Der Papst, der zurücktrat

Benedikt XVI. war letztlich doch der „Übergangspapst“, als der er kurz nach seiner Wahl gesehen wurde. Dennoch wird er in die Geschichte eingehen - als der Papst, der zurücktrat.

Benedikt XVI. war nicht der Erste. Schon vor ihm gab es Päpste, die aus freien Stücken ihr Amt niederlegten. Und doch: Sein Rücktritt nach einem knapp achtjährigen Pontifikat am 28. Februar 2013 wird in die Geschichte eingehen - vor allem, weil er durch die moderne Mediengesellschaft der erste gut dokumentierte Rücktritt eines Papstes sein und bleiben wird. Die Erinnerungen an Benedikts XVI. Theologie, an die zahlreichen Pannen etwa im interreligiösen Dialog, an seine Enzykliken und Dekrete werden wohl verblassen im Vergleich zu jener an das denkwürdige Ende seiner Amtszeit.

Papst Benedikt XVI. verlässt nach einer Generalaudienz seinen Stuhl und kehrt der Kamera den Rücken

REUTERS/Stefano Rellandini

Das Ende seines Pontifikats mit dem überraschenden Rücktritt wird das Bild Benedikts XVI. in Zukunft wohl entscheidend prägen

Mit Joseph Ratzinger bestieg 2005 ein Mann gehobenen Alters den Papstthron, der sein Leben lang eher Lehrer als Manager war. Wie ein roter Faden zieht sich dieser Befund durch sämtliche Würdigungen, die dieser Tage veröffentlicht werden. Benedikt XVI. sei ein standhafter Bewahrer der kirchlichen Lehre gewesen, heißt es etwa, ein brillanter Theologe, ein großer Denker, aber kein Papst, der die Kirche wirklich zu führen vermochte.

Lehrer, nicht Manager

Der australische Kardinal George Pell bezeichnete den Rücktritt kürzlich als „besorgniserregenden Präzedenzfall“. „Leute, die etwa mit dem künftigen Papst nicht einer Meinung sein werden, könnten eine Kampagne starten, um ihn zum Rücktritt zu bewegen“, argumentierte er. Gleichzeitig bezeichnete Pell den scheidenden Papst als einen „brillanten Lehrer“, zu dessen „starken Seiten“ allerdings nicht „das Regieren“ gehört habe.

Schon als Präfekt der Glaubenskongregation - Ratzinger bekleidete dieses Amt fast ein Vierteljahrhundert - wurde er immer wieder kritisiert. Als „Panzerkardinal“ oder auch „Inquisitor“ wurde er etwa bezeichnet. Schon als Papst Johannes Paul II. ihn 1981 in dieses Amt holte, ließ Kardinal Ratzinger wissen, dass Nachrichten aus Rom nicht immer angenehm sein würden.

Papst Benedikt XVI. fährt im Papamobil durch eine verschwommene Menschenmenge

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Papst Benedikt XVI. war nie ein Mann der großen Auftritte, sondern eher ein zurückgezogener Denker

Von entscheidenden Schritten, die nicht das Lehrgebäude, sondern die Organisation Kirche betreffen, ist am Ende dieses Pontifikats höchstens dann die Rede, wenn es um Versäumnisse geht. Eine Kurienreform, wie sie von vielen Seiten seit Jahren gefordert wird, wagte Benedikt XVI. beispielsweise nicht. Kardinal Pell sprach auch das in seinem Interview an, in Bezug auf den zu kürenden Nachfolger: „Er muss seine Theologie kennen, aber ich denke, ich bevorzuge jemanden, der die Kirche führen und zusammenhalten kann.“

Benedikt XVI. hatte die Organisation, das Unternehmen Kirche immer in den Hintergrund gestellt. In seiner Abschiedsrede bei der letzten Generalaudienz am Mittwoch wurde das erneut spürbar: Hier - bei der Audienz auf dem Petersplatz - lasse sich mit Händen greifen, was die Kirche in Wirklichkeit sei, so der Papst: „Keine Organisation, kein Verband mit religiöser oder humanitärer Zielsetzung, sondern ein lebendiger Leib, eine Gemeinschaft von Brüdern und Schwestern im Leib Christi“.

„Ein einfacher, kleiner Arbeiter“

„Ich bin doch nur ein einfacher, kleiner Arbeiter im Weinberg des Herrn“, hatte Benedikt XVI. kurz nach seiner Wahl zum Papst erklärt - ein Indiz für die Bescheidenheit, die ihn durch seine gesamte Amtszeit führen sollte. Anders als sein Vorgänger Johannes Paul II. war Benedikt XVI. kein Mann der großen, emotionalen Auftritte, sondern blieb immer der zurückgezogene, introvertierte Professor.

