Atheisten in der Offensive

Atheisten bringen sich zunehmend in den gesellschaftlichen Diskurs ein. Ihre Motive sind dabei sehr unterschiedlich. Sie fordern Laizismus und Liberalismus oder üben durchaus polemische Religionskritik.

„Es kann nicht angehen, dass, wer in seinem Weltbild auf Logik und Überprüfbarkeit verzichtet, daraus den Anspruch ableiten darf, dass für ihn die Regeln der Welt und der Gesellschaft insgesamt nicht gelten“, erklärt Günther Paal seine Unterstützung auf der Website des Volksbegehrens gegen Kirchenprivilegien. Mit den rund 50 weiteren Mitgliedern des Personenkomitees teilt der Kabarettist zwei Anliegen: Die Verbindungen zwischen dem österreichischen Staat und den Kirchen sollen aufgelöst werden und die Kirchen mögen nicht länger staatliche Subventionen erhalten.

Um das zu erreichen, hat Werbefachmann Niko Alm gemeinsam mit Mitstreitern aus Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft die Initiative gegen Kirchenprivilegien ins Leben gerufen. Auch wenn die Unterstützer und Initiatoren aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen kommen, so ist die Nähe zu atheistischen und agnostischen Gruppen nicht zu übersehen. Das zeigt bereits ein Blick auf die mit dem Volksbegehren verbundenen Gruppierungen.

Phänomen: „Neuer Atheismus“

Das Volksbegehren kann wohl auch als Produkt eines „erstarkten Atheismus“ gelten, der in den letzten Jahren als „Neuer Atheismus“ die gesellschaftliche Bühne betrat. Dabei mag die Zuschreibung „neu“ zuvorderst befremdlich wirken - ist atheistisches und agnostisches Denken doch kein ganz junges Kind der Geschichte.

Atheismus und Agnostizismus

Der Atheismus verneint die Existenz Gottes. Der Agnostizismus lehnt die Möglichkeit ab, dass es rationale Argumente für oder gegen die Existenz Gottes geben kann.

Die Frage wann, wo und wie sich in der Kultur- und Geistesgeschichte der Menschheit atheistisches Gedankengut zeigte, wird in der Wissenschaft nach wie vor diskutiert. Doch selbst Vertreter eines sehr engen Atheismusbegriffs sehen einen solchen spätestens im 18. Jahrhundert voll ausgebildet.

Dennoch scheint in den letzten zehn Jahren gottloses Denken wieder vermehrt an Interesse zu gewinnen - auch in einer breiten Öffentlichkeit. Es waren zumeist angloamerikanische Autoren, mehrheitlich aus dem Bereich der Naturwissenschaft, die mit einem streng naturalistischen Weltbild gegen einen Gottesglauben auftraten.

Richard Dawkin auf Anti-Papst-Kampagne

EPA / Daniel Deme

Richard Dawkins schreibt nicht nur Bücher, sondern geht auch auf Demos - hier gegen den Papst-Besuch in London

2006 tauchte in den Medien für diese Religionskritiker die Bezeichnung „Neue Atheisten“ auf und etablierte sich schnell. Den unter dieser Bezeichnung subsumierten Autoren gilt Religion als rückständig, überkommen und schädlich. Dagegen sei der Atheismus „fast immer ein Zeichen für eine gesunde geistige Unabhängigkeit und sogar für einen gesunden Geist", schreibt etwa Richard Dawkins, einer der führenden „Neuen Atheisten“, in seinem Bestseller „Der Gotteswahn“.

Naturalistisches Weltbild

Für den Naturalismus gelten die Naturwissenschaften bei der Beschreibung und Erklärung der Welt als Maß der Dinge.

Angloamerikanische Herkunft

Man mag im Aufkommen eines solchen naturalistisch und über Strecken bewusst polemisch argumentierenden Atheismus eine Gegenbewegung zu religiös-fundamentalistischen Strömungen sehen. Stammen die Vertreter dieser neuen Spielart des Atheismus doch vor allem aus den USA, wo seit Jahren ein fundamentalistisches Christentum eine Vielzahl gesellschaftlicher Debatten vor sich her treibt.

Buskampagne Atheisten Deutschland

EPA / Klaus-Dietmar Gabbert

Deutsche Atheisten fuhren 2009 mit einem eigenen Doppeldeckerbus samt Botschaft durchs Land

Als rein amerikanisches Phänomen wird der „Neue Atheismus“ aber nicht abzutun sein. Einerseits stammt der vielleicht wirkmächtigste unter den atheistischen Autoren, Dawkins, aus Großbritannien. Anderseits riefen die Bücher von Sam Harris, Daniel C. Dennett und Victor J. Stenger auch im deutschsprachigen Raum ein beträchtliches mediales Echo hervor. Regelmäßig waren und sind sie auf den Sachbuch-Bestsellerlisten zu finden, und mit dem Philosophen Michael Schmidt-Salomon hat in den letzten Jahren auch ein deutschsprachiger Autor in die Reihen der „Neuen Atheisten“ Aufnahme gefunden.

