D: Kirche darf wiederverheirateten Mitarbeiter kündigen

Die Kirche in Deutschland darf Mitarbeiter nach einer Wiederheirat kündigen: Das hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am Donnerstag in einem Urteil bestätigt.

Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) begrüßte das Urteil, weil es das kirchliche Arbeitsrecht anerkenne. Ein Chefarzt eines Düsseldorfer Krankenhauses in kirchlicher Trägerschaft hatte nach seiner Scheidung erneut geheiratet. Die Klinik kündigte ihn.

Gerichte nicht höher, als kirchliches Selbstverständnis

Die Kündigung sei zu Unrecht erfolgt, urteilten bisher alle deutschen Gerichte. Doch das Bundesverfassungsgericht (BVG) in Karlsruhe gab der Kirche recht. Dessen Zweiter Senat hob jetzt ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts auf, das die Kündigung für unwirksam erklärt hatte. Gerichte dürften sich nicht über das kirchliche Selbstverständnis hinwegsetzen, „solange dieses nicht in Widerspruch zu grundlegenden verfassungsrechtlichen Gewährleistungen steht“.

Der Zweite Senat unter Leitung von Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle hob hervor, welche kirchlichen Grundverpflichtungen bedeutsam seien, richte sich „allein nach den von der verfassten Kirche anerkannten Maßstäben und dem konkreten Inhalt des Arbeitsvertrags“. Das Bundesarbeitsgericht habe „Bedeutung und Tragweite des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts bislang nicht ausreichend berücksichtigt“.

Eigenständigkeit der kirchlichen Rechtsordnung

Das Bundesarbeitsgericht hatte zwar bestätigt, dass Kirchen von ihren Beschäftigten ein loyales Verhalten im Sinne des eigenen Selbstverständnisses verlangen könnten. Allerdings habe die Klinik bei protestantischen Kräften nach einer zweiten Heirat nicht zum Mittel der Kündigung gegriffen. Zudem habe die Einrichtung gewusst, dass der Mediziner vor der Eheschließung lange unverheiratet mit der Frau zusammengelebt habe.

Das BVG wies nun allerdings darauf hin, dass das Grundgesetz „die korporative Religionsfreiheit vorbehaltlos gewährleistet und insofern dem Selbstbestimmungsrecht und dem Selbstverständnis der Religionsgesellschaften besonderes Gewicht zuzumessen ist“. Die weltanschaulich-religiöse Neutralität des Staates sei zwar Grundlage der modernen, freiheitlichen Gesellschaft, es verwehre dem Staat aber auch, Glauben und Lehre einer Kirche zu bewerten. „Die Eigenständigkeit der kirchlichen Rechtsordnung hat er zu respektieren“, heißt es wörtlich.

Gutachten und zweite Prüfungsstufe

Einschränkend wies der Senat darauf hin, dass überwiegend der Gewinnerzielung dienende kirchliche Organisationen dieses Vorrecht nicht in Anspruch nehmen könnten. Gerichte sind demnach lediglich berechtigt, „Darlegungen des kirchlichen Arbeitgebers auf ihre Plausibilität hin zu überprüfen“.

Zweifelsfragen seien durch Rückfragen bei den Kirchenbehörden oder durch ein kirchenrechtliches oder theologisches Gutachten zu klären. Auf einer zweiten Prüfungsstufe sei zu prüfen, ob Schranken der für alle geltenden Gesetzes überschritten worden seien.

EGMR bietet „keinen Anlass zu Modifikationen“

Das BVG weist zugleich darauf hin, dass die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) „keinen Anlass zu Modifikationen der Auslegung des Verfassungsrechts“ biete. Straßburg hatte in einem ähnlichen Fall entschieden, dass die Kirche einen Organisten nach der Trennung von seiner Frau nicht kündigen dürfe.

Im Urteil von Donnerstag wird betont, das Bundesarbeitsgericht habe „Bedeutung und Tragweite des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts verkannt“, indem die Richter „eine eigenständige Bewertung religiös vorgeprägter Sachverhalte vorgenommen“ hätten. Die beanstandeten Richter müssten nun „eine eingehende Gesamtwürdigung“ vornehmen.

Vertrauensschutz des Betroffenen

Dabei könne auch der Gedanke des Vertrauensschutzes des Arztes gegenüber seinem Arbeitgeber berücksichtigt werden. Der Arbeitsvertrag werte eine Zweitheirat nicht anders als ein Leben in nichtehelicher Gemeinschaft. Daraus könne der Arzt gegebenenfalls einen Vertrauensschutz ableiten.

DBK-Vorsitzender Kardinal Reinhard Marx sagte am Donnerstagabend in Bonn, die DBK fühle sich durch den Verweis auf das Selbstbestimmungsrecht der Kirche „in ihrer Rechtsauffassung bestärkt“. Ähnlich äußerte sich der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki. „Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gibt uns Rechtssicherheit“, erklärte der Erzbischof in Köln. „Wir werden mit dieser verfassungsrechtlich gewährleisteten Freiheit weiterhin verantwortlich umgehen.“

religion.ORF.at/KAP/KNA