Libanon: Zwischen Verzweiflung und Hoffnung

Während es vor dem Hintergrund des syrischen Bürgerkriegs auch im Libanon zu Gewaltakten kommt, bemühen sich Religionsgemeinschaften und NGOs um Lösungen. Die Kirchen der Region fordern Gewaltverzicht.

Vor dem Hintergrund des Bürgerkriegs und der gewaltsamen Entführung von Bischöfen in Syrien - mehr dazu in Zwei orthodoxe Bischöfe in Syrien entführt, richteten die Kirchen in Nahost bei einer Konferenz nahe Beirut einen Appell an die islamistischen Bewegungen. Sie forderten sie zum Gewaltverzicht auf, um einen friedlichen Dialog zu ermöglichen und die Regeln des Zusammenlebens festzulegen. Veranstalter der Tagung waren der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) und der Middle East Council of Churches (MECC). An der Konferenz nahmen alle großen orthodoxen, orientalischen, katholischen und evangelischen Kirchen der Region, die im MECC zusammenarbeiten, teil.

Starke Kräfte

Nach Ansicht des Generalsekretärs der deutschen Evangelischen Mission in Solidarität (EMS), Jürgen Reichel, habe die Konferenz gezeigt, dass es in allen Ländern starke Kräfte gebe, die auf eine Gesellschaftsordnung für ein Leben in Würde, Freiheit und Gleichheit aller Bürger hinarbeiteten. Man müsse allen Klischees über den Nahen Osten entgegentreten, die das Bild einer zuallererst von religiösen Zerwürfnissen geprägten Region zeichneten.

Muslimische und christliche Geistliche anlässlich des 38. Jahrestages des libanesischen Bürgerkrieges.

REUTERS/Sharif Karim

Muslimische und christliche Geistliche beim spirituellen Treffen zum 38. Jahrestag des Beginns des libanesischen Bürgerkriegs (1975 bis 1990) am 12. April 2013

Nach den Erfahrungen des Bürgerkriegs zwischen 1975 und 1990 wissen viele Libanesen, welche Folgen bewaffnete Auseinandersetzungen haben. Bewusst wird daher der Dialog auf allen Ebenen gesucht. In einigen Organisationen schließen sich Menschen unterschiedlicher Konfessionen zusammen, um sich gemeinsam für ein Leben in Frieden einzusetzen.

So bemüht sich etwa die 2006 von christlichen und muslimischen Aktivisten gegründete Adyan-Stiftung für interreligiöses Lernen um ein friedliches Miteinander. „Adyan arbeitet mit Programmen, die die Solidarität und den Zusammenhalt unter den religiösen Gruppen stärken sollen“, sagte Heba Chendeb, Adyan-Aktivistin und Chemieprofessorin in Beirut in der Ö1-Sendung „Erfüllte Zeit“.

Sendungshinweis:

„Erfüllte Zeit“ am Donnerstag, 30.5.2013, ab 7.05 in Ö1.

Und zum Nachhören auf Ö1 unter der Rubrik „7 Tage Ö1“ und mit der Ö1 Radio-App für Smartphones.

Unter anderem wird in mittlerweile 32 Schulen mit einem Programm gearbeitet, in dem die Kinder über die verschiedenen Religionen und über die Gefahren von konfessionellen Konflikten informiert werden. In Zusammenarbeit mit der UNESCO und anderen internationalen Organisationen wird an öffentlichen Schulen Konfliktmanagement trainiert.

Ziviler Staat als Lösung

Der an der Libanesischen Universität lehrende Soziologe und Politikwissenschaftler Sou’ud al-Mawla sagte zu Besucherinnen eines Lehrgangs des Europäischen Projekts für Interreligiöses Lernen (EPIL) im Libanon, dass die Lösung der Probleme des multireligiösen Landes darin liege, einen zivilen Staat zu schaffen, der allen Menschen die gleichen Rechte einräume und ebenso keinen Unterschied zwischen Angehörigen verschiedener Religionen mache.

Dabei könnten nicht einfach westliche Modelle säkularer Staaten übernommen werden, es müsse ein libanesischer ziviler Staat entstehen, so Al-Mawla in Ö1.

Religion im Libanon

Im Libanon gibt es 18 anerkannte Religionsgemeinschaften. Etwa 59 Prozent der 4,5 Millionen Einwohner sind Muslime, mehrheitlich Schiiten, etwa 39 Prozent Christen, mehrheitlich Maroniten.

Die religiöse Diversität spiegelt sich auch in der politischen Machtaufteilung wider: Politische Ämter werden den Konfessionen entsprechend aufgeteilt.

Der Libanon beheimatet viele ethnische Minderheiten. Die bewaffneten Konflikte im Nachbarland Syrien führen auch im Libanon zu Spannungen, ein Eskalieren der Gewalt wird befürchtet. Fouad Twal, der Lateinische Patriarch von Jerusalem, verwies bei der Konferenz der Nahost-Kirchen auf die Bedeutung der Region als „Wiege“ der Religionen, der Zivilisation sowie menschlicher und spiritueller Werte. Jetzt stehe man dort vor einem kritischen Moment, der über Zukunft, Solidarität, Sicherheit und Stabilität entscheide.

Gleiche Rechte für alle Bürger gefordert

Die Kirchenoberhäupter forderten die muslimischen Mehrheiten in ihren Ländern auf, allen Bürgern gleiche Rechte zu gewähren. Die verbreitete Auffassung, kleinere religiöse Gruppierungen hätten unter dem Schutz einer auf den Islam ausgerichteten Staatsordnung zu stehen, müsse überwunden werden. Sie räumten aber ein, dass ihre Kirchen in der Vergangenheit mit undemokratischen Regimen Kompromisse gemacht hätten. Mitunter hätten sie sogar kollaboriert.

Dazu der Sprecher der Konferenz und Präsident der Nationalen Evangelischen Kirche in Beirut, Habib Badr: „Wir Kirchen des Nahen Ostens sind uns bewusst, dass unsere freie und öffentliche Existenz in der arabischen Welt nicht von Gnadenakten politischer Kräfte abhängt, sondern davon, dass wir unterdrückerische politische Systeme beim Namen nennen und hartnäckig auf einen Mentalitätswandel hinarbeiten.“

religion.ORF.at/KAP

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