Enzykliken: Wie unfehlbar ist der Papst?

Am Freitag veröffentlicht Papst Franziskus seine erste Enzyklika. Er spricht damit als höchste lehramtliche Autorität, tatsächlich als „unfehlbar“ gelten aber nur die wenigsten päpstliche Aussagen.

Wenn ein Papst etwas schreibt, dann hat das Gewicht – vor allem, wenn es im Zuge eines großen Lehrschreibens, einer Enzyklika geschieht. Enzykliken – das Wort kommt vom griechischen „enzyklios“, was so viel wie „im Kreis laufend“ oder „im Umkreis“ bedeutet – sind Rundschreiben und richten sich gewöhnlich an alle gläubigen Katholiken, in manchen Fällen auch an „alle Menschen guten Willens“. Die Enzyklika ist ein wirkmächtiges Instrument, das dem Papst zur Ausübung seines Lehramts zur Verfügung steht. Unfehlbar ist sie deshalb aber nicht, betont der Dogmatiker Jan-Heiner Tück im Gespräch mit religion.ORF.at.

Sendungshinweis:

„Erfüllte Zeit“, Sonntag, 14.7.2013 7.05 in Ö1.

Und zum Nachhören unter „7 Tage Ö1“ auf der Homepage von Ö1 und mit der Ö1 Radio-App für Smartphones.

„Das lehramtliche Gewicht einer Enzyklika oder anderer päpstlicher Verlautbarungen hängt sicher auch vom Thema ab“, so Tück. Schließlich gebe es auch Entscheidungen, die kaum rezipiert worden und schnell „völlig untergegangen“ seien, erzählt er. Als Beispiel führt er die Apostolische Konstitution „Veterum Sapientia“ an, mit der Papst Johannes XXIII. 1962 die lateinische Sprache als Sprache der Kultur und Wissenschaft fördern wollte.

Die Hände von Papst Benedikt XVI. während der Unterzeichnung der Enzyklika "Caritas in Veritate"

Reuters/Osservatore Romano

Papst Benedikt XVI. beim Unterzeichnen der Enzyklika „Caritas in Veritate“

„Hierarchie der Wahrheiten“

Auch bei Enzykliken gebe es durchaus unterschiedliche Gewichtungen, meint Tück. Jene Rundschreiben, die die großen Themen der Kirche berührten, hätten naturgemäß mehr Gewicht als andere, die sich mit peripheren Inhalten auseinandersetzten. Tück spricht in diesem Zusammenhang von einer „Hierarchie der Wahrheiten“, der auch im Zweiten Vatikanischen Konzil große Bedeutung beigemessen worden sei.

„Papst Benedikt XVI. hat sich in seinen Enzykliken mit den großen Themen Liebe, Hoffnung und Glaube auseinandergesetzt. Es ist klar, dass diese Lehrschreiben großes Gewicht haben“, so Tück. Das bedeute aber nicht, dass sie nicht interpretationsbedürftig seien. „Das Lehramt erwartet natürlich eine gewisse wohlwollende Aufnahme seiner Aussagen, Dissens ist aber durchaus möglich und heute angesichts des Pluralismus in der Kirche fast unumgänglich.“

„Ex cathedra“

Im 19. Jahrhundert sah man das offenbar noch etwas anders. 1870 wurde im Zuge des Ersten Vatikanischen Konzils die Unfehlbarkeit des Papstes als Dogma der römisch-katholischen Kirche festgeschrieben – die Altkatholiken spalteten sich aufgrund dieser Entscheidung ab. Seither gilt: Der Papst kann gewisse Aussagen treffen, die danach auch von seinen Nachfolgern nicht mehr verändert werden könnten. Er spricht in diesen Fällen „ex cathedra“ (lateinisch: „vom Lehrstuhl“).

Jan-Heiner Tück

Kathbild/Franz Josef Rupprecht

Jan-Heiner Tück

Derartige unfehlbare Aussagen kommen freilich sehr selten vor. Seitdem im Ersten Vatikanischen Konzil die Grundlage dafür formuliert wurde, machte erst einmal ein Papst von der Möglichkeit einer Entscheidung „ex cathedra“ Gebrauch: Pius XII. erklärte 1950 die leibliche Aufnahme Marias in den Himmel zum unumstößlichen Dogma, nicht ohne allerdings zuvor die Bischöfe konsultiert zu haben. Wie viele päpstliche Lehrentscheidungen vor dem Ersten Vatikanischen Konzil als unfehlbar zu gelten haben, ist in der Theologie umstritten. Meist wird von zehn bis zwanzig Dokumenten ausgegangen.

Für Jan-Heiner Tück sind „ex cathedra“-Entscheidungen nur „für den absoluten Notfall gedacht, zum Beispiel wenn die Einheit der Kirche durch eine Streitfrage gefährdet wäre“. Dass ein Papst in näherer Zukunft eine solche Entscheidung treffen könnte, hält der Theologe für eher unwahrscheinlich. „Wenn wirklich strittige Fragen auftreten, wäre es zwar durchaus vorstellbar, allerdings haben die Nachkonzilspäpste von der Möglichkeit einer ‚ex cathedra‘-Entscheidung keinen Gebrauch gemacht“, so Tück.

Papst kann nicht willkürlich entscheiden

Außerdem, so gibt er zu bedenken, könne ein Papst nicht einfach frei entscheiden, eine subjektive Meinung zum Dogma zu erheben. Er spreche „nicht als Privattheologe“, sondern als „Oberhaupt einer Kirche, an deren Tradition und Glaubenssinn er auch rückgebunden ist“, so Tück. Außerdem kommen grundsätzlich nur Glaubens- oder ethische Fragen, nicht aber solche, die naturwissenschaftliche Bereiche betreffen, für „ex cathedra“-Entscheidungen in Frage.

Bis zu einem gewissen Grad könnte die Zurückhaltung der Päpste auch mit den Folgen einer „ex cathedra“-Entscheidung zusammenhängen: Wer nämlich einer solchen lehramtlichen Aussage widerspricht, schließt sich dadurch streng genommen selbst aus der Gemeinschaft der Kirche aus. Allerdings, so Tück, ließe sich das heute wohl kaum durchregulieren. Er sieht in dieser Frage eine Art „Graubereich“, in dem Widerspruch eines einzelnen Gläubigen bei einzelnen Lehraussagen möglich ist, solange gleichzeitig das Glaubensbekenntnis bejaht wird und eine „Grundloyalität“ zum Lehramt der Kirche bestehen bleibt.

Pluralismus sei also durchaus legitim, so Tück, und zwar „so lange die Grundfesten des Glaubens nicht berührt werden.“ „Rom kann zwar mit ‚ex cathedra‘-Entscheidungen eine Art hermeneutische Punktsetzung vornehmen“, meint Tück, „angesichts der Pluralität, die heute in der Kirche herrscht, muss man aber damit rechnen, dass es in der Theologie immer auch andere Meinungen geben kann.“

Michael Weiß, religion.ORF.at

Mehr dazu in:

Erste Enzyklika von Papst Franziskus vorgestellt (religion.ORF.at 5.7.2013)

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