Vatikan-Experten begeistert von Franziskus-Interview

Das exklusive Interview von Papst Franziskus in Jesuitenzeitschriften in mehreren Sprachen, darunter „Stimmen der Zeit“ (München), hat bei der Presse für großes Aufsehen gesorgt.

Vatikan-Journalisten und Religionsexperten loben in hohen Tönen die „Revolution im Vatikan“, die klar aus dem Papst-Interview hervorgehe. Der angesehene Mailänder „Corriere della Sera“ (Freitag-Ausgabe) nannte den Aufruf des Papstes zu einer barmherzigen Kirche, die sich um „soziale Wunden“ kümmert, revolutionär. Auch andere führende Zeitungen hoben die Äußerungen des Papstes auf die Titelseite, sprachen von einer „Umarmung“ und „zivilem Mut“ des Kirchenführers.

„Die wichtigste Botschaft im Interview des Papstes ist dieses Bild der Kirche als Feldlazarett, als Ort, wo Wunden behandelt werden. Das ist die Kirche, die Papst Franziskus will. Sie ist in der Lage, Barmherzigkeit zu zeigen, und konzentriert sich aufs Wesentliche - das, was das Herz brennen lässt“, kommentierte der angesehene Vatikan-Berichterstatter der Turiner Tageszeitung „La Stampa“, Andrea Tornielli.

CNN: „Papst der stillen Mehrheit“

„Franziskus ist der Papst der stillen Mehrheit der Kirche, der gemäßigten Mehrheit, die nicht die Lehre, allerdings den Ton ändern will. Er will eine freigiebigere, barmherzigere Kirche, die weniger urteilt. Das war seit jeher ein Hauptanliegen Franziskus’. Jetzt muss man sehen, welche Auswirkungen das auf die Agenda der Kirche haben wird“, analysierte der Vatikan-Experte des amerikanischen TV-Senders CNN, John Allen.

Die katholische Historikerin und Kommentatorin des vatikanischen Sprachrohrs „L’Osservatore Romano“, Lucetta Scaraffia, meinte, man könnte sich jetzt einen theologischen Schritt des Papstes in Richtung der geschiedenen Katholiken erwarten, die wiederverheiratet sind.

Papst „unterscheidet Sünde vom Sünder“

„Franziskus unterscheidet die Sünde vom Sünder. Der Pontifex betont, dass Homosexuelle nicht anders als andere Menschen sind. Die Wahl, wie man die eigene Homosexualität erlebt, ist Teil des Geheimnisses jeder Person. Dieselbe Barmherzigkeit zeigt Franziskus auch gegenüber Frauen, die eine Schwangerschaft unterbrechen, und gegenüber neuen Lebenspartnerschaften. Er unterscheidet zwischen Sünde und Barmherzigkeit gegenüber dem Sünder. Er löscht ein starres und unsensibles moralisches Verhalten“, sagte Scaraffia.

„Ein freier Denker“

Der Jesuit Antonio Spadaro, Chefredakteur des Jesuitenzeitschrift „Civilta Cattolica“ und Autor des Interviews mit dem Papst, bezeichnete das Treffen mit Franziskus als „spirituelle Lehre“. Sechs Stunden habe das Gespräch mit dem Papst insgesamt gedauert, das auf drei Tage aufgeteilt worden sei. „Ich bin von der Wärme, der Bestimmtheit, der Kraft und der Einfachheit beeindruckt, mit der Franziskus sich ausgedrückt hat“, kommentierte Spadaro.

Ähnlicher Ansicht ist auch der Jesuit James Martin, Chefredakteur der US-Jesuitenzeitschrift „America“, der ebenfalls beim Interview präsent war. „Der Papst ist noch mehr ein freier Denker, als ich gedacht hatte. Er ist kreativ, er kann experimentieren“, so Martin.

religion.ORF.at/KAP/dpa

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