Internationale Pressestimmen zu Papst-Rücktritt

Internationale Tageszeitungen kommentieren am Dienstag den Rücktritt von Papst Benedikt XVI. Die Bandbreite im Blätterwald reicht von Spott bis Bewunderung.

„Tagesspiegel“ (Berlin):

„So gelang es dem Mann, der sich doch einen höchst politischen Namen als Papst gab - Benedikt als Friedensstifter und Europa-Förderer - dann nie, das Wesen der Politik zu fassen. Weltlicher Politik. Er geriet bei der Ablehnung der Homosexuellen-Ehe sogar in die Niederungen der italienischen Innenpolitik. Kirchenpolitik allerdings verstand dieser Papst sehr wohl, und nicht zuletzt, sie zu betreiben. (...) Lenkende Hand der Kirche bereits zu der Zeit, hart und durchsetzungsstark an den über Jahrtausende exerzierten Regeln festhaltend; konservativ und traditionell und leider abgewandt von dem, was ihn als jungen Konzilstheologen vielleicht einmal beseelt haben mag.“

„Liberation“ (Paris):

„Woran mag ein Papst denken? Es ist ein seltsamer Beruf im 21. Jahrhundert. Er lebt in einem Zwergstaat, einem Fürstentum, und übt eine Macht aus, von der Machiavelli im 16. Jahrhundert sagte, sie sei eine Ausnahme in der Vielfalt der Formen politischer Macht. Woran mag ein Papst denken in seinen seltsamen Kleidern und seinem eigens für ihn konstruierten Fahrzeug, ein Papst, der fließend Latein spricht und gleichzeitig ein Twitter-Konto hat, um zeitgemäß zu sein? Man wird niemals wissen, ob Benedikt XVI. der körperlichen oder der metaphysischen Erschöpfung nachgegeben hat. Ob sein Körper nicht mehr die erforderliche Kraft für das Amt aufbringt. Oder ob die Seele nicht mehr glaubt, ob durch die unausweichliche Verweltlichung Zweifel entstanden sind, was vielleicht auch einem Papst passieren kann.“

„de Volkskrant“ (Amsterdam):

„Es ist gut, dass Benedikt XVI. nun Platz macht für einen neuen, am liebsten jüngeren Papst. Denn allen Unzulänglichkeiten zum Trotz wächst die Mitgliederzahl der Kirche, der ältesten Institution der Welt, noch stets. So unwahrscheinlich sich das aus westeuropäischer Perspektive auch anhören mag. Dies verlangt neuen Elan. Die Kirche befindet sich in einer neuen Phase und blüht vor allem außerhalb Europas. Es wäre angebracht, wenn der künftige Papst zum Symbol und Gesicht davon würde.“

„De Standaard“ (Brüssel):

„Seinen Rücktritt hat sich Papst Benedikt XVI. gut überlegt. Jetzt, wo er seine physischen und mentalen Kräfte schwinden sieht, führt er beim Abschied und bei der Regelung der Nachfolge selbst die Regie. Papst Johannes Paul II. hatte Joseph Ratzinger, um sein Erbe zu sichern. Ratzinger muss das als Papst für sich selbst tun, denn Intrigen im Vatikan deuten darauf hin, dass seine Macht bröckelt. Als er mit 78 Jahren antrat, sah man ihn als Übergangspapst. So kam es auch, doch er kann immer noch dem nun folgenden Pontifikat seinen Stempel aufdrücken. Dann wäre er das Bindeglied zwischen Johannes Paul und dessen eigentlichem Nachfolger. Das sollte jemand werden, der den Einfluss der Kirche in der Welt wieder stärkt und zugleich Ordnung in die verborgenen Finanzangelegenheiten des Vatikans bringt.“

Internationale Zeitungen an einem Kiosk

REUTERS/Kevin Coombs

Die internationalen Tageszeitungen waren am Dienstag voll von Berichten über den Rücktritt von Papst Benedikt XVI.

„The Times“ (London):

„In der sozialen Ethik hat der Papst es abgelehnt, die Lehren der Kirche über die Verteilung von Kondomen zu erneuern, um die Verbreitung von Aids zu verhindern. Durch diese Haltung wird menschliches Leid fortgesetzt, besonders in südlichen Ländern. Aus diesen Gründen wäre es wünschenswert, wenn der Nachfolger Benedikts beispielsweise aus Afrika käme. Das Pontifikat von Benedikt erscheint wie die Zwischenregierung eines Führers der Christenheit, dessen intellektuelle Fähigkeiten seine körperliche Stärke weit in den Schatten stellten. Wenn der neue Papst die Energie von Johannes Paul II. und den Reformgeist von Johannes XXIII. mitbrächte, könnte er eine Neuzeit für die Kirche und ihre moralische Autorität einleiten.“

„Politiken“ (Kopenhagen):

