Papst äußert sich in Mammut-Interview zu „heißen Eisen“

Radio Vatikan und Jesuitenzeitschriften in vielen Sprachen haben am Donnerstagabend ein in sechs Stunden aufgenommenes Interview von Papst Franziskus veröffentlicht, in dem er sich auch zu den „heißen Eisen“ in der Kirche äußert.

Das 29 Seiten umfassende Interview führte der Chefredakteur der italienischen Zeitschrift des Ordens „Civilta Cattolica“, P. Antonio Spadaro SJ (Societas Jesu). Franziskus gehört selbst den Jesuiten an.

„Wir können uns nicht nur mit der Frage um die Abtreibung befassen, mit homosexuellen Ehen, mit den Verhütungsmethoden: Das geht nicht. Ich habe nicht viel über diese Sachen gesprochen. Das wurde mir vorgeworfen. Aber wenn man davon spricht, muss man den Kontext beachten. Man kennt ja übrigens die Ansichten der Kirche, und ich bin ein Sohn der Kirche. Aber man muss nicht endlos davon sprechen“, sagt der Papst in dem Interview.

Gegen Verurteilung von Homosexuellen

Er spricht sich auch gegen eine moralische Verurteilung von Homosexuellen in der katholischen Kirche aus. In seiner Zeit als Erzbischof von Buenos Aires habe er Briefe von Homosexuellen bekommen, die sich von der Kirche verurteilt gefühlt hätten.

Papst Franziskus

Reuters/Pool New

„Vulkanstrom von Ideen“

Interviewer Spadaro kommentiert das Gespräch mit Papst Franziskus mit eigenen Eindrücken: "Mit Papst Franziskus zu reden ist so, wie wenn man einem Vulkanstrom von Ideen zuhört, die sich miteinander verknüpfen.

Selbst wenn ich mir Notizen mache, habe ich das unangenehme Gefühl, einen sprudelnden Dialog zu unterbrechen. Es ist klar, dass Papst Franziskus mehr an Gespräche als an das Ablesen eines vorbereiteten Textes gewöhnt ist", so der Interviewer auf der Website von Radio Vatikan.

Es dürfe keine „spirituelle Einmischung in das persönliche Leben geben“, so Franziskus. Die Religion habe zwar das Recht, „die eigene Überzeugung im Dienst am Menschen auszudrücken“, Gott habe die Menschen in der Schöpfung jedoch „frei“ gemacht. Zugleich bekräftigt der Papst seine Treue zur Morallehre der katholischen Kirche.

Auf das Wesentliche konzentrieren

Die Kirche müsse sich jedoch wieder auf das Wesentliche konzentrieren, das sei die Glaubensverkündigung. Diese müsse in ein „neues Gleichgewicht“ mit den Äußerungen zu moralischen Fragen gebracht werden. Andernfalls falle auch „das moralische Gebäude der Kirche wie ein Kartenhaus zusammen“.

Franziskus weist zudem darauf hin, dass er mit seiner Äußerung zur Homosexualität während des Rückflugs vom Weltjugendtag in Rio de Janeiro Ende Juli lediglich bekräftigt habe, was im Weltkatechismus stehe. Damals hatte Franziskus mit der Aussage Aufsehen hervorgerufen, dass er eine homosexuelle Person, die guten Willens sei und Gott suche, nicht verurteilen könne.

Er sei einmal gefragt worden, ob er Homosexualität billige, berichtet er dem Interview weiter. Daraufhin habe er sein Gegenüber gefragt, ob Gott eine homosexuelle Person mit Liebe anschaue oder sie verurteile oder zurückweise. Franziskus hebt hervor, dass im Mittelpunkt stets die Person stehen müsse.

Vatikanische Behörden keine „Zensurstellen“

Franziskus spricht sich in dem Interview auch für eine stärkere Stellung der Bischofskonferenzen gegenüber dem Vatikan aus. Es sei „eindrucksvoll“, die Anklagen wegen Mängeln an Rechtgläubigkeit, die in Rom einträfen, zu sehen. Kurienbehörden dürften jedoch keine „Zensurstellen“ sein. Solche Fälle würden „besser an Ort und Stelle“ von den jeweiligen Bischofskonferenzen untersucht. Die vatikanischen Stellen seien „Einrichtungen des Dienstes“ und nicht „autonom“, hebt Franziskus hervor. Sie müssten als Vermittler auftreten und den Ortskirchen oder den Bischofskonferenzen helfen.

Abtreibung: Beichtstuhl „kein Folterinstrument“

Der Beichtstuhl der katholischen Kirche sei im übrigen auch „kein Folterinstrument, sondern der Ort der Barmherzigkeit“, etwa, wenn eine Frau eine Abtreibung beichte. „Was die Kirche heute braucht, ist die Fähigkeit, die Wunden zu heilen und die Herzen der Menschen zu wärmen.“ Die Kirche habe damit eine Aufgabe so wie ein Feldlazarett nach einer Schlacht, wo Wunden geheilt würden.

