Johannes XXIII.: Wunderlose Heiligsprechung?

Papst Johannes XXIII. soll noch heuer heiliggesprochen werden. Normalerweise ist für diesen Akt der Nachweis eines zweiten Wunders - neben jenem für die vorangegangene Seligsprechung - notwendig. Beim „Konzilspapst“ wird offenbar eine Ausnahme gemacht.

„Wir kennen alle die Tugend und die Persönlichkeit von Papst Roncalli, es ist nicht nötig, die Gründe für seine Heiligkeit zu erklären“, sagte Vatikan-Sprecher Federico Lombardi vor knapp zwei Wochen, als bekanntgegeben wurde, dass Johannes XXIII. - mit bürgerlichem Namen Angelo Giuseppe Roncalli - ohne den Nachweis eines zweiten Wunders heiliggesprochen werden soll. Es handle sich um einen besonderen Fall.

Strenges Regelwerk

Offenbar ist der „Fall Johannes XXIII.“ so besonders, dass Papst Franziskus bereit ist, die sonst so strengen Regeln für Selig- und Heiligsprechungen außer Kraft zu setzen. Normalerweise ist für eine Selig- oder Heiligsprechung der Nachweis eines Wunders notwendig. Fast immer handelt es sich dabei um die Heilung einer Krankheit, die von einer Ärztekommission für medizinisch nicht erklärbar befunden wird.

Bei Seligsprechungen kann der Nachweis eines Wunders entfallen, wenn die betroffene Person einen Märtyrertod erlitten hat. Für den „Aufstieg“ zum Heiligen ist dann aber auch für Märtyrer ein Wunder notwendig. In jedem Fall aber muss schon bei der Seligsprechung der so genannte heroische Tugendgrad der Person nachgewiesen werden.

Grundsätzlich haben Selige und Heilige in der römisch-katholischen Kirche den gleichen „Rang“. Der Unterschied liegt darin, dass Selige nur in bestimmten Regionen verehrt werden dürfen, während Heilige der gesamten Weltkirche als Fürsprecher zur Verfügung stehen. Die ihnen zugeschriebenen Wunder vollbringen die Seligen und Heiligen nach katholischer Lehre nicht selbst, sondern sie geschehen durch Gott auf ihre Fürsprache und sind damit Beweis dafür, dass die jeweilige Person im Himmel ist.

Papst Johannes XXIII.

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Johannes XXIII.

Bei Johannes Paul II. läuft das Verfahren - abgesehen davon, dass es von seinem Nachfolger Benedikt XVI. beschleunigt wurde - ganz nach den Regeln ab. Für seine Seligsprechung wurde die angeblich nicht erklärbare Heilung einer französischen Ordensschwester von der Parkinson-Krankheit ins Treffen geführt, beim Wunder für die nun bevorstehende Heiligsprechung handelt es sich dem Vernehmen nach um eine Frau aus Costa Rica, die von einer Gehinrverletzung geheilt worden sein soll.

Auch für die Seligsprechung Johannes XXIII. im Jahr 2000 wurde ein Wunder von der Ärztekommission bestätigt - die plötzliche Heilung einer italienischen Nonne nach einem lebensgefährlichen Magendurchbruch im Jahr 1966. Das zweite Wunder für die Heiligsprechung entfällt nun aber offenbar.

Zwei Gründe für wunderlose Heiligsprechung

Laut der Tageszeitung „Avvenire“, die von der italienischen Bischofskonferenz herausgegeben wird, gibt es dafür zwei Gründe. Der erste ist, dass die Verehrung von Johannes XXIII. in Diözesen überall auf der Welt per Ausnahmegenehmigungen bereits so weit verbreitet sei, dass sie ohnehin schon jener eines Heiligen gleichkomme. Außerdem seien dem Vatikan seit der Seligsprechung im Jahr 2000 viele angebliche Wunder auf Fürsprache Johannes XXIII. vorgelegt worden. Etwa 20 „richtig interessante“ Fällen seien darunter, so die Tageszeitung.

Der zweite Grund für die wunderlose Heiligsprechung ist laut „Avvenire“, dass die Konzilsväter sofort nach dem Tod Johannes XXIII. und noch vor dem Ende des Konzils seine Heiligsprechung gefordert hätten.

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Unterschiedliche Reaktionen

Konservative Kreise innerhalb der römisch-katholischen Kirche, die das Zweite Vatikanische Konzil nach wie vor für eine Abkehr von der Tradition halten, sehen das freilich anders. In ihren Augen wäre eine Heiligsprechung Johannes XXIII. - noch dazu im Jahr des 50-jährigen Konzilsjubiläums - ein kirchenpolitischer Akt, in dem mit dem Papst auch gleich das Konzil an sich heiliggesprochen würde.

Andere sehen die bevorstehende Heiligsprechung sogar als Zeichen dafür, das künftig völlig auf Wunder für Selig- und Heiligsprechungen verzichtet werden könnte. „Ich denke, es ist Zeit, die Wunder-Voraussetzung fallenzulassen“, sagt etwa der Jesuit Thomas Reese, ein Experte des US-amerikanischen „National Catholic Reporter“ gegenüber der Agentur „Religion News Service“.

„Es reicht, sich das Leben einer Person anzusehen und zu fragen, ob diese Person in spezieller oder außergewöhnlicher Weise christlich gelebt hat und daher als Beispiel zur Verehrung und Nachahmung für andere Christen gelten kann“, so Reese.

Michael Weiß, religion.ORF.at

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