„Der Anständige“: Doku über Heinrich Himmler

Vanessa Lapas Himmler-Dokumentation zitiert ausschließlich aus privaten Dokumenten der Familie und zeichnet damit ein ungewöhnliches Porträt des NS-Massenmörders Heinrich Himmler. Heute erstmals zu sehen in Österreich.

Indem sie ausschließlich aus privaten Dokumenten der Familie zitiert, zeichnet die israelische Regisseurin ein ungewöhnliches Porträt des NS-Massenmörders Heinrich Himmler. Das Porträt eines Spießers, dem wenn nicht seine ständig proklamierte „Anständigkeit“, so doch zumindest die Wahrung ihres Anscheins sehr am Herzen lag.

Logo "Shalom Oida"

.

Jüdisches Filmfestival Wien
religion.ORF.at begleitet das Jüdische Filmfestival Wien als Medienpartner und berichtet über ausgewählte Programmpunkte.

Zur Übersicht

Daniel von Aarburg, Regisseur des hervorragenden Dokumentarfilms „Carl Lutz – Der vergessene Held“ (beim Jüdischen Filmfestival WIen noch einmal zu sehen am 21. Oktober) hat anlässlich der Präsentation seines Filmes in Wien eine Szene kommentiert, über die Carl Lutz in einem Interview kurz vor seinem Tod berichtete. Lutz, Schweizer Diplomat in Budapest, hatte Informationen aus erster Hand über die grauenhaften Vorgänge in Auschwitz erhalten. Nachdem im März 1944 die Deutschen in Budapest einmarschiert waren, nahm Adolf Eichmann in der ungarischen Hauptstadt Quartier, um die Deportation der Juden nach Auschwitz selbst zu koordinieren und damit die „Endlösung“ voranzutreiben.

Carl Lutz sah es als seine Pflicht, Juden vor der Deportation und damit dem fast sicheren Tod zu bewahren und konnte letztendlich tatsächlich etwa 60.000 Menschen das Leben retten. Zunächst aber ging er zu Adolf Eichmann, um mit ihm über ein Kontingent von etwa 8000 Juden zu verhandeln, denen er britische Einwanderungszertifikate nach Palästina verschafft hatte. Eichmann gab die Anfrage an seinen Chef Heinrich Himmler weiter; schlussendlich kam aus dem Führerhauptquartier eine zustimmende Antwort.

Der Anständige

ORF

NS-Massenmörders Heinrich Himmler mit seiner Familie

Es gab also diesen Moment, in dem sie einander gegenüber saßen: der Organisator des Holocaust und der Stratege der Menschenrettung. „Sie müssen einander eigentlich sympathisch gewesen sein“, vermutet Regisseur von Aarburg, „denn sie waren beide treue, pflichtbewusste Beamte“. Dennoch konnte der Unterschied zwischen ihnen größer nicht sein. Während sich Eichmann später vor Gericht darauf berief, dass er lediglich seine Pflicht erfüllt habe, folgte Lutz dem, was er für seine wahre Pflicht hielt. Es war ein gefährliches Spiel. Lutz überschritt für die Rettungstat seine Kompetenzen, was ihm später von seinen Vorgesetzten in Bern zur Last gelegt wurde. Mit seinem Einsatz riskierte er Leib und Leben.

Das Böse ist banal

17 Jahre nach dieser Begegnung wurde Eichmann in Jerusalem zum Tod verurteilt. Die Philosophin Hannah Arendt war aus den USA angereist, um sich während des Prozesses von dem Angeklagten ein Bild zu machen. Ihre Analyse, zusammengefasst in der heute zur Floskel gewordenen Rede von der „Banalität des Bösen“, sorgte für heftige Debatten. Arendt sah in Eichmann keine Bestie, sondern einen recht normalen Menschen, der seine Pflicht tat und seinem Führer Adolf Hitler treu war. Dabei sei er gar nicht besonders antisemitisch gewesen. Ein „Schreibtischtäter“, ein Rädchen in der Maschinerie des Völkermordes.

