Religionen warnen vor Teilung der Ukraine

Der Gesamtukrainische Rat der Kirchen und Religionsgemeinschaften hat vor einer Teilung des Landes gewarnt. Die gespaltenen Kirchen rücken näher zusammen und Juden beklagen antisemitische Übergriffe.

Der Rat „verurteilt kategorisch jede Diskussion über eine mögliche Teilung unseres Vaterlandes und jeden Versuch des Separatismus, der die Einheit und territoriale Integrität der Ukraine bedroht“, heißt es in einer am Wochenende veröffentlichen Erklärung. Eine Teilung wäre eine „Sünde vor Gott und künftigen Generationen unseres Volkes“. Die Stellungnahme unterzeichnete der Ratsvorsitzende, Metropolit Antonij. Er ist Kanzler der ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats.

Besonders die Halbinsel Krim droht mit einer Abspaltung von der Ukraine, falls Staatspräsident Viktor Janukowitsch abgesetzt würde. Der Gesamtukrainische Rat der Kirchen und Religionsgemeinschaften vertritt nach eigenen Angaben rund 75 Prozent der Ukrainer. Ihm gehören 18 christliche, muslimische und jüdische Glaubensgemeinschaften an.

Ukrainer bei einem Gedenken der Opfer im Zentrum von Kiew.

Reuters/Stringer

Tausende Ukrainer gedachten am Wochenende im Zentrum von Kiew den Opfern der Auseinandersetzungen

Moskauer Patriarch: Konflikt in der Ukraine beenden

Mit Trauergottesdiensten hat die Bevölkerung in der ganzen Ukraine am Sonntag der mehr als 80 Toten der Straßenschlachten zwischen Polizisten und Demonstranten gedacht. In den orthodoxen Kirchen wurde ein Hirtenbrief des Moskauer Patriarchen Kyrill I. verlesen. Darin sprach er den Angehörigen sein Beileid aus und rief zu einem Ende der Unruhen in der Ukraine auf. Es sei „unerträglich schmerzhaft“, von den vielen Opfern in Kiew und den Unruhen in einigen Regionen des Nachbarlandes zu hören, schreibt der Moskauer Patriarch in dem Hirtenbrief. Die gesamte Kirche bete für Frieden und für die Beilegung des „Bruderzwistes“.

Geteilte Kirchen

Im Zuge der 1991 erlangten Unabhängigkeit des Landes von der Sowjetunion hatte sich ein großer Teil der orthodoxen Kirche vom Moskauer Patriarchat getrennt und ein Kiewer Patriarchat gegründet. Damit sollte der Einfluss Moskaus zurückgedrängt werden. Theologische Unterschiede standen nicht im Vordergrund.

Das Schisma löste einen erbitterten Kampf um Kirchengebäude im ganzen Land aus. Wegen der Kirchenspaltung exkommunizierte ein russisch-orthodoxes Bischofskonzil den Kiewer Patriarchen Filaret und belegte ihn zudem mit dem strengsten Kirchenbann, dem Anathema. Zu beiden Kirchen bekennen sich laut Umfragen ungefähr gleich viele Menschen. Die Kirche des Moskauer Patriarchats hat allerdings deutlich mehr Pfarren.

Gespaltene Kirchen, geteilte Ansichten

Bislang sei die Gefahr des Bürgerkrieges abgewendet worden, so Kyrill I. Aber dieses Szenario könne doch noch eintreten, wenn moralische Gebote aufgegeben würden oder die Bürger sich selbst, einander gegenseitig und das Gesetz nicht respektierten. Ausdrücklich dankte er den ukrainischen Bischöfen und Priestern dafür, dass sie „inmitten aller Appelle und Parolen aller möglichen Überzeugungen die innere Kraft für konsequente Aufrufe zum Frieden und zur Bruderliebe gefunden“ hätten. Den Angehörigen der Todesopfer sprach er sein Beileid aus.

Auf die vom ukrainischen Parlament am Samstag beschlossene Absetzung von Staatspräsident Viktor Janukowitsch ging der Patriarch in dem Hirtenbrief nicht ein, weil das Schreiben bereits davor verfasst worden war. Im Gegensatz zu Kyrill I. hatte der Leiter der Abteilung des Moskauer Patriarchats für die Beziehungen zur Gesellschaft, Erzpriester Wsewolod Tschaplin, Ende Jänner ein Eingreifen Moskaus in den Kiewer Machtkampf verlangt. Die Russen sollten den Ukrainern gegen die „Invasion einer neuen Horde“ von Regierungsgegnern helfen.

Patriarch Filaret

Reuters/Gleb Garanich

Patriarch Filaret

Filaret für Wiedervereinigung der Kirchen

Das Oberhaupt der von Moskau abgespaltenen orthodoxen Kirche des Kiewer Patriarchats, Filaret, sagte, die Menschen sollten ihre Feinde lieben. In einem TV-Interview sprach er sich für eine Bestrafung der Täter aus. Alle müssten sich für ihre Taten verantworten.

Filaret schlug der ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats zugleich eine Wiedervereinigung beider Konfessionen vor. Angesichts der jetzigen Tragödie sollten beide Kirche ihre seit mehr als 20 Jahren andauernde Teilung überwinden. Dies würde auch die Bevölkerung einigen. Die Moskauer Kirchenspitze befürchtet dagegen laut Beobachtern, dass im Zuge des politischen Umbruchs die mit ihr in der Ukraine konkurrierende Kirche des Kiewer Patriarchats an Gewicht gewinnt.

Rabbi rät Juden zum Verlassen von Kiew

Aus Angst vor antisemitischen Übergriffen inmitten des Chaos in Kiew hat indes der ukrainische Rabbiner Moshe Reuven Asman die Juden zum Verlassen der Stadt aufgefordert. „Ich habe meine Gemeinde aufgefordert, das Stadtzentrum und auch die ganze Stadt zu verlassen und wenn möglich auszureisen“, zitierte ihn die israelische Zeitung „Haaretz“ am Samstag. „Ich will das Schicksal nicht herausfordern, aber es gibt ständig Warnungen über mögliche Angriffe auf jüdische Einrichtungen“, habe der Rabbiner der Zeitung „Maariv“ gesagt. Die Schulen der Gemeinden habe er schließen lassen.

Auch die israelische Botschaft in Kiew habe Juden gewarnt, vorerst ihre Häuser nicht zu verlassen. Die Regierung müsse alles unternehmen, um Übergriffe auf Juden zu stoppen. In den vergangenen Wochen waren Juden wiederholt auf offener Straße von Unbekannten verprügelt worden. Nach offiziellen israelischen Angaben lebten 2012 noch etwa 250 000 Juden in der Ukraine. Etwa ebenso viele hatten das Land in den 1990er Richtung Israel verlassen. Antisemitische Äußerungen sind in manchen Teilen der früheren Sowjetunion keine Seltenheit.

religion.ORF.at/KAP/KNA/dpa

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