Klar wandte sich der Papst in dem Interview erneut auch gegen eine Weltkirche, die wie eine kleine Kapelle nur Grüppchen ausgewählter Personen aufnehmen könne. „Wir dürfen die Universalkirche nicht auf ein schützendes Nest unserer Mittelmäßigkeit reduzieren“, verlangte Franziskus, „diese Kirche, mit der wir denken und fühlen, ist das Haus aller.“ Notwendig seien dabei Mut und Kühnheit. „Das Volk Gottes will Hirten und nicht Funktionäre oder Staatsdiener.“

Frauen mit „anderer Persönlichkeitsstruktur“

Die Mitspracherechte für Frauen in der katholischen Kirche sollen nach Meinung des Papstes ebenfalls ausgeweitet werden. „Die Räume einer einschneidenden weiblichen Präsenz in der Kirche müssen weiter werden“, sagt er. Die katholische Kirche stehe heute vor der Herausforderung, über den „spezifischen Platz der Frau“ nachzudenken. Das gelte „gerade auch dort, wo in den verschiedenen Bereichen der Kirche Autorität ausgeübt wird“.

Der Papst deutete an, dass eine größere Rolle von Frauen nicht automatisch einen Zugang zu Weiheämtern bedeute. Man dürfe nicht außer Acht lassen, dass Frauen eine andere Persönlichkeitsstruktur hätten als Männer. Wörtlich warnte er vor einer „Männlichkeit im Rock“.

Die Gottesmutter Maria etwa sei zwar wichtiger als einzelne Bischöfe, erläuterte Franziskus. Man dürfe aber nicht Funktion und amtliche Würden verwechseln. Der Papst rief abermals dazu auf, eine „gründliche Theologie der Frau“ zu erarbeiten, um die Funktion der Frau innerhalb der katholischen Kirche weiter zu klären.

„War autoritär, aber nie einer von den ‚Rechten‘“

Nach eigenen Worten habe er nie zum rechten Flügel innerhalb der katholischen Kirche gezählt, so der Papst. Seine „autoritäre und schnelle Art“, Entscheidungen zu treffen, habe ihm während seiner Zeit als Ordensoberer der Jesuiten in Argentinien zwar „ernste Probleme und die Beschuldigung eingebracht, ultrakonservativ zu sein“, sagt Franziskus im Interview. Doch auch wenn er sicher nicht die „heilige Imelda“ gewesen sei, sei er „nie einer von den ‚Rechten‘ gewesen“.

Der Papst sagte, dass sein Führungsstil anfangs viele Mängel gehabt habe. Ihn mit nur 36 Jahren an die Spitze seines Ordens in Argentinien zu berufen, bezeichnet er als „Verrücktheit“. Er habe in dieser Zeit eine „große innere Krise“ durchgemacht. Der heutige Papst leitete von 1973 bis 1980 die argentinische Ordensprovinz der Jesuiten.

Franziskus sprach sich in dem Gespräch auch dafür aus, Veränderungen und Reformen nicht zu überstürzen. „Ich glaube, dass man immer genügend Zeit braucht, um die Grundlagen für eine echte, wirksame Veränderung zu legen“, erklärte er, ohne dabei direkt auf die von ihm auf den Weg gebrachte Kurienreform einzugehen. Er misstraue improvisierten Entscheidungen.

Franziskus als Kino-Fan

Am Schluss des sechsstündigen Interviews outet sich Franziskus als großer Fan des italienischen Kinos: „La Strada“ von Federico Fellini sei der Film, den er „am meisten geliebt“ habe. Er identifiziere sich mit diesem Film, weil es darin einen indirekten Bezug zum heiligen Franz von Assisi gebe. Geliebt habe er auch den Film „Rom, offene Stadt“ von Roberto Rossellini.

Zudem berichtete der Papst, dass er im Alter zwischen zehn und zwölf Jahren alle Filme mit den italienischen Schauspielerin Anna Magnani (1908 bis 1973) und Aldo Fabrizi (1905 bis 1990) gesehen habe. Seine „Filmkultur“ verdanke er vor allem seinen Eltern, die ihn oft mit ins Kino genommen hätten.

„Nein“ zu Papst-Appartement

Wohnen will der Papst nach eigenem Bekunden weiterhin im vatikanischen Gästehaus Santa Marta. Das päpstliche Appartement im Apostolischen Palast sei wie ein "umgekehrter Trichter. Es sei groß und geräumig, aber durch den schmalen Eingang könne man nur „tropfenweise“ eintreten. „Das ist nichts für mich“, bekennt Franziskus.

Als er das päpstliche Appartement nach seiner Wahl besichtigte, habe er ein deutliches „Nein“ verspürt, so der Papst - auch wenn die Wohnung keineswegs luxuriös und durchaus geschmackvoll und groß sei. Er müsse sein Leben zusammen mit anderen Menschen leben.

religion.ORF.at/KAP/dpa

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