Das Böse aus der Mitte der Gesellschaft

Kritiker warfen ihr vor, sie habe sich von Eichmanns Verteidigungsstrategie täuschen lassen. Vor Gericht sei es für ihn sehr wichtig gewesen, seinen Ermessensspielraum möglichst klein darzustellen sich nicht als fanatischer Nationalsozialist darzustellen, der er aber gleichwohl gewesen sei.
Wie auch immer, Hannah Arendts Entdeckung ist – so beunruhigend sie sein mag - bis heute von großer Bedeutung für die Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Nazis. Gerade die Entdämonisierung ermöglicht Erkenntnisse.

Vieles wäre einfacher, könnte man von ihnen sagen, Hitlers Horden wären gleichsam von außen oder aus heiterem Himmel über Deutschland und Österreich gekommen. Eine wilde Horde, im Wald von Wölfinnen gesäugt. Ein Befall. Dagegen bedeutet „Banalität des Bösen“, dass sie aus der Mitte der Gesellschaft kamen. Männer, die ihre Plätze als treue Söhne und sorgende Familienväter nicht aufgaben und sich selbst, während sie ihr Tötungshandwerk betrieben, als durchaus tugendhaft erlebten.

Anständig sprechen, anständig töten

Ein gutes Beispiel dafür ist eben Heinrich Himmler, den Vanessa Lapa in ihrer Dokumentation den „Anständigen“ nennt und damit die Tugend in den Vordergrund rückt, die ihm offensichtlich besonders wichtig war. „Anständig, das ist seine Art, die Welt zu sehen“, sagte Lapa dem ORF-Kulturmontag. Himmler wollte anständige Kinder, und er wollte anständige Soldaten. Das war ihm wichtig, sagt Lapa: „Man muss anständig sein beim Essen, man muss anständig sprechen – und man muss auch anständig sein, wenn man tötet.“

Ein erhalten gebliebener Ausschnitt aus einer Himmler-Rede an seine Soldaten lässt erschaudern: „Von euch werden die meisten wissen, was es heißt, wenn hundert Leichen beisammen liegen. Und dies durchgehalten zu haben, und dabei abgesehen von menschlichen Ausnahmeschwächen anständig geblieben zu sein, hat uns hart gemacht und ist ein niemals genanntes und niemals zu nennendes Ruhmesblatt.“

Arno Widmann hat in der Berliner Zeitung darauf hingewiesen, was „beisammen liegen“ bedeutet. Damit sind nicht die Toten der eigenen Seite nach der Schlacht gemeint, sondern das, was in der Jägersprache eine „Strecke“ heißt, in der das erlegte Wild „beisammen liegt“. Es geht um die Massenexekutionen, die die Männer auftragsgemäß zu erledigen hatten, bis ihnen Vernichtungslager die Tötungsarbeit erleichterten.
1941, in dem Jahr, als Himmler die Errichtung von Gaskammern befürwortete, schrieb er an seine Tochter: „Man muss im Leben immer anständig und tapfer sein – und gütig.“

Neue Erzählperspektive

Vanessa Lapas Himmler-Dokumentation stützt sich auf private Dokumente der Himmlers, die in Israel aufgetaucht sind, nachdem sie vierzig Jahre unter einem Bett in einer Privatwohnung versteckt waren. Briefe von Himmler an sein „Frauchen“, Marga Himmlers Tagebuch, das Tagebuch ihrer Tochter Gudrun, ein „Babybuch“, das die Eltern über ihre Tochter führten und andere Dokumente erlauben es der Regisseurin, die Ereignisse konsequent aus der Perspektive der Himmlers zu erzählen. Ergänzt durch historische Archivaufnahmen ermöglicht der Film einen ungewöhnlichen Zugang zu Menschen und Ereignissen. Die Dokumentation verzichtet ganz auf die gewohnte Einordnung durch eine Erzählerstimme oder Interviews mit Historikern. Das hat es der Regisseurin lang schwer gemacht, eine Produktionsfirma für ihr Projekt zu finden – bis der österreichische Produzent Felix Breisach und der ORF sich der Sache annahmen.

