Kirchenobere fordern Wende in der Flüchtlingspolitik

Der vatikanische Migrantenminister, Kardinal Antonio Maria Veglio, hat Europa eine „egoistische“ Flüchtlingspolitik vorgeworfen. Die italienische Regierung erwägt inzwischen, illegale Einreisen nicht mehr als Straftat zu ahnden.

Menschen, die vor Krieg und Not nach Europa flüchteten, dürften nicht als illegale Einwanderer behandelt werden, sagte Kardinal Veglio der italienischen Tageszeitung „La Repubblica“ (Samstagausgabe). „Waren alle Opfer, die im Meer vor Lampedusa ertranken, Übeltäter?“, so der Präsident des päpstlichen Migrantenrats mit Blick auf die häufigen Schiffskatastrophen. Diese Menschen seien auch Opfer einer „kurzsichtigen, egoistischen Politik“.

Wieder Flüchtlinge gestorben

Erst am Freitag starben bei einem neuen Schiffsunglück nach Angaben italienischer Medien mindestens 34 Flüchtlinge, deren Boot rund 60 Seemeilen vor Lampedusa kenterte. Andere Berichte sprechen von mindestens 50 Toten. Unter den Opfern seien auch viele Kinder. Wie es hieß, retteten Marine und Küstenwache mehr als 200 Menschen.

Flüchtlinge in einem Boot, ein kleiner Bub wird von einem Helfer getragen

Reuters/Antonia Parrinello

Viele kommen mit der Hoffnung auf eine lebenswerte Zukunft

Notwendig ist nach Veglios Worten eine Aufnahmebereitschaft, „die jeder Mensch guten Willens beweisen muss für diejenigen, die unter dramatischen Bedingungen leben müssen.“ Der Kardinal forderte insbesondere Italien auf, den Tatbestand der illegalen Einwanderung abzuschaffen. Dem entsprechenden Gesetz nach dürfen Nicht-EU-Bürger nur dann einreisen, wenn sie eine Arbeitsstelle im Land nachweisen können. Veglio hob jedoch hervor, die Bewältigung der wachsenden Migration aus den Krisenländern südlich des Mittelmeers sei eine gesamteuropäische Aufgabe.

Marx: Konkrete Solidarität nötig

Zu konkreter Solidarität mit Flüchtlingen seitens der Diözesen und Pfarren hat am Freitag der Münchner Kardinal Reinhard Marx, einer der acht Berater-Kardinäle des Papstes, aufgerufen. „Wir wollen die Flüchtlinge begleiten und betreuen. Dazu brauchen wir das Engagement der Ehrenamtlichen“, sagte der Erzbischof von München und Freising am Freitagabend bei der Herbstvollversammlung des Diözesanrats der Katholiken in Freising, wie das Laiengremium mitteilte. Generalvikar Peter Beer habe bereits in einem Schreiben alle Pfarreien seiner Erzdiözese angewiesen, zu überprüfen, wo die Kirche helfen könne, auch mit frei stehenden Unterkünften.

Ebenso wie Migrantenminister Veglio kritisierte auch der Münchner Kardinal erneut die europäische Flüchtlingspolitik: „Hinter der Tragödie von Lampedusa steckt der Gedanke, möglichst zu verhindern, dass jemand europäischen Boden betritt.“ Auch wenn Europa nicht jeden aufnehmen könne, „dürfen wir niemanden an den Grenzen zu Tode kommen lassen“, so der Erzbischof.

Zollitsch: Hoffnung auf Wende

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, hat ein Umdenken in der europäischen Flüchtlingspolitik gefordert. „Wir dürfen Europa nicht als Festung ausbauen, in die keiner mehr hinein darf“, sagte er der „Passauer Neuen Presse“ (Samstag). Er hoffe, dass die Tragödie vom Lampedusa zu einer Wende führe. „Ich glaube, dass jeder, der davon gehört hat, die Luft angehalten hat vor Scham.“

Europa sei angesichts der demografischen Entwicklung dringend auf Zuwanderung angewiesen. „In erster Linie geht es aber darum, Menschen in Not zu helfen“, sagte der Geistliche. Es sei besser, Flüchtlinge in Deutschland in kleineren Häusern und Wohnungen unterzubringen statt in Sammelunterkünften. „Dann besteht mehr Aussicht auf echte Akzeptanz in der Bevölkerung.“

Letta erwägt Gesetzesänderung

Der italienische Regierungschef Enrico Letta sprach sich für eine Änderung des in Italien geltenden Einwanderungsgesetzes aus, das die illegale Einreise als Straftat ahndet. „Italien muss neue Regeln für das Asylrecht einführen. Schlüsselfrage dabei ist, wie man Flüchtinge aus Staaten wie Syrien aufnehmen soll“, betonte Letta.

Die Tageszeitung „La Repubblica“ startete diese Woche eine Unterschriftensammlung, um das Einwanderungsgesetz so zu ändern, dass die illegale Einreise nach Italien künftig nicht mehr als Straftat geahndet wird. Rund 85.000 Unterschriften wurden in wenigen Tagen gesammelt, darunter jene prominenter Politiker, Intellektueller und Künstler. Auch die aus Kongo stammende italienische Integrationsministerin Cecile Kyenge unterstützt die Kampagne zur Änderung des Gesetzes.

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dpa/APA/KAP

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