Patriarch: Weltgemeinschaft lässt Iraker im Stich

Im Blick auf den Terror der islamistischen IS-Milizen im Nordirak wirft der chaldäische Patriarch Louis Raphael I. Sako der internationalen Staatengemeinschaft Untätigkeit vor.

Das Oberhaupt der mit Rom unierten Chaldäer, Patriarch Louis Raphael I. Sako kritisiert in einem Gastbeitrag für die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) (Mittwoch-Ausgabe), dass sich muslimische Intellektuelle und Theologen nicht entschieden genug gegen die Extremisten zu Wort meldeten. Ähnlich äußerte sich in Berlin auch der Erzbischof von Mossul, Emil-Shamoun Nona.

Christen und Jesiden müssten vor der Vernichtung gerettet werden, so Sako weiter. Diejenigen, die die Region um Mossul nicht verlassen hätten, wollten wieder in ihre Heimat zurückkehren. Dazu bedürfe es eines Zusammengehens der internationalen Gemeinschaft mit der irakischen Zentralregierung in Bagdad und der Regionalregierung in Kurdistan. Solange dies nicht der Fall sei, gehe der Terror der Milizen weiter. „Die nächsten Opfer werden die Muslime sein, die sich nicht dem Diktat der Fundamentalisten beugen.“

Sako und Nano: Distanzierung von IS nötig

An die führenden Vertreter der Muslime richtete der Patriarch den Appell, sich deutlicher als bisher von den Islamisten zu distanzieren. „Wann endlich werden sie den Fundamentalismus bekämpfen, indem sie das wahre Verständnis von Religion lehren - dass man den anderen als Bruder annimmt und als gleichen Bürger mit gleichen Rechten?“

Auch der chaldäisch-katholische Erzbischof von Mossul, Emil Shamoun Nona, zeigte sich bei einem Besuch der Caritas in Berlin enttäuscht von muslimischen Gläubigen. Bislang habe keiner ihrer Führer das äußerst brutale Vorgehen der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) öffentlich verurteilt. „Entweder sie haben Angst oder sie akzeptieren das Vorgehen“, sagte Nona.

Aus der Sicht einer muslimischen Organisation

Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) verurteilte vergangene Woche in einer Aussendung das Vorgehen der IS-Miliz und erklärte, dass IS mit religiösen und theologischen Argumenten nicht beizukommen ist. „Wir vermeiden es, IS mit religiösen Argumenten abzuqualifizieren und zwar nicht, weil wir diese nicht hätten, sondern weil wir ihnen mit dem Einstieg in theologische Dispute keinen Anlass zu ihrer Aufwertung geben möchten.“

IS habe nicht das geringste Recht, Muslime vertreten zu wollen, „ihnen muss klar vermittelt werden, dass Muslime sie global dermaßen heftig ablehnen, dass jegliches Eintreten in einen theologischen Diskurs ausgeschlossen ist“, so die IGGiÖ.

IS-Hauptquartier im Diözesanhaus

Nach Auskunft Nonas wird die Terrororganisation IS vom Ausland finanziell und wirtschaftlich unterstützt. Er verlangte eine internationale Isolierung. Nach Erkenntnissen der deutschen Regierung finanziert sich die IS-Miliz durch Einnahmen aus Ölfeldern, Entführungen, Enteignungen, Mautzahlungen, durch allgemeine Kriminalität sowie Spenden aus dem In- und Ausland. Keine Erkenntnisse gebe es für eine Zusammenarbeit saudischer und katarischer Regierungsstellen mit der Miliz, heißt es in der Antwort weiter. Gerade die saudi-arabische Regierung werte den islamistischen Terror seit längerem als schwerwiegende Bedrohung für die eigene Sicherheit.

Nonas Angaben zufolge hat die Miliz ihr Hauptquartier am Sitz der Erzdiözese Mossul aufgeschlagen. Die Terrororganisation nutze kirchliche Einrichtungen, um sich vor Bombenangriffen zu schützen. Eine Kirche werde auch als Gefängnis missbraucht.

Deutsche Waffen: Misereor skeptisch

Indessen geht in Europa die Diskussion über eine Zurückschlagung des IS durch Unterstützung der kurdischen Armee weiter. Das katholische Hilfswerk Misereor sieht deutsche Waffenlieferungen in den Irak skeptisch. Misereor-Chef Pirmin Spiegel mahnte in einem Gespräch mit der „Aachener Zeitung“ (Mittwoch) ein UN-Mandat an, bevor es zu einem militärischen Beitrag kommt. Ein solcher Schritt „brächte eine deutlich größere Legitimation als ein Beschluss der Bundesregierung“, sagte Spiegel.

Der Misereor-Hauptgeschäftsführer sprach von einer ambivalenten Situation. „Einerseits gibt es die Regel, dass keine Waffen in Krisengebiete exportiert werden sollen, andererseits sehen wir die Barbarei im Nordirak, die uns zum Handeln bewegen muss.“ Spiegel bekräftigte die Forderung, 100.000 Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen und das humanitäre Engagement zu verstärken. „Über die Waffendiskussion gerät die Frage, wie wir Flüchtlingen helfen können, in den Hintergrund“, kritisiert er.

Deutsche Bischöfe für Eingreifen gegen IS

Am Montag hatten die deutschen Bischöfe sich unter bestimmten Umständen offen für ein militärisches Eingreifen gegen die Terrorgruppe IS gezeigt. Zugleich betonten sie: „Militärische Maßnahmen, zu denen auch die Lieferung von Waffen an eine im Konflikt befindliche Gruppe gehört, dürfen niemals ein selbstverständliches und unhinterfragtes Mittel der Friedens- und Sicherheitspolitik sein.“ Solche Maßnahmen könnten aber „in bestimmten Situationen auch nicht ausgeschlossen werden, sofern keine anderen - gewaltfreien oder gewaltärmeren - Handlungsoptionen vorhanden sind, um die Ausrottung ganzer Volksgruppen und massenhafte schwerste Menschenrechtsverletzungen zu verhindern“.

religion.ORF.at/KAP/KNA/APA

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