Theologe Pock: „Vatikanfragebogen ist ambivalent“

Theologe Johann Pock hat sich für religion.ORF.at den vatikanischen Fragebogen zu „Ehe und Familie“ angesehen und entdeckt Vorurteile, etwa über Homosexualität, aber auch Reformansätze.

Im Oktober hat der Vatikan zur Vorbereitung der im kommenden Jahr stattfindenden außerordentlichen Bischofssynode zum Thema „Ehe und Familie“ einen Fragebogen an die regionalen Bischofskonferenzen gesandt, ein durchaus üblicher Vorgang. Doch aufhorchen ließ das Begleitschreiben von Erzbischof Lorenzo Baldisseri, dem Generalsekretär der Bischofssynode. Es legt nahe, dass auch Gläubige in den Dekanaten und Pfarren befragt werden sollen. Ein neues Prozedere in der Vorbereitung von Bischofssynoden.

Portrait von Johann Pock, Pastoraltheologe Uni Wien

ORF/Marcus Marschalek

Für „ambivalent“ hält Johann Pock, Pastoraltheologe an der Universität Wien, den vatikanischen Fragebogen zu „Ehe und Familie“

Im Gespräch mit religion.ORF.at sieht Johann Pock, Professor für praktische Theologie an der Universität Wien, ein neues, bisher nicht da gewesenes Interesse des Vatikan an der Erfahrung und Meinung der Menschen.

religion.ORF.at: Herr Professor Pock, wie schätzen Sie den medial viel beachteten Fragebogen des Vatikan zu „Ehe und Familie“ ein?

Johann Pock: Die Bischöfe sind immer wieder vor Synoden zu unterschiedlichen Themen gefragt worden. Das Neue ist, dass jetzt die Bischöfe auch aufgefordert werden ausdrücklich die Menschen in ihren Diözesen zu befragen. Der verschickte Fragebogen ist in einigen der Fragestellungen sehr brisant. Ein Papst hat die Katholikinnen und Katholiken noch nie gefragt, wie es ihnen in Situationen geht, die von der römisch-katholischen Kirche als illegitim angesehen werden. Nun wird abgefragt, was die Menschen denken, was ihre Umgangsweisen mit diesen Fragen sind. Homosexuelle, wiederverheiratete Geschiedene, das sind Menschen in Lebenssituationen die Papst Franziskus jetzt interessieren.

religion.ORF.at: Der Zeitrahmen für eine mögliche Befragung ist sehr eng. Bereits im kommenden Jänner sollen die Antworten nach Rom übermittelt werden. Wie kann so eine Befragung überhaupt durchgeführt werden?

Johann Pock:
Die Befragungen der regionalen Bischofskonferenzen ihrer Gläubigen wird sehr unterschiedlich gehandhabt werden. Es wird jedenfalls für große neue Studien kaum Zeit sein. Das heißt, man wird versuchen auch bereits vorhandene Umfragen zu nutzen. In Österreich hat man ja dazu in den verschiedenen Dialogprozessen der letzten Jahre viel Material gesammelt. Und man wird versuchen über Onlineplattformen zu den Meinungen der Menschen zu kommen. Die Herausforderungen von solchen offenen Frageprozessen ist, dass sich möglichst viele und nicht nur einzelne Gruppen beteiligen. Das geht nur durch Bekanntmachen des Fragebogens über die Medien und das geschieht derzeit auch sehr offensiv.

religion.ORF.at: Wie sehr wird die Österreichische Bischofskonferenz die Antworten der Menschen auf den Fragebogen selektieren und filtern?

Johann Pock:
So wie ich das verstanden habe, ist die Österreichische Bischofskonferenz wirklich bereit die Antworten, die von den Leuten kommen, auch so nach Rom weiterzugeben. Also ich glaube nicht, dass da noch einmal gefiltert wird und man sagen wird, das braucht Rom nicht zu wissen, oder dieses oder jenes ist nicht so wichtig. Die Bischöfe werden aber sicher auch ihre Antworten formulieren, danach werden sie ja auch gefragt und diese werden sie ebenfalls mitschicken.

religion.ORF.at: Wie schätzen Sie den Stil des Fragebogens ein?

Johann Pock:
Das Dokument hat viele sehr offene Fragen und es kommt immer wieder das Wort „pastoral“ vor, etwa „pastorale Situationen“, „pastorale Handlungsweisen“. Man blickt auf die Menschen und gleichzeitig ist vieles im alten Stil gehalten. So schätzt man etwa Homosexualität doch noch sehr negativ ein. Der Fragebogen ist ambivalent. So gibt es auch einige Fragen die Menschen verletzen könnten. Vor allem der erste Teil ist wirklich sehr konservativ. Da ist von „irregulären Ehesituationen“ die Rede. Hier ist schon eine Einschätzung von wiederverheiratet Geschiedenen vorhanden und es wird bereits im Vorfeld geurteilt. Es zeigt sich da im Hintergrund doch noch ein sehr altes, konservatives Verständnis von Ehe und Familie. Doch das könnte jetzt vielleicht langsam aufgebrochen werden.

Portrait von Johann Pock, Pastoraltheologe Uni Wien

ORF/Marcus Marschalek

Johann Pock ist überzeugt, dass durch den vatikanischen Fragebogen alte Positionen durchaus hinterfragt und aufgebrochen werden

religion.ORF.at: Wer ist eigentlich der Adressat des Dokuments?

Johann Pock:
Der Fragebogen selbst ist grundsätzlich an Bischöfe, an Theologen gerichtet. Ein guter Teil der Fragen ist so formuliert, dass man ein Insider sein muss, etwa bei den Fragen nach dem Naturrecht. Ein Teil der Fragen überfordert sicher die Menschen an der Basis. Aber es wird auch gefragt, was gibt es an Möglichkeiten des Umgangs mit schwierigen Situationen in den Gemeinden? Welche Erfahrungen wurden bereits gemacht? Was haben die Verantwortlichen in den Dekanaten und Pfarren da schon entwickelt? Was stellen sich die Betroffenen vor? Und genau das ist neu, dass auch die Betroffenen zu Wort kommen können.

religion.ORF.at: Welches Potential sehen sie in der Sondersynode zum Thema Ehe und Familie?

Johann Pock:
Das Spannende an der Sondersynode zum Thema Ehe und Familie wird sein, ob man die traditionelle Lehre der Katholischen Kirche zu Ehe und Familie noch besser bekannt machen möchte - das wäre ein klassischer Prozess von oben herab - oder ob man bereit ist, die eigene Lehre zu hinterfragen, vom Leben der Menschen her. Also wenn man das ernst nimmt, was man hier beginnt, nämlich Menschen zu befragen die betroffen sind, heißt das, dass diese Synode die Offenheit haben könnte selber zu lernen, sie könnte neue Konzepte und neue Zugangsweisen entwickeln. Tradition angesichts einer neuen Situation neu zu formulieren, das war auch der Prozess am II. Vatikanischen Konzil, auch da brach ja bekanntlich Vieles neu auf.

relgion.ORF.at, Marcus Marschalek

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