Ein Jahr Franziskus: „Ein Papst ohne Spitzenkleidchen“

Vor einem Jahr hat der Argentinier Jorge Mario Bergoglio als Papst Franziskus die Leitung der römisch-katholischen Kirche übernommen. Seither hat sich einiges verändert - vor allem das Papst-Amt an sich.

Vor genau einem Jahr trat ein fast eingeschüchtert wirkendender Mann auf die Loggia des Petersdoms in Rom und begrüßte die Welt mit den einfachen Worten „Buona sera“. Die katholische Kirche hatte mit Franziskus einen neuen Papst, und schon in dieser Szene kündigte sich an, dass vieles anders sein würde als unter seinem Vorgänger. Ein Jahr später hat sich dieser Verdacht zumindest teilweise bestätigt.

Zwar gibt es bei den „heißen Eisen“ – also etwa in Bezug auf die Sexualmoral und das Frauenbild der Kirche - bisher kaum Bewegung, in Strukturfragen und vor allem im päpstlichen Amtsverständnis hat sich aber doch einiges getan. „Das Frauenpriestertum bleibt verboten, der Zölibat ist noch nicht aufgehoben, über die Sexualmoral der katholischen Kirche kann man noch immer so trefflich streiten wie vor einem Jahr. Also das ist alles gleich geblieben“, sagte Matthias Drobinski, Vatikan-Experte der „Süddeutschen Zeitung“, gegenüber dem ORF-Religionsmagazin „Orientierung“.

Franziskus „ändert Realität“

„Ein Papst, der nicht im Spitzenkleidchen daherkommt, sondern sehr einfach und bescheiden, und der in einer bestimmten Art lebt, ändert Realität“, meint der Journalist, „und zwar nicht nur für sich, sondern für die gesamte Kirche. Und das, glaube ich, sieht er sehr klug und sehr genau.“

Mit seiner Art, das Amt zu leben, habe Franziskus auch für seine Nachfolger vorgelegt. Nachdem er das Gästehaus dem Apostolischen Palast und einen einfachen Kleinwagen dem pompösen Papamobil vorgezogen habe, könnten künftige Päpste ihr Amt nicht mehr so ausüben, wie das Johannes Paul II. oder Benedikt XVI. getan hätten, so Drobinski. „Da hat sich etwas geändert, das nicht mehr so leicht rückgängig zu machen ist.“

„Realismusschub“ für die Kirche

Der Fragebogen zu Ehe- und Familienthemen, den der Vatikan im vergangenen Dezember in Vorbereitung der für Herbst angekündigten Bischofssynode in die ganze Welt geschickt hatte, bedeute einen „Realismusschub“ für die Kirche, so Dobrinski. Darüber hinaus sieht der Journalist darin eine „gewisse List“ von Franziskus, weil dieser Änderungen nicht einfach per Dekret durchsetze, sondern zunächst der Kirche den Spiegel vorhalte und damit eine Diskussion anstoße.

Ähnlich sieht das der deutsche Dogmatiker Wolfgang Beinert. Die Gläubigen auf diese Weise zu befragen, das sei nicht einfach eine Umfrage wie jede andere, sondern aus theologischer Sicht ein „gewaltiger Schritt“, meinte Beinert: „Der ‚Sensus Fidelium‘, der Glaubenssinn der Gläubigen, ist für einen Theologen ein Erkenntniskriterium des Glaubens so wie die Heilige Schrift, so wie das Lehramt der Kirche. Das heißt, der Papst hat ein wesentliches Instrument der Glaubenserkenntnis reaktiviert.“

Relativierung des Amtes

Doch der Fragebogen ist nicht das einzige Novum in diesem ersten Pontifikatsjahr. Vor allem auf struktureller Ebene war Franziskus aktiv: Er führte mit dem „K8“-Kardinalsrat ein neues Beratergremium ein, besetzte mehrere wichtige Stellen im Vatikan neu und schuf zuletzt sogar ein eigenes „Wirtschaftsministerium“ für den Kirchenstaat. Auch die Bischofssynode, den Rat aller Bischöfe der Weltkirche, möchte Franziskus dem Vernehmen nach aufwerten.

