Eine globale Kirche in vielerlei Gestalt

Den neuen Papst erwartet eine vielgestaltige Kirche im Wandel. War die katholische Kirche lange Zeit von Europa und Nordamerika geprägt, gewinnen die Länder des Südens immer stärker an Gewicht.

„Die Katholiken werden im 21. Jahrhundert die Fähigkeit brauchen, ganz neue Vorstellungen darüber zu entwickeln, was die Kirche ist und was sie aus ihrem Glauben machen soll“, schreibt John L. Allen, Vatikan-Korrespondent für die Zeitung „National Catholic Reporter“, in seinem Buch „Das neue Gesicht der Kirche“. Die Frage, was die katholische Kirche ausmacht und wofür sie steht, mag eine ständige Begleiterin für katholische Christen sein. In Zeiten einer Papst-Wahl rückt sie noch einmal verstärkt ins Zentrum, wenngleich eine simple Antwort schwerfällt.

Kirchenwachstum im Süden

Noch einigermaßen leicht lassen sich die Zahlen hinter der größten Glaubensgemeinschaft der Welt zusammenfassen. Knapp 1,2 Milliarden Menschen zählte die katholische Kirche nach eigenen Angaben im Jahr 2010 - immerhin ein gutes Siebtel der Weltbevölkerung. Fast die Hälfte aller Katholiken lebt auf dem amerikanischen Kontinent, rund ein Viertel in Europa, 15 Prozent in Afrika, und jeder zehnte Katholik ist in Asien zu Hause.

Diese Zahlen verraten per se noch wenig über die Verfasstheit der katholischen Kirche. Der Fokus auf deren Entwicklung in den letzten Jahrzehnten lässt bereits ein bisschen tiefere Einblicke zu. Die afrikanischen und asiatischen Katholiken mögen gemeinsam nur 25 Prozent der katholischen Weltbevölkerung stellen. Sie sind aber jene Gruppe innerhalb der katholischen Kirche mit den weitaus höchsten Wachstumsraten.

Laut Allen wuchs in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Zahl der Katholiken auf den beiden Kontinenten prozentuell schneller als die Bevölkerung. Bei einer Bevölkerungsexplosion in Afrika - im Jahr 2000 lebten dort 16-mal so viele Menschen wie noch 1950 – kann man dieses Wachstum durchaus als gewaltig bezeichnen.

Jubelnde Menschen erwarten am Petersplatz den neuen Papst

REUTERS/Tony Gentile

Tausende Menschen versammelten sich während des Konklaves am Petersplatz - sie repräsentieren die verschiedenen Teile der Welt und die Herausforderungen der Kirche in diesen Regionen

Sonderfall Europa

Von solchen Entwicklungen ist die katholische Kirche in Europa weit entfernt. Die Bevölkerung in Europa nimmt nicht nur seit Jahrzehnten kontinuierlich ab. Die Zahl der europäischen Katholiken schrumpft sogar verhältnismäßig schneller als die Gesamtbevölkerung. „Wir leben gegenwärtig in einer der größten Expansionsphasen des Christentums in seiner Geschichte. Nur nicht einer Expansion in Europa, sondern einer Expansion in Afrika und in Ostasien“, so der Religionsphilosoph Hans Joas im Religionsmagazin „Orientierung“.

Schon anhand dieser demografischen Entwicklungen lässt sich erahnen, dass die Wirklichkeiten, Vorstellungen und Ansprüche, mit denen Katholiken in den unterschiedlichen Regionen der Erde zu schaffen haben, sich nicht unbedingt decken müssen.

Unterschiedliche Wirklichkeiten

Noch nie war die Bezeichnung Weltkirche für die Gemeinschaft der Katholiken passender als zum Beginn des 21. Jahrhunderts. Gleichzeitig war die katholische Kirche aber auch noch nie weiter von einer homogenen Gemeinschaft entfernt als in diesen Tagen. Die 115 Kardinäle, die dieser Tage in Rom in der Sixtinischen Kapelle zusammensaßen, mögen in diesen Tagen katholische Eintracht repräsentieren. Die kirchlichen Wirklichkeiten, aus der sie kommen, stehen oftmals aber im diametralen Gegensatz zueinander.

Über eine Bewegung wie die Pfarrerinitiative, die in Österreich und seinen Nachbarländern aufhorchen lässt, mag man etwa in Kenia den Kopf schütteln - wie auch die Sorge, dass die katholische Kirche von der gesellschaftlichen Landkarte verschwinden könnte, in Kenia nicht nachvollziehbar ist. Die Neueintritte stellen die dortige Kirche ebenso vor ein logistisches Problem wie die große Anzahl an jungen Männern, die Priester werden wollen.

Der Petersdom in Rom

REUTERS/Christian Hartmann

Von Rom aus muss der neue Papst verschiedene Herausforderungen aus verschiedenen Erdteilen bestreiten

Globale Fragestellungen

Während die katholische Kirche in Europa und Nordamerika im gesellschaftlichen Diskurs über Patchworkfamilien und gleichgeschlechtliche Partnerschaften diskutiert, beschäftigt man sich in Afrika noch eher mit den Problemen polygamer Ehen. Während die Kirche in den Ländern des Nordens versucht. sich in einer naturwissenschaftlich bestimmten Welt zu verorten, ist das Übernatürliche integraler Bestandteil der Frömmigkeit in den Ländern des Südens. „Heiße Eisen“ wie die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen, der Umgang mit Wiederverheirateten oder die Frage nach dem Zölibat sind weder in Lateinamerika noch Afrika oder Asien diskussionsbestimmende Themen.

In all dieser Unterschiedlichkeit steht die katholische Kirche auch vor Fragestellungen von globalem Ausmaß. Die Fragen nach sozialer Gerechtigkeit oder dem Umgang mit Ressourcen betreffen Katholiken in allen Teilen der Welt. Auch das Gespräch mit dem Islam und eine Klärung des Verhältnisses der Religionen zueinander mag als globale Herausforderung der Kirche verstanden werden.

Länder des Südens prägend

Die Zukunft wird zeigen, wer in diesen Fragestellungen die Richtung vorgeben wird. John L. Allen ist überzeugt, dass es vor allem die Katholiken aus den Ländern des Südens sind, die den Kurs der Kirche in den nächsten 50 Jahren maßgeblich beeinflussen werden – eine Entwicklung, die auch mit „Widersprüchlichkeit, Spannungen und in manchen Fällen Desillusionierung“ verbunden sei, so Allen.

Unter vier Schlagwörtern hat er die zukünftige Entwicklung der Kirche zusammengefasst. „Global, kompromisslos, pfingstlich und extrovertiert“ werden laut Allen die Merkmale der katholischen Kirche im 21. Jahrhundert sein. Für den Vatikan-Korrespondenten bedeutet das eine Kirche, die stärker von den Ländern des Südens geprägt sein wird und sich bewusst gegenüber anderen Religionen und Weltanschauungen definiert. Gleichzeitig werde sich die Kirche aber auch charismatischen Strömungen öffnen und verstärkt nach außen auftreten. Welche Rolle der Papst in diesem Entwicklungsprozess spielt, lässt Allen offen. Spannend werden die Zeiten für das neue Oberhaupt der katholischen Kirche aber wohl allemal werden.

Martin Steinmüller; religion.ORF.at