Freiwilliges „Gefängnis“ oder „Schatten-Papst“?

Nach der Rücktrittsankündigung von Benedikt XVI. melden sich immer mehr Theologen zu Wort. Während Ratzinger-Schüler Wolfgang Beinert einen Alt-Papst im selbst gewählten „Gefängnis“ erwartet, befürchtet Kritiker Hans Küng einen „Schatten-Papst“.

Der letzte Lebensabschnitt von Joseph Ratzinger nach seinem Rücktritt als Papst beschäftigt am Donnerstag Theologen, kirchliche Persönlichkeiten und Vatikanisten. Der emeritierte Regensburger Dogmatiker und Ratzinger-Schüler Wolfgang Beinert etwa rechnet damit, dass sich Benedikt XVI. im Ruhestand nicht mehr öffentlich äußern wird. „Joseph Ratzinger geht jetzt gleichsam in ein Gefängnis“, sagte Beinert am Donnerstag gegenüber der deutschen katholischen Nachrichtenagentur KNA in Pentling (Bayern).

Der Theologe Wolfgang Beinert

ORF

Der Theologe und Ratzinger-Schüler Wolfgang Beinert rechnet mit einem Alt-Papst im selbstgewählten „Gefängnis“

Bestimmt werde Benedikt noch weiter schreiben, so Beinert. Aus „Klugheit“ werde er aber seine kommenden Werke der posthumen Veröffentlichung überlassen. Für eine Bilanz der Amtszeit von Benedikt XVI. ist es nach Ansicht des Theologen noch zu früh. Ein noch nicht gehobener Schatz seien aber seine Enzykliken, vor allem „Deus caritas est“. Der Text enthalte „Sprengpotenzial“: „Wenn das explodiert, wird sich etwas ändern.“ In der Folge könnte dann die Kirche nicht so bleiben, wie sie ist. Momentan aber hätten noch nicht alle dies wahrgenommen.

Mit dem Nachfolger von Benedikt XVI. hat Beinert schon jetzt Mitleid. Denn die Kirche stehe an einem Scheideweg. Wenn sie den seit 200 Jahren gängigen „antimodernistischen, antireformerischen und regressiven Kurs“ fortsetze, werde sie weiter an Bedeutung verlieren.

„Keine Bücher mehr“

Anderer Meinung ist der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Alois Glück. Gegenüber der „Welt“ meinte er, Benedikt werde mit dem Schreiben aufhören. Der Papst wird sich nach Einschätzung des ZdK-Präsidenten nach seinem Rücktritt ganz aus der Öffentlichkeit zurückziehen, „um nicht ein konkurrierender Kristallisationspunkt zu seinem Nachfolger zu werden“. Aus diesem Grund werde er vermutlich auch keine Bücher mehr schreiben.

Das in zwei Wochen endende Pontifikat bewertet Glück als „durchwachsen“. „Was Papst Benedikt programmatisch sehr mutig formuliert hat, wurde oft nicht verwirklicht, aus welchen Gründen auch immer.“ Das Zentralkomitee habe gehofft, dass der Papst die Rolle der Laien in der Kirche stärker betone, etwa bei seiner Deutschlandreise 2011. „Doch das hat er nicht getan.“ Bei der großen Mehrheit der deutschen Laien gebe es Wünsche und Hoffnungen auf Weiterentwicklungen in der Kirche, die Benedikt XVI. nicht teile. Es müssten alle Strukturen, Ämter und Verhaltensweisen daraufhin untersucht werden, ob sie den Menschen von heute die christliche Botschaft näherbrächten, so Glück.

Papst Benedikt XVI., umringt von Priestern und Bischöfen, dreht der Kamera den Rücken

REUTERS/Max Rossi

Die Rolle, die Benedikt XVI. in Zukunft einnehmen wird ist noch unklar

Küng für Altersbeschräkung

Der Tübinger Theologe Hans Küng forderte in der „Passauer Neuen Presse“ (Donnerstag) eine Altersgrenze für Päpste. „Es wäre gut, wenn die Altersbeschränkung für Bischöfe auf 75 Jahre, die das Zweite Vatikanische Konzil beschlossen hat, auch für den Bischof von Rom gelten würde“, sagte Küng. Das Papstamt sei damals aber bewusst ausgenommen worden, damit nicht der gesamte Vorschlag abgelehnt werde. „Aber jetzt wäre es an der Zeit, die Altersregel auch für den Bischof von Rom gelten zu lassen.“

Die Rücktrittsankündigung sei „für diejenigen, die den Papst sozusagen als ‚Vizegott‘ auf Erden betrachtet haben“, eine wertvolle Entmythologisierung, erklärte der Theologe weiter: „Man realisiert, der Papst ist ein Mensch und bleibt ein Mensch, und sein Amt ist kein Sakrament und daher auf Zeit gegeben.“

Der Theologe Hans Küng

EPA/Jens Kalaene

Hans Küng fordert eine Altersbeschränkung für künftige Päpste und befürchtet einen „Schatten-Papst“

Gefahr eines „Schatten-Papstes“?

Gleichzeitig kritisierte Küng die Entscheidung von Benedikt XVI., weiter im Vatikan zu wohnen. Es bestehe die Gefahr eines „Schatten-Papstes“. Küng: „Ich hätte vorgezogen, er würde in seine bayerische Heimat zurückgehen. Da würde ich ihn dann jederzeit gerne aufsuchen.“ Küng äußerte die Hoffnung, dass der scheidende Papst im neuen Pontifikat keine Rolle spielen werde. „Ansonsten könnte es zu einer gefährlichen Polarisierung zwischen Anhängern des neuen und des alten Papstes kommen. Das würde eine einheitliche Regierung der Kirche unmöglich machen“, sagte der Schweizer.

Der neue Papst sollte seiner Ansicht nach nicht zu alt, aber auch nicht zu jung sein. „Ein langes Pontifikat würde zur Versteinerung der Kirche führen“, so Küng. Die Herkunft des neuen Papstes sei nicht wichtig. Essenzieller sei, dass der neue Papst nicht zu „römisch“ werde. „Ratzinger stammte nicht aus Rom, doch letztendlich war er der römischste unter den Römern und in der Kurie“, sagte der Theologe.

religion.ORF.at/APA/KAP

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