„Nichtarische“ Christen: Auch früh Konvertierte deportiert

Auch lange vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten zum Katholizismus konvertierte Jüdinnen und Juden wurden Opfer des NS-Rassenwahns, so die Kirchenhistorikerin Annemarie Fenzl.

Darauf wies die Leiterin des Wiener Diözesanarchivs am Montagabend im Rahmen der Gedenkwoche „Mechaye Hametim - Der die Toten auferweckt“ anhand der Lebensgeschichte einer Betroffenen, Lotte Fuchs, hin.

Im Unterschied zu vielen Juden, die sich erst im „Anschlussjahr“ 1938 im Irrglauben, so der NS-Verfolgung zu entgehen, taufen ließen, war Fuchs schon kurz nach ihrer Geburt Kirchenmitglied geworden. Die glühende Katholikin arbeitete bis zu ihrer Deportation in der „Hilfsstelle für nichtarische Katholiken“ unter Kardinal Theodor Innitzer, so Fenzl. Trotz Innitzers Bemühungen konnte er Fuchs nicht vor der Deportation 1941 nach Theresienstadt und der anschließenden Ermordung retten.

Antijüdische Haltung auch bei Katholiken

„Das Wachsen des Antisemitismus in der Ersten Republik und die Rolle der katholischen Kirche“ war Thema der Veranstaltung im Kardinal-König-Archiv des Erzbischöflichen Palais in Wien, bei der neben Fenzl auch der katholische Publizist Hubert Gaisbauer referierte. Das Archiv liegt in unmittelbarer Nähe zur ehemaligen „Hilfsstelle“, die im Dezember 1940 von Kardinal Innitzer gegründet wurde.

"Reibpartie" Wien 3, Hagenmüllergasse 15, März 1938.
Juden werden gezwungen, die Straße von politischen Parolen zu säubern.

Unbekannt/DÖW

„Reibpartie“ Wien 3, Hagenmüllergasse 15, März 1938. Juden werden gezwungen, die Straße von politischen Parolen zu säubern.

Fenzl beleuchtete ungeschönt die Hintergründe der auch unter Katholiken vorherrschenden antijüdischen Haltung in der Zwischenkriegszeit. Erst das Zweite Vatikanische Konzil revidierte die davor weit verbreitete Ansicht, wonach „die Juden“ als Christusmörder zu betrachten seien, erinnerte die Historikerin. Eine Rolle habe auch der vom jüdischen Großbürgertum geprägte Liberalismus gespielt, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts seinen Höhepunkt erlebte und antijüdische Ressentiments schürte.

Eigene „Judenbänke“ angedacht

So wie Innitzer für Lotte Fuchs hätten sich nicht viele katholische Verantwortungsträger der damaligen Zeit für nichtarische Katholiken eingesetzt, sagte Fenzl. Auf der großdeutschen Bischofskonferenz von 1941 sei beispielsweise darüber beraten worden, wie mit dieser Gruppe während der Messe zu verfahren sei.

Antisemitische Tafel am Eingang zu Schloss Schönbrunn: "Betreten für Juden verboten", 26. Juni 1938

Archiv Yad Vashem

Tafel am Eingang zu Schloss Schönbrunn: „Betreten für Juden verboten“

Die Errichtung eigener „Judenbänke“ in den einzelnen Kirchen sei dabei eine ernsthaft diskutierte Option gewesen, so Fenzl. Mit diesem Vorgehen habe die katholische Kirche einiges an Schuld auf sich geladen. Die Kirche habe sich schlicht nicht genug für ihre konvertierten Mitglieder eingesetzt, kritisierte die Diözesanarchivarin.

Papst Johannes XXIII. lernte dazu

Das Wirken Angelo Roncallis, des späteren Papst Johannes XXIII. stellte der Journalist und Autor Gaisbauer ins Zentrum seiner Ausführungen. Roncalli hatte sich in seiner Zeit als Apostolischer Nuntius in Istanbul um die Rettung von Jüdinnen und Juden verdient gemacht. Zu Beginn seiner Karriere sei er jedoch noch ein typisches „Kind seiner Zeit“ gewesen, wie es Gaisbauer bezeichnete. In Roncallis frühen Schriften falle noch eine klare antijudaistische Haltung auf, erläuterte Gaisbauer. Später jedoch habe der Norditaliener diese unter dem Eindruck des zunehmenden Terrors gegenüber den Juden revidiert.

In vielen Reden habe Roncalli die Pflicht jedes Christen betont, Nächstenliebe auch gegenüber Juden walten zu lassen. Damit sei er weit über seine Befugnisse hinausgegangen und habe sich im Vatikan viele Feinde gemacht, so Gaisbauer. Letztlich habe Johannes XXIII. viel zur Überwindung der christlich-jüdischen Differenzen beigetragen, die das Konzil mit der Erklärung „Nostra Aetate“ zur „nicht revidierbaren“ (Zitat Kardinal Christoph Schönborn, Anm.) kirchlichen Linie machte.

Dem Gedenken „Mechaye Hametim - Der die Toten auferweckt“ kommt heuer besondere Bedeutung zu, da sich die Novemberpogrome von 1938 zum 75. Mal jähren. In Erinnerung an die damaligen Ereignisse finden bis 13. November zahlreiche Veranstaltungen statt.

religion.ORF.at/KAP

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