Misereor: Trotz Terrors Religionendialog in Nigeria

Von einer „sehr unsouveränen und inkonsequenten Reaktion der Regierung“ spricht das kirchliche Hilfswerks „Misereor“ in Nigeria. Doch es gebe Bestrebungen, den interreligiösen Dialog nicht abbrechen zu lassen.

Nach der Video-Ankündigung von Boko-Haram-Chef Abubakar Shekau, er wolle mehr als 200 gekidnappte nigerianische Mädchen als Sklavinnen verkaufen, erreichten die Spannungen im Land eine neue Eskalationsstufe. Das berichtete der Leiter der Dialog- und Verbindungsstelle des kirchlichen Hilfswerks Misereor in Nigeria, Mathias Kamp, am Dienstag in Radio Vatikan. Es sei jetzt auch „eine neue Ebene des Mitgefühls“ im Spiel.

Es sei auf jeden Fall eine sehr unsouveräne und inkonsequente Reaktion der Regierung zu beobachten, für die sie auch stark kritisiert werde, so Kamp. Die Politik habe auch in der Kommunikation einen Fehler nach dem anderen begangen, der Präsident habe sich erst gar nicht geäußert, und dann habe seine Frau die für die Mädchen demonstrierenden Mütter verurteilt. „Man empfindet hier die politische Klasse als unsensibel und im Grunde unverantwortlich, was den Umgang mit der Krise betrifft“, so der deutsche Nigeria-Experte.

Wachsendes Misstrauen

Eine Frage sei auch die Auswirkung des Konflikts auf das Verhältnis Muslime-Christen. Vor Ort wachse das Misstrauen, wo Muslime und Christen zusammenleben; die Frustration steige, und dadurch könne sich ein erhöhtes Konfliktrisiko ergeben, auch zwischen den religiösen Gemeinschaften, warnte Kamp.

Doch es gebe Bestrebungen, den Dialog nicht abbrechen zu lassen. Katholische Bischöfe träfen sich mit Sultanen und Imamen, es gebe diverse Initiativen auf allen Ebenen, weiter den Dialog zu führen und Christen und Muslime zusammen zu bringen, „und man sagt, dass man es nicht erlauben dürfe, dass der Terror von Boko Haram uns entzweit“.

Mehr Opfer unter Muslimen als unter Christen

Der Terror fordere unter den Muslimen mehr Opfer als unter den Christen, wies Kamp hin: „Hier muss man klarstellen, dass es keinen Krieg von Muslimen gegen Christen gibt. Vielmehr hat man es mit Terror zu tun und politischen Faktoren.“

In Genf äußerte sich am Dienstag das UN-Menschenrechtskommissariat besorgt über das Schicksal der in Nigeria entführten Schulmädchen. Die Video-Ankündigung von Boko-Haram-Chef Abubakar Shekau, er wolle die Mädchen als Sklavinnen verkaufen, sei „dreist“ und „schamlos“, erklärte ein Sprecher von Menschenrechtskommissarin Navi Pillay. Sklaverei und sexuelle Ausbeutung seien nach internationalem Recht absolut verboten und könnten ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen. „Die Mädchen müssen unverzüglich und unversehrt ihren Familien zurückgegeben werden“, so der Sprecher.

Pillay drängte Nigerias Staatspräsident Goodluck Jonathan in einem Brief dazu, keine Anstrengung für eine sichere Rückkehr der Entführten auszulassen. Die Regierung stehe in der Pflicht, das Grundrecht auf Bildung für Mädchen und Buben zu garantieren und sie vor Gewalt, Verfolgung und Einschüchterung zu schützen, heißt es in dem Schreiben, das auch von den UNO-Vertreterinnen für Frauen, sexuelle Gewalt in Konflikten und Kinder in bewaffneten Konflikten unterzeichnet ist.

Immer „monströsere“ Ausmaße

Bereits bei einem Nigeria-Besuch im Frühjahr beklagte Pillay, die Aktionen von Boko Haram nähmen immer „monströsere“ Ausmaße an. Ihr Sprecher erklärte am Dienstag, die nigerianische Regierung müsse „alle nötigen Maßnahmen in Übereinstimmung mit den Menschenrechten ergreifen, um ihre Bürger vor diesen Gewalttaten und Verbrechen zu schützen“. Wenn die Bundes- und Regionalbehörden dem nicht nachkämen, begingen sie selbst Menschenrechtsverletzungen. Zugleich müssten „Staaten, die Nigeria in Antiterroroperationen beistehen, ebenfalls sicherstellen, dass sie innerhalb der Grenzen des internationalen Rechts bleiben“.

Kämpfer der islamistischen Terrorgruppe Boko Haram hatten vor drei Wochen in Chibok im nordostnigerianischen Bundesstaat Borno 276 Schülerinnen verschleppt. 53 gelang die Flucht; 223 sind nach Polizeiangaben noch in der Hand ihrer Entführer. Wo sie sich aufhalten, ist nicht bekannt. Medienberichten zufolge sollen einige der Mädchen für umgerechnet neun Euro in Kamerun und im Tschad zwangsverheiratet worden sein.

Proteste weiten sich aus

Unterdessen wächst der Protest von Eltern und anderen Bürgern gegen ausbleibende Erfolge bei den Ermittlungen. Für Mittwoch kündigten Schüler in Borno Kundgebungen an. Wenn die Schülerinnen nicht 40 Tage nach ihrer Entführung wieder bei ihren Familien seien, solle es weitere Proteste in Bornos Hauptstadt Maiduguri geben, so die Initiatoren laut der nigerianischen Tageszeitung „The Punch“ (Dienstag-Ausgabe).

In der nigerianischen Hauptstadt Abuja sind die Sicherheitsvorkehrungen massiv verstärkt worden. Dort beginnt Mittwoch das dreitägige Weltwirtschaftsforum für Afrika. Dazu werden Wirtschaftsexperten und Politiker aus der ganzen Welt erwartet. Die Regierung ordnete an, dass für die Tagungsdauer öffentliche Schulen und staatliche Einrichtungen geschlossen bleiben

religion.ORF.at/KAP

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