Kiewer Patriarchat: Keine Fürbitten mehr für Regierung

Aus Protest gegen die Schüsse auf Demonstranten stellt eine der größten Kirchen der Ukraine die Fürbitten für die Regierung in ihren Gottesdiensten ein. Ab sofort wird stattdessen für das Volk gebetet.

Das teilte das ukrainisch-orthodoxe Kiewer Patriarchat am Donnerstagabend mit. Der Heilige Synod, dem Patriarch Filaret (Denysenko) und zehn Bischöfe angehören, begründete das damit, dass die Regierung Aufrufe der Kirchen missachtet habe, keine Menschen zu töten oder gegen sie Gewalt anzuwenden. Unter den Toten ist mittlerweile auch ein Dozent an einer kirchlichen - aber nicht orthodoxen - Hochschule.

Gebete für „unsere gottbehütete Ukraine“

Bisher gab es zu Beginn jedes Gottesdienstes eine Fürbitte „für unsere gottbehütete Ukraine, unsere Regierung und das Heer“. Nun wird für „unsere gottbehütete Ukraine und das ukrainische Volk“ gebetet. Im Unterschied zur westlichen Trennung von Staat und Kirche sieht die orthodoxe Theologie das Verhältnis beider Größen als gegenseitige Stützung von weltlicher und geistlicher Macht, die sogenannte „Symphonia“. Ein Verzicht auf Fürbitten für die Regierenden ist demnach eine gewichtige politische Aussage.

Demonstrantin zündet Kerze in der Zeltkirche in Kiew an

APA/EPA/Sergey Dolzhenko

Eine Demonstrantin zündet Kerze in der Zeltkirche in Kiew an

In der Ukraine gibt es eine orthodoxe Kirche des Kiewer und eine des Moskauer Patriarchats. Zu ihnen bekennen sich laut Umfragen ungefähr gleich viele Menschen. Die Kirche des Moskauer Patriarchats hat allerdings deutlich mehr Pfarren.

Neue Zeltkapelle auf Maidan

Wie der ukrainische Pressedienst RISU am Freitag berichtet, sei zwei Tage nach der Zerstörung einer Zeltkapelle auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz (Maidan) dort eine neue Gebetsstätte errichtet worden. Die griechisch-katholische Kapelle, die außen mit einem Holzkreuz geschmückt ist, soll auch für Gottesdienste anderer Konfessionen offen stehen. Die Berkut-Sondereinheit des Innenministeriums hatte nach Angaben der griechisch-katholischen Kirche am Dienstag das erste Gebetszelt in Brand gesetzt.

Es war von Priestern Anfang Dezember wenige Tage nach Beginn der Massenproteste gegen die Regierung an der Denkmalsäule auf dem Maidan aufgestellt worden. Das Kulturministerium hatte Anfang Jänner der griechisch-katholischen Kirche wegen der nicht genehmigten Zeltkapelle mit dem Entzug des Status einer Glaubensgemeinschaft gedroht. Wenige Tage später lenkte das Ministerium jedoch ein.

Dozent der Katholischen Universität getötet

Orthodoxe, griechisch-katholische und römisch-katholische Priester nutzten das alte Zelt abwechselnd für Gottesdienste. Auf dem Maidan steht hinter der Bühne auch eine von protestantischen Geistlichen errichtete Zeltkapelle. Mehrmals täglich beten auf der Bühne des Platzes Geistliche mit den Demonstranten.

Am Donnerstag war bei den Ausschreitungen am Maidan neben anderen Demonstranten auch ein Dozent der Katholischen Ukrainischen Universität getötet worden. Das bestätigte ein Sprecher der Hochschule im westukrainischen Lviv (Lemberg) der deutschen katholischen Nachrichtenagentur KNA.

Laut Kiewer Medien wurde der 28 Jahre alte Historiker Bogdan Soltschanik auf dem Maidan von Scharfschützen erschossen. Der Sprecher der Universität konnte die Einzelheiten zunächst weder bestätigen noch andere Details zu den Todesumständen nennen. Soltschanik unterrichtete Neuere ukrainische Geschichte.

Caritas hilft Verletzten

Die deutsche Caritas hilft unterdessen in Kiew über ihre örtliche Schwesterorganisation bei der Versorgung der Verletzten in mobilen Lazaretten, Krankenstationen und Krankenhäusern. Für Schwerverletzte wird eine längerfristige psychologische Betreuung vorbereitet. Die ukrainische Caritas rief alle Seiten zu Verhandlungen auf. Es gelte, an den Verhandlungstisch zurückkehren. Dann müsse ein Friedensplan entwickelt werden. Der Rat der Kirchen und religiösen Organisationen könne bei der Suche nach friedlichen Lösungen als Vermittler eine wichtige Rolle spielen.

Bei den schweren Zusammenstößen von Polizei und Demonstranten in Kiew sind seit Dienstag nach Regierungsangaben 77 Menschen ums Leben gekommen. In den vergangenen 24 Stunden wurden demnach 82 Menschen in Krankenhäuser eingeliefert.

religion.ORF.at/KAP

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