Kapellari: „Islam muss sich weiterentwickeln“

Der Grazer Bischof Egon Kapellari hat die – seiner Meinung nach – fehlende Kritikfähigkeit „vieler Muslime“ kritisiert. Er sprach sich auch für „Schwellen“ in der Kirche aus. Nicht jede Grenze sei eine Diskriminierung.

Es gäbe unter Muslimen eine vorherrschende Tendenz, Kritik als Beleidigung aufzufassen, sagte Bischof Kapellari in einem Interview mit der „Kleinen Zeitung“ am 1. Jänner. Seiner Meinung nach würden viele Muslime eine beleidigte Haltung einnehmen, wenn das Phänomen der Radikalisierung unter muslimischen Jugendlichen hinterfragt werde.

Es hätten alle drei großen monotheistischen Religionen ein Gewaltpotenzial, sagte Kapellari. Für ihn sei die entscheidende Frage jedoch, unter welchen Umständen es aktiviert werden könne. „Auch wir haben mühsam lernen müssen, an diese Tabus ohne Denk- und Sprachverbot daranzugehen“, so Kapellari. Das Christentum sei in Europa durch das Feuer der Aufklärung gegangen, was geschmerzt und viel zerstört habe. „Aber das Feuer zerstört nicht nur. Es läutert auch. Es schmilzt aus dem Erz das Gold heraus“, sagte Kapellari.

Keine Religion, die einen Platz in der westlichen Gesellschaft beanspruche, werde sich diesem Prozess entziehen können, sagte der bald 80-jährige Bischof. „Auch der Islam nicht." Er müsse sich fragen lassen, und frage sich ohnehin schon selber, was sein Gewaltpotenzial für ihn als Gefahr bedeute“, sagte Kapellari. Der Islam sei mit der westlichen Gesellschaft kompatibel, wenn er bereit sei, sich weiterzuentwickeln: „Juden, Christen, Muslime, wir alle müssen uns weiterentwickeln, ohne unsere Kernidentität aufzugeben. Sonst drohen Spaltung und Krieg.“

Kritik an Kirche „pharisäisch“

Den Vorwurf an die Kirche, zu wenig für Flüchtlinge zu tun, die wegen Krieg und Zerstörung nach Österreich kommen, wies der Bischof zurück. Die Schuldzuweisungen bezeichnete er als „pharisäisch“. Gerade die Kirche engagiere sich im Vergleich zu anderen Großgruppen der Gesellschaft besonders stark für die Flüchtlinge.

Er verwies auf die Plätze in kirchlichen Häusern, die für Asylwerber bereitgestellt und auf die finanziellen Mittel, die aufgewendet würden. „Sicher, wir haben Fehler“, sagte Kapellari, aber „auch Vorzüge“ und die Gesellschaft könne auf die Kirche als stabilisierenden Faktor nicht verzichten, sagte der Bischof.

Im Blick auf die Weltbischofssynode, sagte Kapellari, brauche es eine Stärkung der Tiefe ebenso wie ein Offenhalten der Türen und Fenster in der Kirche. Der Papst tue das auf großartige Weise, doch die Kirche brauche auch Schwellen, so Kapellari. „Die Frage, wie hoch oder flach diese an der offenen Tür sein sollen, ist kontrovers und macht Bischofssynoden wie die jüngste in Rom zum Thema Familie zu Nagelproben.“

Mit dem Verlauf der aktuellen Debatte über wiederverheiratete Geschiedenen sei der Bischof allerdings nicht einverstanden. Sie habe sich „auf den Kommunionempfang zugespitzt, als ob es allein um diese Frage ginge und nicht darum, was Kommunion eigentlich ist“. Das Wort von Augustinus - Liebe, und mach, was du willst! - werde da oft missverstanden. Es meine nicht, dass man alles machen könne, sondern es setze voraus, „dass die Liebe auch den Willen korrigiert im Sinn von Nichtbeliebigkeit“.

Nicht jede Grenze diskriminiert

In der daraus resultierende Spannung sähe Kapellari „auch eine Chance zur Vertiefung“, zur Erkenntnis, „dass nicht jede Grenze eine Diskriminierung“ sei. Dies gelte etwa bei der Frage des Lebensschutzes, „da trifft der begreifbare Wunsch nach möglichst viel Freiheit auf Grenzen“.

Kapellari habe „die begründete Hoffnung“, dass er in naher Zukunft die Leitung der Diözese an den Papst zurückgeben dürfe. Weil allerdings durch Franz Lackners Ernennung zum Erzbischof von Salzburg „die plausibelste Nachfolgeperspektive abhanden gekommen“ sei und Rom einen neuen Dreiervorschlag mit Bischofskandidaten brauche, sei es zu einer langen Zeit des Wartens gekommen. Schwer falle ihm der Abschied nicht, so Kapellari. „Ich hoffe, dass sich der Mönch in mir stärker entfalten kann.“

Bilanzierend sagte Kapellari, er habe sich in den 33 Jahren, „die ich Bischof bin, darum bemüht, die Mitte und die Tiefe zu stärken. Die Mitte war immer mein Ort. Ich würde mich missverstanden fühlen, wenn man mich dem konservativen oder dem progressiven Lager zwangseinverleiben würde. Dieser Lagerhaft habe ich mich immer entzogen und werde mich weiter entziehen.“

religion.ORF.at/KAP

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