Zulehner: Strukturreform noch aufschieben

Der emeritierte Universitätsprofessor und Pastoraltheologe Paul Zulehner erklärt im religion.ORF.at-Interview, warum die Erzdiözese Wien gut daran täte, ihre Reformpläne zu sistieren.

Herr Zulehner, die Erzdiözese Wien will in den kommenden Jahren die Anzahl ihrer Pfarren radikal reduzieren und jeder „Pfarre neu“ mehrere Filialgemeinden zuordnen. Was halten Sie von diesen Plänen?

Es ist keine Frage, dass die Kirche in einem tiefgreifenden Umbau steckt. Die Zeit, in der Katholischsein in Österreich Schicksal war, ist endgültig vorbei. Jetzt kann man sich ein- oder auswählen. Da ist es aber wichtig, ob wir als Kirche aus der Tiefe Gottes kommend nahe an den Menschen sind, gerade bei jenen, die wenig beweglich sind, bei den Familien mit kleinen Kindern, den Älteren, jenen, die eine kirchliche Gemeinschaft in Ruf- und Reichweite suchen und in ihr ein Dach über der Seele finden.

Aber was heißt das in der Praxis - Stichwort Strukturreform und Pfarrzusammenlegungen?

Dass es für einige Aufgaben ergänzend (subsidiär lehrt die Kirche) auch eine gute Zusammenarbeit bei einigen Aufgaben braucht, bezweifelt niemand. Größere pastorale Räume und bodenfeste gläubige Pfarrgemeinden schließen einander aber nicht aus. Die Seelsorge lässt sich optimieren, ohne Pfarren aufzulösen (abgesehen von jenen, die das selbst beschließen, um zu überleben).

Ist die Auflösung von einigen Pfarren angesichts der schwindenden Katholikenzahlen nicht unausweichlich?

Pfarren dürfen nicht nur als Verwaltungseinheiten missverstanden werden. Die Auflösung einer „gesunden“ Pfarre kommt dem Versuch gleich, eine lebendige Ehe durch die Kirche aufzulösen. Faktisch denken die Verantwortlichen laut Umfragen an die Auflösung, weil sie den Pfarren das Recht auf die Eucharistie, das Geld und den Pfarrer entziehen wollen.

Paul M. Zulehner

Kathbild/Franz Josef Rupprecht

Paul Zulehner

Was passiert, wenn eine Pfarre aufgelöst wird? Besteht nicht die Möglichkeit, dass durch die „Pfarre neu“ auch Neues entsteht?

Ich erlebe bei vielen Betroffenen im deutschen Sprachraum nach solchen Reformen eine Art innerer Kündigung, die durch nachgereichte spirituelle Appelle nicht gemindert wird. Außerdem werden manche Pfarreien dadurch von oben beschleunigt „aufgelöst“, weil - so ein Kommentar in meiner Umfrage - dank der Zentralisierung der Eucharistiefeiern ein Drittel dorthin geht, ein Drittel wegbleibt, und nur ein Drittel in die gemeindliche Wortgottesfeier kommen wird. Die neugemeindlichen Sonntagsversammlungen werden auf ein Drittel schrumpfen.

Die einzelnen Dekanate sind ja derzeit aufgefordert, sich selbst intern Möglichkeiten für mehr Zusammenarbeit zu überlegen. Haben Sie das Gefühl, dass diese Inputs in Wien auch wirklich Gehör finden werden oder hat man dort ohnehin schon unabhängig davon Pläne „in der Schublade“?

Manche Vorbilddiözesen wie z. B. Poitiers in Frankreich haben zur der Beteiligung der Betroffenen eine Synode durchgeführt. Es ist klug zu sagen, dass im Miteinander Aufgaben gefunden werden, die man gemeinsam angeht. Bewährte und anerkannte Beispiele sind die Bildungsarbeit, die Ausbildung von Mitarbeitenden, die Jugendarbeit, die Verwaltung, karitative Projekte, spirituelle Orte. Dass die Erzdiözese eine Top-down-Reform riskiert, ist eine gefährliche Versuchung.

Innerhalb der Erzdiözese Wien gibt es sehr unterschiedliche Ausgangslagen. Die Voraussetzungen in der Stadt und auf dem Land sind grundlegend verschieden - Katholikenanteil in der Bevölkerung, Besiedlungsdichte, Nähe der einzelnen Pfarren zueinander. Wird Ihres Erachtens vonseiten der Diözese darauf genug eingegangen?

Der Bischofsvikar Matthias Roch hat schon vor Jahren einen guten Entwurf erarbeitet, wie selbst mit weniger Priestern die Seelsorge stark und dorfnah bleiben kann. Wie ich sehe, sitzt er nicht in der „Steuerungsgruppe“. Manche klagen, dass die Reform von Personen gemacht wird, die keine Erfahrung mit pfarrlicher Pastoral haben. Diese scheinen überdies auch jenen Pastoraltheologen aufzusitzen, welche die Pfarre für überholt erklären. Dabei ist das feine Pfarrnetz deshalb schon ein Segen, weil es ein lückenloses Netz diakonaler Aufmerksamkeit ist. Je gröber bzw. löchriger das Netz, umso mehr Menschen fallen durch.

Cover des Buchs "Mit Freuden ernten"

Schwabenverlag

Buchhinweis

Paul M. Zulehner, Eckehard Roßberg, Anna Hennersberger: Mit Freuden ernten. Biblisches Saatgut für Zeiten und Prozesse des Übergangs.

Schwabenverlag, 136 Seiten, 12,99 Euro

Was ist die Alternative zur Auflösung von Pfarren?

Das Kernproblem ist, dass wir meinen, „im Rahmen“ reformieren zu müssen, der nur weltkirchlich verändert werden könne. Also letztlich unter den Bedingung, dass uns die Priester ausgehen. Dafür opfern wir sogar lebendige Pfarren und dünnen die Eucharistiefeiern aus. Es kann Wien und vielen anderen Diözesen passieren, dass sie „gehorsam“ im Rahmen verblieben sind, während inzwischen „Rom“ selbst den Rahmen verändert. Ich würde daher die Strukturreform so lange sistieren, solange Franziskus dabei ist, den Rahmen umzubauen. Sehr lange kann das nicht dauern.

Immer wieder hörte man bei der Diözesanversammlung die Forderung nach echter Einbindung der Laien. Wie steht es darum eigentlich wirklich in den Pfarren? Sind die Laien eingebunden?

In den meisten Pfarrgemeinden arbeiten Laien längst gut engagiert mit: so die Studie über die Pfarrgemeinderäte aus dem Jahr 2006. Von diesen gemeindeerfahrenen Personen könnten leicht demnächst einige ausgebildet und in Ältestenteams zu Priestern geweiht werden.

Wichtig ist, dass jene, die das Leben der Pfarrgemeinden tragen, dieses auch nachhaltig gestalten können. In dieser Richtung können die Administratoren in den Diözesen noch viel lernen. Die wirksame Beteiligung an der Strukturreform ist die Nagelprobe, ob man Laien wirklich will. Man kann nicht ohne sie reformieren und von ihnen dann verlangen, dass die die ungewollte Reform ausführen. Das hieße ja, den Hund zur Jagd tragen zu müssen.

Michael Weiß, religion.ORF.at

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