Alle diese Reformansätze stehen für Beinert unter einem Titel: „Reform der Kirche“. Dass dabei in Bezug auf die Lehre noch nicht allzu viel passiert sei, hält er für kein großes Problem: „Das Wesentliche besteht nicht darin, dass man alles tut, sondern dass man die Weichen stellt“, sagte Beinert. „Franziskus wird diesen Zug nicht bis zur Endstation begleiten können, das ist ganz klar, aber er kann die Weichen stellen. Und wenn der Zug einmal auf dem anderen Gleis ist, kommt er nie wieder auf das vorige Gleis.“

Der „Zug“ Vatikan fährt derzeit eindeutig in Richtung Dezentralisierung. Der Papst stelle das mit den ersten Schritten einer Strukturreform, die bereits ergriffen wurden, unter Beweis, sagte die Wiener Pastoraltheologin Regina Polak. „Damit signalisiert er, dass er ein Papst ist, der sich beraten lässt. Das sind Zeichen, mit denen er versucht, das Papst-Amt zu entmachten. Das war ja schon in der Antrittsrede, bei der Begrüßung, sehr deutlich, als er sich als Bischof von Rom bezeichnet hat.“

Zeichen der „gelebten Kollegialität“

Auch wenn Franziskus in seinem Lehrschreiben „Evangelii Gaudium“ immer wieder nationale Bischofskonferenzen zitiere, sei das ein klares Statement in diese Richtung, meint Andreas Batlogg, Chefredakteur der deutschen Jesuiten-Zeitschrift „Stimmen der Zeit“, in der im vergangenen Sommer die deutschsprachige Version des ersten großen Interviews von Papst Franziskus erschien. „Das Papst-Amt steht in diesem Sinn zur Disposition. Er spricht von einer notwendigen Dezentralisierung, und wenn er Bischofskonferenzen zitiert, ist das auch so etwas wie gelebte Kollegialität.“

Franziskus ändere aber nicht nur Strukturen und Beratungsgremien, er reformiere durch seine Persönlichkeit auch das Image des Amts an sich. „Die stärkste Veränderung bringt er durch seine eigene Person, durch seinen Lebensstil, durch seine Verkündigung, seine Ansprachen, seine Schriften, aber vor allem auch durch die Zeichen die er setzt“, sagt der Wiener Erzbischof Kardinal Christoph Schönborn. „Ich denke da zum Beispiel an unsere Fiaker hier vor dem Dom. Wenn die mir sagen: ‚Herr Kardinal, Ihr Chef ist super!‘, dann ist das ein etwas ungewohntes Echo. Aber er legt uns auch die Latte hoch.“

Ende der „Aura der Unnahbarkeit“

Auch Batlogg sieht in der Persönlichkeit von Franziskus eine der größten Veränderungen gegenüber seinem Vorgänger: „Wenn er im Gästehaus aufsteht vom Frühstück und sich nochmals ein Joghurt holt, das ist man gar nicht gewohnt von einem Papst. Das sind ganz normale Dinge, und das stört, würde ich sagen, die vatikanischen Apparatschicks ganz gewaltig, weil der Papst bisher von einer Aura der Unnahbarkeit gekennzeichnet war.“

Vom Recht her sei Franziskus zwar wie seine Vorgänger ein absoluter Monarch geblieben, der Unterschied liege aber in der Ausgestaltung dieses Anspruchs: „Er gibt dem ein ganz eigenes Profil“, so Batlogg, „und ich denke, es war an der Zeit. Insofern ist für mich Benedikt XVI. der letzte Repräsentant einer Art von Ausgestaltung des Papsttums, die vermutlich passe ist.“

Michael Weiß, religion.ORF.at; Interviews: Christoph Riedl für das ORF-Religionsmagazin „Orientierung“

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