Zulehner: „Kirchennarzissmus ist Krankheitszeichen“

Als Krankheitszeichen für „neurotischen Kirchennarzissmus“ hat der Wiener Religionssoziologe und Pastoraltheologe Paul M. Zulehner die „aktuelle Selbstbeschäftigung der Kirche“ bezeichnet.

Die Kirche, die nur Instrument für den Gottesbezug sei, „wird gesunden, wenn sie lernt, wieder von sich abzusehen“, sagte Zulehner am Montag dem deutschen evangelischen Pressedienst. Die Zeit der „Volkskirche“, bei der die konfessionelle Zugehörigkeit mit der Ausrichtung des Landesherrn vorgegeben war, sei endgültig vorbei. Deshalb dürfe man angesichts der Wahlfreiheit bei Kirchenaustritten „nicht mehr von 100 herunter, sondern von null hinauf“ denken.

Paul M. Zulehner

Kathbild/Franz Josef Rupprecht

Paul Zulehner

Die Kirche müsse nun zur „Jesus-Bewegung“ werden, die nicht durch „bürokratische Strukturreformen“, sondern durch Visionen erreicht werde. „Wir brauchen zuerst den Wein und dann den Schlauch“, so Zulehner, der das derzeitige Bemühen um strukturelle Veränderungen als verkehrten Weg kritisierte. Der Zukunft gehöre nicht der „Expertenkirche“, sondern den Laien. Nicht die Pfarrer, sondern „die Mitglieder selbst müssen schauen, dass sie sich vermehren“.

Vision einer „Jesus-Bewegung“

Die Vision hin zu einer „Jesus-Bewegung“ - Zulehner ersetzte den Begriff „Kirche“, da dieser „beschädigt“ sei, „besonders bei Jugendlichen“ - beruhe auf zwei Grundsäulen: Zum einen sei dies die soziale und lebenspraktische Dimension der Nachfolge Jesu, so dass die Jesusbewegung zu einem „Heil-Land“ inmitten der Welt werden solle: „Wer in Gott eintaucht, taucht bei den Armen wieder auf“, brachte der Pastoraltheologe das Leitmotiv auf den Punkt.

Zum anderen beruhe die Vision einer kirchlichen Erneuerung auf dem „radikalen Vertrauen in das zuvorkommende Erbarmen Gottes“, wodurch nicht der Tod, sondern die Liebe als letztes Wort zugelassen werde. Dort, wo der Mensch Angst um sich selbst habe, was letztlich Angst vor dem Tod sei, greife er zu Strategien der Gewalt, Gier und Lüge. „Er versucht krampfhaft, sich selbst zu behaupten, weil er nicht mehr vertrauen kann. Liebe heißt immer, sich preisgeben können. Die Angst ist daher der eigentliche Feind der Liebe“, so der bekannte Theologe.

Jesus „Schlüssel im Kampf gegen die Todesangst“

Das spezifisch Christliche der universell aufgetragenen „Zumutung, ein liebender Mensch zu werden“, bestehe darin, dass „der Schlüssel im Kampf gegen die Todesangst ein Gesicht trägt: nämlich Jesus von Nazareth, der den Tod überwunden hat“. Deshalb dürften Christen aus dem Grundvertrauen leben, nicht aus sich selbst Liebende zu werden, sondern weil sie sich „zuvor schon als geliebt erfahren“, so Zulehner.

Das Voneinander-Lernen in der Ökumene sei angesichts der jeweils spiegelverkehrten Defizite von Katholizismus und Protestantismus eigentlich geboten. Das Problem des Protestantismus sei das Fehlen einer „Theologie der Vernetzung“ und damit die Tendenz zu einem atomisierten Individualismus bei Ausklammerung der Gemeinschaftsdimension. Der Katholizismus denke demgegenüber „oft zu kollektivistisch, zu autoritär, zu bevormundend“. Beide bedürften somit einander in Ergänzung.

religion.ORF/KAP

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