EU: „Estrela-Bericht“ nach Kirchen-Kritik abgelehnt

Das EU-Parlament hat am Dienstag den „Estrela-Bericht“ über „Rechte auf dem Gebiet der sexuellen und reproduktiven Gesundheit“ abgelehnt. Zahlreiche kirchliche Organisationen hatten im Vorfeld protestiert.

Mit einer knappen Mehrheit von 334 zu 327 Stimmen votierten die Abgeordneten für einen alternativen Entschließungsantrag, den die konservativen Fraktionen eingebracht hatten. Sowohl die Festlegung der Gesundheitspolitk, die Organisation des Gesundheitswesens und der medizinischen Versorgung als auch die schulische Sexualerziehung ist und bleibt alleinige Zuständigkeit der EU-Mitgliedsstaaten, heißt es in dem agenommenen Änderungsantrag.

Im Vorfeld der Abstimmung hatten unter anderem die katholischen Bischöfe Österreichs und Deutschlands den Europaabgeordneten nahegelegt, den „Estrela-Bericht“ abzulehnen. Die Entschließung des nach der portugiesischen Europaabgeordneten Edite Estrela benannten Berichts war vom Ausschuss für Frauenrechte und Gleichstellung vorgelegt worden.

Sprengstoff für Katholiken

Hinter dem etwas sperrigen Titel verbirgt sich für Katholiken Sprengstoff: Unter anderem ging es in dem Entschließungsantrag um das Recht auf „sichere und legale Schwangerschaftsunterbrechung“ sowie einen obligatorischen Sexualkundeunterricht für Buben und Mädchen in der Schule. Dieser Unterricht müsse „nicht diskriminierende Informationen“ enthalten und ein „positives Image“ von Homosexuellen, Lesben oder Bisexuellen vermitteln, hieß es in der Entschließung weiter.

Obwohl es sich bei dem Bericht nur um eine Meinungsäußerung des Europaparlaments gehandelt hätte, die für die 28 EU-Staaten nicht verbindlich gewesen wäre, löste das Vorhaben bei konservativen Familienverbänden sowie katholischen Bischöfen einen Sturm der Entrüstung aus. In E-Mails und Briefen fordern sie die 766 Europaabgeordneten seit Wochen auf, gegen die Entschließung zu stimmen.

EU-Parlamentarier bei einer Abstimmung

Reuters/Vincent Kessler

EU-Parlamentarier bei einer Abstimmung

Der Präsident der Europäischen Humanistischen Föderation (EHF), Pierre Galand, hatte die Abgeordneten seinerseits aufgefordert, sich durch das „massive Spamming bestimmter reaktionärer Organisationen“ und die „Agitation“ einiger religiöser Gruppen nicht beeindrucken zu lassen.

Estrela reagierte enttäuscht auf das Scheitern ihrer Resolution. „Obskurantismus und Heuchelei haben die Oberhand gewonnen“, bedauerte die 64-jährige Portugiesin. Sie hoffe, dass sich bei der kommenden Europawahl im Mai viele Wähler an diese „schändliche Abstimmung“ erinnern werden. Dies sei ein „Tag der Trauer“ für die Frauen in der EU, betonte die französische Sozialistin Sylvie Guillaume.

Österreich: Kritik von Grünen

In Österreich meldete sich zunächst die Frauensprecherin der Grünen, Berivan Aslan, zur Abstimmung zu Wort. „Die Ablehnung des Berichts über sexuelle und reproduktive Gesundheit, der nicht nur von zentraler gesellschaftlicher Relevanz ist, sondern das körperliche und seelische Wohlbefinden in Bezug auf Sexualität und Fortpflanzung in Vordergrund stellt, ist gerade am Tag der Menschenrechte ein erschreckendes Signal“, so Aslan in einer Aussendung. „Gerade für Frauen und Mädchen würde die Annahme des Berichts viele Verbesserungen mit sich bringen. Dass das Europaparlament gegenüber ultrakonservativem Lobbying eingeknickt ist, ist sehr bedenklich.“

