Indien: Menschenrechtler befürchten „Staatsreligion“

Menschenrechtler zeigen sich entsetzt über den Sieg der hindu-nationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP) bei der Parlamentswahl in Indien. Sie fürchten, dass jetzt die hindu-nationalistische Ideologie als Staatsreligion Fuß fassen kann.

„Unsere schlimmsten Befürchtungen sind jetzt Realität geworden“, schrieb der Jesuit Cedric Prakash am Freitag auf Facebook. Der Direktor des Zentrums für Menschenrechte, Gerechtigkeit und Frieden im Bundesstaat Gujarat rief seine Landsleute auf, alles zu tun, „um den Pluralismus unseres Landes zu bewahren und ganz besonders die Rechte der Armen, der Ausgegrenzten, der Minderheiten und der verletzlichen Gruppen in unserem Land zu verteidigen“.

Anhänger der indischen BJP-Partei feiern den Wahlsieg mit Narendra-Modi-Masken

Reuters/Jitendra Prakash

Anhänger der BJP feiern mit Narendra-Modi-Masken

Die oppositionelle BJP von Narendra Modi hat bei dem Urnengang die absolute Mehrheit errungen und kann somit auch ohne ihre Bündnispartner regieren, teilte die Wahlkommission in der Nacht auf Freitag (Ortszeit) in Neu-Delhi mit. Die BJP erhielt demnach mindestens 274 der 543 Mandate. Für die absolute Mehrheit sind 272 Sitze erforderlich. Die Kongresspartei erlitt eine historische Niederlage und konnte nur etwa ein Zehntel der Wahlkreise für sich entscheiden. Die Regierungszeit des scheidenden Premierministers Manmohan Singh war von schwachem Wirtschaftswachstum und Korruptionsskandalen geprägt.

Hindutva-Ideologie „faschistisch“

Die BJP, die in Indien bisher nur von 1998 bis 2004 regierte, ist eng mit der extremistischen hindu-nationalistischen Hindutva-Ideologie verbunden. Menschenrechtler Prakash bezeichnete die Hindutva-Ideologie im Vorfeld der Wahl als „im Kern faschistisch und fundamentalistisch“. An vielen Gewaltaktionen gegen religiöse Minderheiten in den vergangenen Jahrzehnten seien extremistische Hindus beteiligt gewesen.

Hindutva

Im Westen oft als Hindu-Nationalismus bezeichnet, ist Hindutva eine politische Strömung, deren Ziel eine gemeinsame religiös-kulturelle Identität der Hindus ist. Das Wesen und die Schaffung des „Hindutums“ (Hindutva) ist das Zentrum dieser Ideologie.

Die „Menschenrechte und Menschenwürde nicht nur der Muslime und Christen, sondern aller“ stünden nun auf dem Spiel, sagte der indische katholische Priester und Menschenrechtsaktivist Ajaya Kumar Sing aus Odisha Sah am Freitag gegenüber dem deutschen Hilfswerk missio in Aachen. Er glaube, dass die hindu-nationalistische Ideologie „allmählich als Staatsreligion Fuß fassen kann, während die Minderheiten, die mit ihrer Religion und ihrem Glauben die gleichen Rechte wie alle Inder genießen, in den Privatbereich zurückgedrängt werden“, so Sing.

Spitzenkandidat soll für Massaker verantwortlich sein

Narendra Modi, Spitzenkandidat der BJP und designierter Premierminister, erklärte via Twitter: „Indien hat gewonnen. Jetzt kommen gute Tage.“ Er selbst wurde 2002 als Ministerpräsident von Gujarat politisch für ein Massaker verantwortlich gemacht, bei dem mehr als 1.000 indische Muslime von Hindu-Extremisten getötet wurden. Wegen seiner Rolle bei den Vorgängen hatten die USA und europäische Politiker Modi viele Jahre gemieden.

Narendra Modi

Reuters/Amit Dave

Spitzenkandidat der BJP, Narendra Modi

Modi wird nachgesagt, er sei eine von seinen Eltern arrangierte Ehe nie eingegangen, da er sich gegenüber seiner Partei zu lebenslanger Keuschheit verpflichtet habe. Mobilisiert habe der 63-Jährige die Massen durch seine Lebensgeschichte, analysierte das Münchner Domradio: Dass Modi aus bescheidenen Verhältnissen stamme und sich durch Ehrgeiz und Intelligenz an die Spitze seiner Partei hochgearbeitet habe, beflügle die Fantasie in einem Land, wo ein Drittel der Bevölkerung in bitterer Armut lebt.

„Ich weiß, wie es sich anfühlt, arm zu sein“, so einer der Aussprüche des künftigen Premierministers im Wahlkampf, bei dem er auf 500 Veranstaltungen landesweit persönlich und auf 800 weiteren per Videozuschaltung auftrat. Das Votum macht den Wunsch vieler Inder nach besseren Wirtschafts- und Lebensverhältnissen deutlich.

Die Menschen in dem 1,2 Milliarden Einwohner zählenden Land leiden derzeit unter rasant steigenden Lebensmittelpreisen, ausufernder Korruption und hoher Arbeitslosigkeit. Modi, der als Regierungschef im Bundesstaat Gujarat große Unternehmen ansiedelt, präsentierte sich im Wahlkampf als Anpacker, der das Land reformieren kann, Straßen und Stromleitungen baut und finanzstarke Investoren ins Land holt.

religion.ORF.at/KAP/dpa

Mehr dazu:

Links: