiss. Das Problem ist, dass nicht klar geregelt ist, wie die lokalen Behörden diese Fragen interpretieren können. Das führte oftmals zu jahrelangen Verzögerungen der Verfahren und verleitete die Kopten dazu, Kirchen immer wieder ohne Genehmigung zu errichten. „Wenn die Kopten die behördlichen Methoden dann auch noch im Ausland angeprangert haben und von dort Vorwürfe zurück an Ägypten kamen, hat das die Konflikte zusätzlich verschärft. So ist die Situation immer wieder eskaliert“, fasst Reiss die Problematik zusammen.

Gesellschaftliche Konflikte

Von einer verfolgten Kirche möchte der Religionswissenschafter nicht sprechen. Die Kopten genössen nämlich durchaus eine Vielzahl an Rechten. Das Christfest wurde in Ägypten als Feiertag festgesetzt. Christen sind zu den hohen Feiertagen zum Gottesdienstbesuch von der Schule und der Arbeit befreit. Es gibt eine eigene christliche Presse und seit Jahren werden Gottesdienste im Fernsehen und Radio übertragen. Auch in die innerkirchlichen Angelegenheiten, wie Bischofswahlen oder Priesterernennungen, mischt sich der Staat nicht ein. „Bei den Muslimen selbst ist das nicht immer der Fall. Imame erhalten sehr viel schwieriger eine Lizenz und ihre Tätigkeit wird kontinuierlich kontrolliert. Auch in die inneren Angelegenheiten der Moscheegemeinden mischt sich das Ministerium für Religiöse Stiftungen seit den 90er Jahren direkt ein“, so Reiss.

Mursi bei Christfest-Gottesdienst

dapd/Maya Alleruzzo

Am 6. Jänner war Mohammed Mursi - damals noch nicht Präsident - einer der vielen Gäste, die den koptischen Christfest-Gottesdienst in der Kairoer Kathedrale besuchten.

Das darf natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Christen als Minderheit immer wieder unter dem Druck der Mehrheit zu leiden haben. Wie auch nicht zu leugnen ist, dass eine Konversion zum Christentum für einen Muslim sehr unangenheme folgen haben kann. Der Übertritt ist zwar vor dem Gesetz nicht strafbar. Der Konvertit verliert aber in der Gesellschaft viele Rechte und wird oft Opfer von Lynchjsutiz. Wer zum Islam übertritt, muss solche Folgen nicht fürchten und steht sogar unter staatlichem Schutz. Zu Spannungen zwischen den Religionen führt aber jede Art von Religionsübertritt.

In Zeiten des Umbruchs und der Unsicherheit brechen solche religiös überlagerten Konflikte dann oftmals offen aus. So wurden in der Zeit nach dem Sturz Mubaraks christliche Kirchen vermehrt zum Ziel von Angriffen radikaler Gruppen. „Das hat aber nicht nur die Christen betroffen. Es sind zum Beispiel auch Sufi-Moscheen angegriffen worden“, rückt Reiss das Bild etwas zurecht. „Alte Rechnungen, die man schon immer begleichen wollte, konnten jetzt in einer Zeit der Instabilität eingelöst werden“, sagt Reiss.

Starke Identität

Die Unsicherheit lässt zurzeit viele Kopten an Auswanderung denken. Allerdings ist das kein neues Phänomen. In den letzten 70 Jahren wagten immer wieder koptische Christen den Schritt ins Ausland. 1,5 Millionen Kopten leben mittlerweile laut der Stiftung Pro Oriente im Ausland – eine starke koptische Diaspora.

„Da die Kopten in Ägypten oftmals gute Kontakte ins Ausland haben, gelingt es ihnen dann auch leichter, in Amerika, Australien oder Europa ein Visum zu bekommen“, sagt Reiss. Riesige Emigrationswellen hält er dennoch für sehr unwahrscheinlich. „Die Kirche wird diese Konflikte jetzt auch überstehen. Die koptische Identität, das Bewusstsein, dass man zu einer besonderen Gemeinschaft gehört, ist in den letzten Jahrzehnten eher noch gestiegen“, so Reiss.

„Es gibt eine intensive Kinder- Jugend- und Gemeindearbeit. Klöster- und Diakonissenorden haben großen Zulauf. Viele wollen Priester werden und Tausende junger Leute engagieren sich in der Kirche. Das können viele traditionelle Kirchen nicht von sich behaupten“, zeichnet der Religionswissenschafter das Bild einer lebendigen Kirche. Er stellt sich damit gegen so manche Hiobsbotschaft, die bereits ein nahes Ende der Kopten in Ägypten an die Wand malt. Sollte er Recht haben, dann werden die Kopten dem Land am Nil, mit dem sie eine fast 2000 Jahre alte Geschichte verbindet, auch in der Zukunft erhalten bleiben.

Martin Steinmüller, religion.ORF.at

Link:

  • Pro Oriente (www.pro-oriente.at)