„Der Ruhestand sei dem bald 86 Jahre alten Papst Benedikt gegönnt. Andere sollen sein geistiges Format, sein Vermögen als Theologe und seine weitere Leistung als Nachfolger des Heiligen Petrus beurteilen. Aber mit rein weltlichem Blick betrachtet, gibt es nicht viel Grund, dem Papst zu danken. Ratzinger wollte die Kirche nicht erneuern. (...) Auch nach innen war er ein ausgekochter Konservativer. (...) Man muss hoffen, dass das bevorstehende Konklave den Mut hat, einen Mann zu wählen (...), der die Kirche öffnen und modernisieren kann. Und der veraltete Dogmen abschaffen kann, die die katholische Kirche zu einem Anachronismus werden lassen könnten.“

„Wedomosti“ (Moskau):

„Papst Benedikt XVI. geht nicht nur wegen seines Wirkens in die Geschichte ein, sondern auch wegen seines Rücktritts. Wie jedes geschlossene System mit Hierarchien kommt auch der Vatikan nicht ohne Intrigen aus. Und wahrscheinlich wird es nun viele Versionen über die Hintergründe seines Rücktritts geben. Im Kampf um Macht und Einfluss aber hat der Papst seine Antwort gegeben: Als Vorbild verzichtet er auf einen Machtkampf. Er tut, was er tun muss - und setzt damit ein Beispiel für künftige Päpste.“

„Neue Zürcher Zeitung“:

„Die vielen positiven Stellungnahmen (zur Rücktrittsankündigung von Papst Benedikt XVI. in Deutschland) können nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Papst vielen Menschen in seinem Heimatland fremd blieb. In Deutschland wich die Freude über die erste Wahl eines Deutschen zum Papst seit fast 500 Jahren im April 2005 rasch einer Ernüchterung. Fast zu einem Desaster für das Bild Benedikts XVI. entwickelten sich die Vorgänge um die Wiederaufnahme der Piusbruderschaft in die katholische Kirche Anfang 2009. Als zeitgleich mit dieser Entscheidung ein Interview bekannt wurde, in dem Richard Williamson, Bischof der Pius-Brüder, den Holocaust leugnete, herrschte in deutschen Medien und auch unter Politikern wochenlang helle Empörung.“

„El Pais“ (Mardrid):

„Das ist ein Beweis für die Erneuerungskraft, die manchmal aus der striktesten Orthodoxie und der Rückkehr zu den Prinzipien erwächst. Selbst die Ankündigung des vorzeitigen Rücktritts ist ein eindeutiges Verantwortungssignal an eine veraltete Kurie. Wie er (Benedikt) in seiner Abschiedsmitteilung - einer Offensive von Modernität in einem mehr als traditionellen Raum - selbst sagt: Es ist zu hoffen, dass die Kardinäle den neuen Papst weise wählen. Auf dem Spiel steht dabei die Zukunft einer Kirche, die heute in der Krise steckt und in Fortschrittsfeindlichkeit verharrt.“

„Trud“ (Sofia):

„Der Heilige Vater verzichtet auf den Heiligen Stuhl - aus gesundheitlichen Gründen. Diese Formulierung weckt Zweifel, da es sich um eine beispiellose Handlung in der jüngsten Geschichte handelt! Wäre es nicht möglich, dass der Rücktritt wegen eines Kirchenstreits erfolgt? Oder wegen der Pädophilen-Skandale? Das Erste wäre sehr verwunderlich, da es dann irgendwo und irgendwann Informationen über Streitigkeiten oder eine Verschwörung gegeben hätte. Das Zweite ist als Grund für einen derartigen Schritt zu wenig. Auch Druck von Außen wäre möglich. (...) Doch aus dem Römischen Reich weiß man, dass es leichter ist, etwas mit einer Gegebenheit zu vollziehen. (...) sodass die angeschlagene Gesundheit vorerst wohl der eigentliche Grund ist.“

„Rzeczpospolita“ (Warschau):

„Ist diese Entscheidung ein Beweis für Mut oder im Gegenteil Flucht vor der Verantwortung? Es ist ein schwieriges Dilemma, aber im Fall eines Menschen, der die Last der Verantwortung für Millionen Gläubige trägt, nicht anders zu bewerten als ein Zeichen von Mut. Wieviel leichter wäre es, mit dem Gefühl der Ratlosigkeit und schwindenden Kräfte zu bleiben. Wieviel schwerer ist es, die höchste Würde in der Kirche aufzugeben und in andere Hände zu legen. Vor allem, wenn die persönliche Perspektive die völlige Isolierung abgeschnitten von der Welt in einem Kloster ist.“

„Lietuvos rytas“ (Vilnius/Riga):

"Die katholische Kirche hatte bislang noch keinen päpstlichen Rentner. Jetzt wird sie einen haben. Am 28. Februar, Donnerstagabend, wird der 85 Jahre alte Joseph Ratzinger das Amt als Papst niederlegen. Die Ewige Stadt war gestern fassungslos. Rom rang zwei bis drei Stunden um Luft, als es den Kern der Nachricht begriff, die der lateinische Ausdrucks „non possum“ beschreibt - Ich kann nicht mehr. Der 11. Februar wird in die Geschichte der Kirche eingehen, weil Papst Benedikt XVI. der erste Nachfolger des Apostels Petrus ist, der laut und deutlich aussprach: „Ich kann nicht mehr".“

religion.ORF.at/APA

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