Lampedusa: Kirchen prangern „Untätigkeit der Politik“ an

Nach dem verheerenden Flüchtlingsdrama vor der italienischen Insel Lampedusa und einem ergebnislos zu Ende gegangenen Treffen der EU-Innenminister zur europäischen Flüchtlingspolitik prangern kirchliche Stimmen die „Untätigkeit der Politik“ an.

Von „Schande“, „Zynismus“, einem „Abputzen“ und dem „Abschieben von Verantwortung“ sprechen die Koordinierungssstelle der Österreichischen Bischofskonferenz (KOO), der Caritas-Präsident Franz Küberl, Diakonie-Direktor Michael Chalupka und der Gründer der katholischen Gemeinschaft Sant’Egidio, Andrea Riccardi.

Als „zynischen Weg“ kritisierte KOO-Geschäftsführer Heinz Hödl die finanzielle Aufstockung für den EU-Grenzschutz als Reaktion auf das Flüchtingsdrama. „Was es wirklich braucht, ist nicht Grenzschutz und Frontex, sondern Gerechtigkeit, Menschlichkeit, Frieden und Fairness für die Menschen in Afrika“, betonte Hödl.

EZA das „eigentlich Notwendige“

Das eigentlich Notwendige sei die Ausweitung der Entwicklungszusammenarbeit (EZA). Österreich müsse die öffentlichen EZA-Mittel auf 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens erhöhen. Es sei kein Ruhmesblatt für Österreich, zu den europäischen Schlusslichtern bei der Entwicklungszusammenarbeit zu zählen. Krieg, Armut, aber auch Migration sei wesentlich durch globale Probleme wie Armut, Wirtschaftskrise, Ungleichheit und Klimawandel verursacht.

„Empört“ zeigte sich Hödl über Aussagen von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) in der „ZIB 2“ am Dienstag. Die Innenministerin solle „die Wahlkampfrethorik lassen und konkrete Politik, das heißt Arbeit für die Menschen machen“. Mikl-Leitner sah die Verantwortung für die Toten vor Lampedusa ausschließlich bei den Schleppern - „die Schlepper haben die mehr als 270 Toten am Gewissen“.

Küberl: „An den Flüchtlingen abputzen“

„Die Einigkeit der Europäischen Union zum Drama im Mittelmeer besteht momentan darin, dass sich alle an den Flüchtlingen abputzen“, so Caritas-Präsident Franz Küberl gegenüber Kathpress. Damit werde keinem einzigen Menschen geholfen. Küberl: „Die Herausforderung muss mit einem Multipack an Maßnahmen angegangen werden: menschenwürdige Betreuung der Flüchtlinge, Bekämpfung der Schlepperbanden, Schaffung von sicheren Korridoren und einer gemeinsamen Entwicklungspolitik.“

Flüchtlinge unterwegs in das Einwanderungszentrum von Lampedusa

Reuters/Antonio Parrinello

Flüchtlinge unterwegs in das Einwanderungszentrum von Lampedusa

Situationen, die zu solchen Dramen führten und von politischen Entscheidungsträgern zu verantworten seien, seien eine „Schande“, so der Gründer der katholischen Gemeinschaft Sant’Egidio, Andrea Riccardi, in Anspielung an die deutlichen Worte von Papst Franziskus in einem Gastkommentar in der Tageszeitung „Der Standard“ (Mittwoch-Ausgabe).

Riccardi: Verantwortung übernehmen

Die Staaten in Europa und weltweit müssten etwas unternehmen und dürften sich nach der Tragödie von Lampedusa „nicht auf bloße Anteilnahme beschränken“, so Riccardi. Vielmehr gelte es, Verantwortung zu übernehmen und den Mut für Reformvorschläge der europäischen Flüchtlingspolitik aufzubringen. Das „Mindeste, was umgehend getan werden kann und muss“, sei erstens der Auf- und Ausbau eines effizienten internationalen Kontrollsystems an den Küsten des Mittelmeers, um kriminelle Machenschaften des Menschenhandels zu unterbinden.

