Kasper-Referat für manche „starker Tobak“

Der Brixener Moraltheologe Martin Lintner vermutet, dass das Referat des deutschen Kardinals Walter Kasper zur Frage der wiederverheirateten Geschiedenen im Vatikan „für manche starker Tobak“ gewesen sei.

Die Offenheit, mit der Kasper im Februar beim Konsistorium im Vatikan über den Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen gesprochen hat, „mag für manche Kardinäle durchaus provokant gewesen sein“, so Lintner in einem aktuellen Interview mit österreichischen Kirchenzeitungen - vor allem angesichts dessen, „wie sehr in den letzten beiden Pontifikaten jede von der offiziellen Lehre abweichende Diskussion unerwünscht war“.

Moraltheologen oder auch Diözesen, die neue Wege in der Pastoral für wiederverheiratete Geschiedene gehen wollten, seien „noch bis vor kurzem gemaßregelt“ worden, so der Theologe. Das von Papst Franziskus erbetene Referat Kaspers sei somit „für manche schon ein starker Tobak“ gewesen, vermutet er.

Hohe Erwartungen an Synoden

Von den für Herbst 2014 und 2015 geplanten Bischofssynoden zur Familie erwartet Lintner nach den bisherigen Zeichen „von oben“ eine „sehr offene Aussprache“ der Bischöfe. Franziskus werde auch anders an das Thema herangehen als Johannes Paul II.. Dieser hatte bei der letzten Synode zur Familie im Jahr 1980 ein klares Votum für eine neue und tiefere Untersuchung der Frage der Wiederverheiratung nicht aufgegriffen.

Lintner, der neben seiner Lehrtätigkeit an der philosophisch theologischen Hochschule Brixen auch Provinzial der österreichischen Serviten und Präsident der Europäischen Gesellschaft für Katholische Theologie ist, wies auf eine Kernfrage hin, auf die auch Kasper in seinem Referat überzeugend eingegangen sei: „Wie können wir eine neue Position einnehmen, ohne zu sagen, was die Kirche bisher gesagt hat, war ein Irrtum?“

Kasper betone dazu, ein Entweder-Oder müsse gar nicht sein. „Man kann sowohl an der Lehre von der Unauflöslichkeit der Ehe festhalten, etwa indem man Geschiedenen keine zweite sakramentale Eheschließung ermöglicht, als auch gleichzeitig die bestehende Tradition, was den Sakramentenempfang angeht, weiterentwickeln und zu gut begründeten neuen Lösungen kommen.“

Lösungen aus der Geschichte

Allzu neu müssten die Lösungen dabei gar nicht sein, wie Lintner mit Verweis auf Kasper feststellte: Schon zwischen Matthäus und Paulus und später bei den Kirchenvätern fänden sich - bei aller Treue zum Jesuswort über die Unauflöslichkeit der Ehe - unterschiedliche Deutungen auf das konkrete Leben hin.

Origines und andere hätten es z. B. als „vernünftig“ angesehen, wiederverheirateten Geschiedenen zwar keine zweite sakramentale Ehe, aber nach einer gewissen Bußzeit den Zugang zur Eucharistie zu ermöglichen. Diese Praxis der frühen Kirche habe „selbst der strenge Augustinus akzeptiert“, sie gelte bis heute in den meisten Ostkirchen, so Lintner.

Eheerfahrungen der Gläubigen beachten

Und noch einen wichtigen Aspekt habe Kasper in seinem Referat bedacht - den „sensus fidelium“, den Glaubenssinn der Gläubigen, wie der Südtiroler Moraltheologe ausführte: „Wenn 90 und mehr Prozent der an diesen Themen interessierten Gläubigen sagen, dass sie Änderungen im Umgang mit Wiederverheirateten wollen, dann kann man das nicht einfach mit ihrer mangelhaften Kenntnis der Ehetheologie abtun.“

Kasper sei es sehr ernst damit, dass man nach Jahrhunderten einer ausschließlich von zölibatären Männern geprägten Ehe- und Sexualmoral „endlich auf die Erfahrungen der Gläubigen hört, wie sie konkret ihre Ehe im Licht des Glaubens deuten und leben“.

religion.ORF.at/ KAP

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