Vanessa Lapa erklärt sich die Reserviertheit vieler deutscher TV-Anstalten gegenüber ihrer Darstellungsweise mit dem ungeschriebenen Gesetz, dass aufgrund der historischen Belastungen in Deutschland jede Geschichte über den Holocaust die Täter klar benennen müsse. Die Eindeutigkeit der Aussage müsse durch Zeitzeugen und Historiker untermauert sein. „Man fürchtet sich davor, das Publikum mit seinen Gedanken allein zu lassen, also will man es durch die Geschichte führen“, sagt Lapa. Umso spannender, dass sie ihr Projekt nun doch verwirklichen konnte.
Es ist ein Film, in dem Bild und Ton gleichwertig behandelt werden. Der Soundtrack wird von vielen Kritikern besonders gelobt. Tobias Moretti spricht Heinrich, Sophie Rois ist Marga Himmler. Morettis Kinder Antonia und Lenz verleihen der Himmler-Tochter Gudrun und dem jugendlichen Himmler ihre Stimme. „Das erzeugt durch die familiäre Sprachfärbung einen verblüffenden Authentizitätseffekt“, schreibt Eckhard Fuhr in der „Welt“.

Die Fragen bleiben

Vanessa Lapas Film wagt sich weit in die Privatsphäre eines Großverbrechers. Er verstört, denn er zeigt das Phänomen Himmlers, ohne es zu erklären. Die großen Fragen bleiben. Die kleine Moral verhinderte das große Töten nicht. Wie konnte jemand, der so um „Anstand“ bemüht war, bedenkenlos den Holocaust exekutieren? Wie konnte es geschehen, dass ein Verbrecherregime Himmler und vielen anderen kleinen Spießern so viel Macht über Leben und Tod verleihen konnte? Vanessa Lapa und Felix Breisach stehen nach dem Film zum Gespräch zur Verfügung.
Abgesehen von der unmenschlichen Grausamkeit, vom völligen Moralbruch, von der kitschigen Heuchelei, die hier zu konstatieren wären, ist jemand, der angesichts vor der „Strecke“ Ermordeter steht und immer noch von „Anständigkeit“ redet, auch eines: lächerlich.

Diktatoren sind häufig Menschen, die kein Organ haben, ihre eigene Lächerlichkeit wahrzunehmen. Niemand hat das überzeugender dargestellt als Charly Chaplin. Seine Hitler-Kritik, der „Große Diktator“ ist gleich im Anschluss an die Himmler-Dokumentation und das Filmgespräch im Votivkino zu sehen.

Christian Rathner, religion.ORF.at

Außerdem am Donnerstag 16. Oktober

Regina
Ausgehend von der einzigen Fotografie, die von Regina Jonas existiert, erzählt Diana Groó in ihrem Dokumentarfilm die Geschichte der ersten Rabbinerin. Anfang des
20. Jahrhunderts geboren wuchs sie in einer orthodoxen Familie auf, später war es ihr durch ihr persönliches Engagement möglich, an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin zu studieren.
18.00 Uhr, Votivkino, Dokumentarfilm, 63 Minuten, dt. OF

Der Anständige
Als 1945 die Amerikaner in Gmund am Tegernsee einmarschierten, besetzten sie auch das Haus der Familie Himmler. Dabei fanden sie zahlreiche persönliche
Dokumente wie Briefe, Tagebücher und Fotos. Lange galten diese als verschollen, Regisseurin Vanessa Lapa zeichnet anhand des noch nie zuvor gezeigten Materials ein Psychogramm des SS-Führers Heinrich Himmler, der sich Ende 1945 mit einer Zyankalikapsel das Leben nahm.
Dokumentation, 94 Minuten, dt. OF
19.30 und 19.45 Uhr, Votivkino, Österreich-Premiere in Kooperation mit ORF

Der große Diktator
Chaplins erster Dialogfilm und gleichzeitig eindeutiges politisches Bekenntnis: Anton Hynkel (Charlie Chaplin), der größenwahnsinnige Diktator Tomaniens, marschiert hinter dem Rücken seines Verbündeten Benzino Napoloni (Jack Oakie), Herrscher über Bakteria, in das Nachbarland Osterlitsch ein. Die jüdischen Ghettos werden fortan von den Sturmtruppen Hynkels terrorisiert. Dort lebt auch ein jüdischer Friseur (Charlie Chaplin), der Hynkel erschreckend ähnlich sieht…
21.45 Uhr, Votivkino, Spielfilm, 125 Minuten, engl. OF m. dt. UT