Klagemauer: Herodes wurde von Baumeistern betrogen

Laut israelischen Wissenschaftlern wurde Herodes der Große beim Ausbau des Jerusalemer Tempelbergs wohl betrogen: Die Steinmetze sollen immer wieder Steinquader von schlechter Qualität geliefert haben.

Die Folgen des Betrugs sind heute gut sichtbar: Die als „Klagemauer“ bekannte westliche Stützmauer des Tempelbergs ist von Erosionsritzen durchzogen. Viele der mehrere Kubikmeter großen Steinquader zeigen starke Witterungsschäden, während andere ihre 2.000-jährige Geschichte unversehrt überstanden. Jüdische Gläubige stecken traditionell ihre Zettel mit Gebeten und Fürbitten in diese Ritzen.

Wie die Tageszeitung „Haaretz“ am Montag berichtete, riefen die unterschiedlichen Zustände der Steine das Interesse des Geowissenschafters Simon Emmanuel von der Hebräischen Universität in Jerusalem hervor. Gemeinsam mit seinem Kollegen Jael Levinson stellte er mit Laserscannern ein dreidimensionales Computermodell der Mauer her. Sie identifizierten die Quader mit den stärksten Oberflächenverlusten, verglichen ihre Struktur mit der von nahezu unbeschädigten Steinen und kamen zu dem Schluss, dass die Steine unterschiedlich große Kalkkristalle aufwiesen.

Mann betet an Klagemauer

Reuters/Marko Djurica

Die unterschiedliche Beschaffenheit der Steine der Klagemauer dürfte auf deren Herkunft aus verschiedenen Steinbrüchen hindeuten

Von verschiedenen Steinbrüchen

Die Steine für Herodes’ Großprojekt stammten laut den Wissenschaftlern zwar aus Jerusalems direkten Umland, allerdings von verschiedenen Steinbrüchen. Erst vor zwei Jahren wurde nördlich der Stadt ein großer Steinbruch entdeckt, der offensichtlich für den Bau von Tempel und Klagemauer genutzt wurde. Da er höher liegt als die Altstadt, war es leichter, die tonnenschweren Quader zur Baustelle zu schaffen.

Emmanuel nimmt an, dass den antiken Baumeistern die unterschiedliche Qualität der Steine durchaus bewusst war. „Die Lieferanten haben Herodes offensichtlich übers Ohr gehauen“, folgert der Geologe. Dennoch sei die westliche Stützmauer statisch nicht gefährdet: Das ist wichtig, weil der für die Klagemauer zuständige Rabbiner Schmuel Rabinowitsch eine Schutzschicht über den Quadern aus religiösen Gründen ablehnt. Ihre Forschungsergebnisse veröffentlichten Emmanuel und Levinson in der Fachzeitschrift „Geology“.

Die Westmauer gilt als letzter erhaltener Teil des Tempels von Jerusalem. Sie wurde von Herodes im Zuge des Tempelumbaus ab 21 v. Chr. erbaut. Zerstört wurde der Tempel 70 n. Chr. durch die Römer.

religion.ORF.at/APA/AFP