Theologe kritisiert rückständige Koran-Auslegung

Der islamische Theologe Mouhanad Khorchide kritisiert eine rückständige Lesart des Korans. Zugleich könne dem islamistischen Terror aber nicht allein durch eine moderne Lesart des Korans begegnet werden, so Khorchide.

Er ortet vielmehr soziale und politische Gründe als Nährboden des Extremismus. Khorchide äußerte sich in Interviews im Bonner „Generalanzeiger“ sowie im Kölner „Stadt Anzeiger“ (Freitag-Ausgaben). Der Wiener Religionspädagoge, Theologe und Islamwissenschaftler lehrt aktuell an der Universität Münster.

Khorchide räumte ein, dass um die rechte Auslegung des Korans innerislamisch eine heftige Kontroverse im Gange sei. „Es gibt eine friedliebende Deutung des Korans, aber auch eine gewalttätige.“ Von den 6.236 Versen des Korans würden nur sehr wenige über Gewalt und Krieg sprechen. „Die Aussagen über den barmherzigen Gott stehen im Verhältnis 18:1 zu den Aussagen über den strafenden Gott. Das ist auch den meisten Muslimen klar, die Gewalt im Namen Gottes ablehnen“, so der Theologe.

„Kriegerische Passagen“ als Gewalt-Legitimation

Er gebe allerdings zu: „Mit den kriegerischen Passagen lässt sich Gewalt legitimieren, wenn man die Texte nicht im historischen Kontext versteht.“ Für die Muslime sei der Terror „ein Stachel, der zur Auseinandersetzung mit ihrer Tradition treibt“. Von Strömungen, die in Richtung Gewalt gehen, müssten sich die Muslime distanzieren und ein für alle Mal verabschieden. Khorchide: „Es hat ja keinen Sinn, zu behaupten, dieser Terror habe nichts mit dem Islam zu tun. Die Terroristen sind nun mal Muslime.“

Mouhanad Khorchide

Kathbild/Franz Josef Rupprecht

Theologe Mouhanad Khorchide

Es gebe aber viele Lesarten und Schulen des Islam, die mit pluraler Gesellschaft und Rechtsstaat vereinbar seien, so der Theologe. Der Koran lasse viel Raum für Interpretationen. Er könne nur lebendig erhalten werden, wenn er immer wieder neu in der jeweiligen aktuellen Situation befragt werde.

Der Schlüssel des Buches sei die Barmherzigkeit. „Jede Interpretation, die nicht der Barmherzigkeit folgt, widerspricht dem Sinn der Verkündung.“ Die Mehrheit der Muslime führe ein friedliches Leben und falle nicht auf. „Was auffällt, ist die Abweichung von der Norm - die Gewalt und die Attentate“.

Politische Lage eigentliche Ursache

Die eigentliche Ursache der Gewalt sei die prekäre politische und soziale Lage von Menschen, die sich ausgegrenzt und gedemütigt fühlen. Khorchide: „Sie überhöhen ihre Frustration, indem sie Gewalt als heilig und gottgewollt hinstellen. Die Selbstinszenierung der Pariser Terroristen zeigt, dass sie als Vollstrecker göttlicher Rache berauscht sind von der Erfahrung eigener Macht. Für Menschen, die sich sonst immer als ohnmächtig erlebt haben, ist das unglaublich faszinierend.“

Muslime außerhalb Europas würden mit dem Westen nicht so sehr die Verteidigung von Demokratie und Menschenrechten verbinden, „sondern eine Machtpolitik ohne Rücksicht auf Rechte und Werte anderer“.

Verständnis für die Verunglimpfung des Islam oder speziell des Propheten Mohammed etwa in Form von Karikaturen habe die große Mehrheit der Muslime freilich nicht, so Khorchide und weiter wörtlich: „Viele Muslime haben damit ein Problem. Leider. Umso wichtiger ist es, dass wir mögliche Grenzen der Meinungsfreiheit ohne jedwede Form von Machtausübung bestimmen, sondern einzig mit der Kraft der Argumente.“

religion.ORF.at/KAP