Schrumpfende Kirchen

Bereits vorausgegangen waren diesen Entwicklungen Prozesse, die landläufig unter dem Begriff Säkularisierung zusammengefasst werden. Dazu gehört, dass die Kirchen in Österreich und Deutschland seit Jahrzehnten kontinuierlich schrumpfen. 5,36 Millionen Menschen - 63,2 Prozent der Gesamtbevölkerung - waren nach Angabe der Kirche in Österreich 2012 katholisch. Das ist fast eine Million weniger als vor fünfzig Jahren. Bei der evangelischen Kirche sank der Anteil an der Bevölkerung im gleichen Zeitraum von 6,2 auf 3,8 Prozent.

Dafür gaben bei der letzten Volkszählung 2001 fast eine Million Menschen an, konfessionslos zu sein. Diese Zahl dürfte in den letzten zwölf Jahren noch einmal merklich angestiegen sein. Zu Glaube oder Nicht-Glaube sagen solche Statistiken allein wenig aus. Mehr verrät hier jedoch der im letzten Jahr von Gallup-International veröffentlichte „Global Religiosity and Atheism Index“. Von knapp tausend befragten Österreichern bezeichneten sich 42 Prozent als religiös und 43 Prozent als nicht religiös. Ein Zehntel wählte für sich die Bezeichnung „überzeugter Atheist“.

Naturalistische Stiftung

In Anbetracht der Zahlen verwundert es wenig, dass sich atheistische Aktivisten im öffentlichen Diskurs öfter und lauter zu Wort melden. Sei es der Physiker und Präsident der Initiative Religion ist Privatsache, Heinz Oberhummer, der als Teil des „Science Busters“-Trios seine eigene Fernsehsendung im ORF hat, oder Niko Alm, dessen Führerscheinfoto mit aufgesetztem Nudelsieb die Runde durch die heimischen – und manche internationalen – Medien machte.

Alm ist nicht nur Vorsitzender des Zentralrats der Konfessionsfreien, sondern auch Sprecher des Österreich-Zweigs der deutschen Giordano-Bruno-Stiftung. Die nach dem als Ketzer verbrannten Dominikanermönch benannte Stiftung wurde 2004 vom deutschen Industriellen Herbert Steffen gegründet. Mit dem Geld des ehemaligen Möbelproduzenten Steffen werden Projekte wie die Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland oder der humanistische Pressedienst gefördert. Für den nötigen theoretischen Unterbau sorgt der Philosoph Schmidt-Salomon.

Viele Gruppen - viele Ziele

Für Österreichs Atheisten ist ein Mäzen wie Steffen nicht in Sicht. Vielleicht liegt es auch daran, dass die atheistische und agnostische Szene im Land von einem einheitlichen Auftreten noch weit entfernt ist. In einer Vielzahl von Gruppen und Initiativen setzen sich die einen für Laizismus und gesellschaftlichen Liberalismus ein. Andere stellen die Kirchenkritik in den Mittelpunkt oder verschreiben sich ganz der Polemik gegen jedwede Form der Religion. Entsprechend vielfältig fallen die Selbstbezeichnungen aus.

Niko Alm bei der Langen Nacht des Missbrauchs

APA/Herbert Pfarrhofer

Konkrete Kirchenkritik und Religionskritik können Hand in Hand gehen: Niko Alm bei der Langen Nacht des Missbrauchs 2011

Ebenso unterschiedlich gestalten sich die Versuche, gegen eine Sonderstellung von Religion in der Gesellschaft anzugehen. Die Initiative Religion ist Privatsache etwa ficht seit nunmehr über einem Jahr einen Kampf gegen die Karfreitagsschweigeminute im ORF und die kirchlichen Vertreter im Publikumsrat des öffentlich-rechtlichen Senders. Mit ihrer Beschwerde ist die Initiative mittlerweile vor dem Verfassungsgerichtshof angelangt.

Atheistischer Testballon

Einen anderen Weg gehen Alexander Rezner und Wilfried Apfalter. Sie versuchen mit der Atheistischen Religionsgesellschaft in Österreich als staatlich eingetragene religiöse Bekenntnisgemeinschaft anerkannt zu werden. 300 Mitglieder sind dafür nötig. 123 Menschen haben bisher unterschrieben.

Ob der oben genannten Zahlen mag es verwundern, dass sich in den letzten zwei Jahren noch keine 300 Sympathisanten finden ließen. Doch zeigt sich gerade darin die Schwierigkeit. Nur weil sich jemand als konfessionslos oder Atheist definiert, heißt das noch nicht, dass er sich als Teil einer Gruppe Gleichgesinnter wahrnimmt. „Es ist wahrscheinlich leichter, irgendwo auszutreten als irgendwo beizutreten“, so Apfalter in einem Interview mit dem Magazin „über.morgen“.

In dieser Hinsicht kann man das Volksbegehren gegen Kirchenprivilegien auch als atheistischen Testballon verstehen. Eine Vielzahl an atheistischen, agnostischen und konfessionslosen Gruppen und Initiativen hat in dessen Forderungen zusammengefunden. An seinem Erfolg oder Misserfolg wird auch das aktuelle Potenzial des österreichischen Atheismus abzulesen sein.

Martin Steinmüller, religion.ORF.at

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