Zweitens müsse die Entwicklungshilfe Europas für Afrika und die Krisen- und Kriegsregionen deutlich angehoben werden, um die Not der Betroffenen und damit deren Migrationsdruck zu lindern. Weiteres forderte Riccardi die Errichtung eines Aufnahmezentrums für Flüchtlinge auf Lampedusa oder Sizilien, die nicht einzig von Italien, sondern solidarisch und gemeinschaftlich von den EU-Staaten geschultert werden solle.

Außerdem sei Europa in der Verantwortung, Flüchtlingen, Migranten und Asylbewerbern auch faktische Integrationsmöglichkeiten mit entsprechend „würdigen Lebens- und Arbeitsbedingungen“ zu eröffnen.

Für die Opfer der Flüchtlingskatastrophe vor Lampedusa - bisher wurden 289 Leichen geborgen, an die 80 Passagiere des keinen Kilometer von der Küste entfernt gesunkenen Schiffs werden noch vermisst - fordert Riccardi „ein Staatsbegräbnis in Rom“. Es sei dies ein „wiederholtes menschliches Desaster“, für das die Flüchtlingspolitik und eine „vollkommen unzureichende“ Entwicklungspolitik in Europa mitverantwortlich sei. Mehr als 20.000 Menschen starben Schätzungen zufolge in den letzten 20 Jahren beim Versuch, von Nordafrika aus über das Mittelmeer in Richtung Europa zu flüchten.

Diakonie: Scheinmoral

Eine gewisse Schein- und Doppelmoral daran kritisierte auch der Direktor der evangelischen Diakonie Österreich, Michael Chalupka. Denn für Verfolgte und Flüchtlinge aus fernen Ländern gäbe es überhaupt keinen legalen Weg in die Europäische Union, sodass sie alternativlos auf Schlepper angewiesen und diesen ausgeliefert seien. „Die Menschen wenden sich dann an Schlepper, was furchtbar ist, und geben sozusagen ihr Letztes dafür. Die Europäische Union muss Wege schaffen, um sichere Korridore“ für Menschen in Not zu eröffnen, so Chalupka.

„Man kann nicht immer nur die Verantwortung auf jene Länder abschieben, in denen der Erstkontakt stattfindet“, so Chalupka in kritischer Anspielung auf die derzeitige Regelung in der Europäischen Union, wonach jenes Land für die Asylwerber zuständig ist, in dem diese zuerst europäischen Boden betreten.

Inhumane Gesetzesbestimmungen

Nach dem ergebnislosen Treffen der EU-Innenminister am Dienstag in Luxemburg dürfte eine entsprechende Änderung, gegen die vor allem Österreich und Deutschland entraten, jedoch nicht in Sicht sein. Chalupka gab jedoch zu bedenken, dass eine Überforderung von Ländern wie Italien inhumane Gesetzesbestimmungen befördere wie die für Empörung sorgende Regelung, Fischer zu bestrafen, die den in Seenot geratenen Flüchtlingen helfen.

Zum Problem einer gerechten Aufteilung der Flüchtlingsaufnahme innerhalb der Europäischen Union meinte Chalupka: „Ich denke, in Europa muss es gelten, dass die, die mehr tragen können, auch mehr tragen sollen. Das ist ein ethischer Grundsatz, an dem wir nicht herumkommen.“

Innenministerin Mikl-Leitner plädierte zwar für ein System, das „die Verantwortung gerecht aufteilt“, sieht Österreich jedoch nicht in der Pflicht, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Ablehnend äußerte sich die Innenministerin auch zur Forderung, Asylanträge wieder in Botschaften und europäischen Vertretungsbehörden stellen zu können, wie dies bis in die 1990er Jahre auch im österreichischen Recht vorgesehen war.

religion.ORF.at/KAP

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