Auch in der Generalaudienz brachte Benedikt XVI. seinen Amtsantritt zur Sprache: „In diesem Moment fragte ich mich innerlich: Herr, warum verlangst du das von mir? Und was genau verlangst du? Das ist eine große Last, die du mir auf die Schultern legst. Aber wenn du mich darum bittest, dann werde ich auf dein Wort hin das Netz auswerfen - mit der Sicherheit, dass du mich trotz all meiner Schwächen führst.“

Papst Benedikt XVI. bei winkt bei seinem ersten Auftritt nach dem Konklave 2005 vom Balkon

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„Herr, warum verlangst du das von mir?“, habe er sich innerlich nach dem Konklave 2005 gefragt, sagte Benedikt XVI. bei seiner letzten Generalaudienz

„Keine Privatsphäre mehr“

Überhaupt lässt Benedikts XVI. Abschiedsrede tiefe Einblicke in seine persönlichen Gedanken zu. Von seinem Amtsantritt an sei er „völlig und für immer im Einsatz für den Herrn“ gewesen. „Immer - wer den Petrusdienst übernimmt, hat keine Privatsphäre mehr. Er gehört immer und völlig allen, der ganzen Kirche. Seinem Leben wird sozusagen die private Dimension völlig genommen. Aber ich konnte erfahren und erfahre es genau jetzt, dass einer das Leben gewinnt, wenn er es gibt.“

Diese völlige Hingabe, so Benedikt XVI., ende auch nicht mit seinem Rücktritt. „Ich kehre nicht ins Privatleben zurück, in ein Leben der Reisen, Begegnungen, Empfänge, Konferenzen usw. Ich verlasse nicht das Kreuz, ich bleibe auf eine neue Weise beim gekreuzigten Herrn“, sagte er - wohl auch im Hinblick auf kritische Stimmen aus Polen, die ihm vorgeworfen hatten, er sei nicht bereit, das Kreuz des Amtes im hohen Alter zu tragen, wie das Johannes Paul II. getan hatte.

Rücktrittsankündigung im kleinen Kreis

In das Bild des öffentlichkeitsscheuen, traditionsbewussten Papstes passt auch die Art und Weise, wie Benedikt XVI. seinen Rücktritt verkündete - nicht in einer großen Pressekonferenz oder vor Tausenden Gläubigen, sondern in einer Ansprache an die Kardinäle, die er noch dazu in lateinischer Sprache vortrug.

Abgesehen vom seinem Rücktritt wird Benedikt XVI. auch durch seine Publikationen in Erinnerung bleiben. Sowohl seine Jesus-Trilogie als auch seine Enzykliken wurden unter Theologen weitgehend positiv rezipiert. Was sein Bild in der Öffentlichkeit angeht, wird Benedikt XVI. in Zukunft wohl vor allem mit negativen Schlagzeilen - wie zum Beispiel über die „Vatileaks“-Affäre, die Piusbrüder, den Umgang mit den Missbrauchsskandalen oder die „Regensburger Rede“, die in der muslimischen Welt für Aufregung sorgte - in Verbindung gebracht werden.

Positives oft ausgelassen

Vieles von dem, was Benedikt XVI. positives Medienecho einbrachte, tritt schon jetzt in Analysen und Zusammenfassungen immer wieder in den Hintergrund: die Annäherung an die Orthodoxie und die anglikanische Kirche, überwiegend positiv bewertete Papst-Besuche, zum Beispiel in Großbritannien, der Türkei oder im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz, erfolgreiche Massenveranstaltungen wie die Jugendtage in Köln und Sydney und auch die Antwort von 138 islamischen Gelehrten auf die „Regensburger Rede“, die den Beginn einer neuen Plattform des katholisch-islamischen Dialogs markierte.

Die Beziehungen Benedikts XVI. zum Judentum und zum Protestantismus werden zwar immer wieder beleuchtet, allerdings überwiegen auch hier die negativen Bewertungen. Wenn es um das Judentum geht, ist zum Beispiel öfter von der umstrittenen Karfreitagsfürbitte die Rede, als etwa von Aussagen wichtiger jüdischer Persönlichkeiten, die Benedikt XVI. als einen wichtigen Impulsgeber im interreligiösen Dialog würdigen.

Vermutlich wird sich erst im Vergleich zum Kurs des neuen Papstes zeigen, mit welcher Konnotation Benedikt XVI. in diesen Belangen in Erinnerung bleiben wird - und überhaupt wird man einige Jahre, wenn nicht Jahrzehnte warten müssen, um sicher sagen zu können, was von diesem Pontifikat übrig bleibt. Dass Benedikt XVI. einen fixen Platz in der Kirchengeschichte haben wird, scheint allerdings gewiss: Als erster „Papa emerito“ der Neuzeit, als der Papst, der zurücktrat.

Religion.ORF.at

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