Die Frauensprecherin der ÖVP im Europäischen Parlament, Elisabeth Köstinger, begrüßte indes das Abstimmungsergebnis. „Für Fragen des Schwangerschaftsabbruchs, der Familienplanung und der sexuellen Erziehung ist die EU nicht zuständig“, so Köstinger. Dies sei auch der Grund, warum die ÖVP keine inhaltlichen Änderungen an dem kontroversen Text vorgeschlagen habe. „Es wäre besser, wenn sich das Europäische Parlament zu diesen Fragen gar nicht äußern würde. Es ist weder wünschenswert noch sinnvoll, dass die EU für diese Themen eine Zuständigkeit bekommt“, betonte Köstinger heute in Straßburg. „Dies ist ein Sieg der Vernunft.“

Abstimmung nach Protesten verschoben

Im Frauenausschuss des EU-Parlaments hatte der Bericht bereits eine Mehrheit gefunden, und eigentlich sollte das Plenum bereits am 22. Oktober darüber abstimmen. Doch dazu kam es nicht. Nach lautstarken Protesten von Konservativen und Rechtsextremen und aufgeheizten Redeschlachten zwischen Gegnern und Befürwortern wurde die Vorlage an den Ausschuss zurückverwiesen.

Das Gremium strich einige besonders umstrittene Passagen heraus, etwa die Forderung nach Sexualerziehung „in einer sicheren, tabufreien und interaktiven Atmosphäre zwischen Schülern und Erziehern“ und nach Zugang zu „medizinisch unterstützter Fortpflanzung“ für alleinstehende und lesbische Frauen. Nach der Abstimmung vom Dienstag ist klar: Die Änderungen waren nicht genug.

Bischöfe: Eingriff in Menschenrechte

Die katholischen Bischöfe in Österreich und Deutschland hatten den Europaabgeordneten nahegelegt, gegen den Bericht zu stimmen. „Ich finde es demokratiepolitisch bedenklich, dass ein kontroverser Bericht, der in elementare Menschenrechte eingreift, ohne die Möglichkeit zur Debatte zur Abstimmung gelangen soll. Man kann den Eindruck gewinnen, dass hier etwas durchgepeitscht wird“, so der österreichische Familienbischof Klaus Küng am Montag, der die Europaparlamentarier dazu ermutigt, „gegen den Estrela-Bericht zu stimmen“.

Der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, bezeichnete den Bericht im Vorfeld als inhaltlich hochproblematisch. „Wie ein roter Faden zieht sich die Infragestellung beziehungsweise Marginalisierung elementarer Menschenrechte wie der Menschenwürde, des Rechts auf Leben und der Gewissensfreiheit durch den Bericht“, so der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz. Ein vermeintliches Recht auf Abtreibung werde propagiert, hinter dem alle anderen Rechte zurückzutreten hätten.

Schönborn: „Lebensbejahende Alternativen bieten“

Kardinal Schönborn kritisiert am Estrela-Bericht, dass dieser „eine Verharmlosung der Abtreibung und ein Schritt zu einer verhängnisvollen Normalisierung der Tötung menschlichen Lebens“ sei.

Der Vorsitzende der Österreichischen Bischofskonferenz bezieht sich in seiner Stellungnahme darauf, dass der Bericht nicht nur für die Straffreiheit der Abtreibung eintritt, sondern dass Abtreibung als ein Menschenrecht bewertet wird und ihre Vornahme damit ein Pflichtangebot der staatlichen Gesundheitsfürsorge in der gesamten EU werden soll. Überdies habe der Bericht vorgesehen, diese Regeln auch auf alle Länder anzuwenden, denen die Europäische Union Entwicklungshilfe gewähre.

religion.ORF.at/APA/KAP/KNA

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