Kongress in Wien: „Lampedusa Metapher für Versagen“

Der 3. Internationale Humanitäre Kongress ist Freitagabend in Wien zu Ende gegangen. Der Vertreter der Caritas Italiana, Oliviero Forti, nannte Lampedusa „eine Metapher für das Versagen der europäischen Gesellschaft“.

Der von zwölf großen Hilfswerken veranstaltete 3. Internationale Humanitäre Kongress ist mit Plädoyers zur engeren Zusammenarbeit, zur Aufstockung der Mittel für Katastrophenhilfe durch nationale Regierungen und EU, zu Friedensverhandlungen in Syrien und Ukraine sowie zu einer solidarischeren Flüchtlingspolitik zu Ende gegangen. Experten aus West- und Osteuropa sowie dem Nahen Osten nahmen teil.

Ein Boot mit Flüchtlingen im Meer, daneben ein Rettungsschiff

Reuters/Italian Marina Militare

Der Vertreter der Caritas Italiana, Oliviero Forti, nannte Lampedusa „eine Metapher für das Versagen der europäischen Gesellschaft“

„Tausende Flüchtlinge tauchen unter“

Der Flüchtlingsbeauftragte der Caritas Italiana, Oliviero Forti, nannte Lampedusa „eine Metapher für das Versagen der europäischen Gesellschaft“. Italien stehe den vielen Flüchtlingen rat- und mittellos gegenüber; gerade ein Drittel komme in die Grundversorgung. Tausende tauchten unter oder versuchten, in andere EU-Länder weiter zu gelangen.

Im Blick auf Syrien hieß es beim Kongress, dass die Hilfsmöglichkeiten von Ort zu Ort sehr unterschiedlich seien. Aktuell sei etwa der Zugang in das lange umkämpfte und stark zerstörte Homs wieder möglich.

Grenzziehung auf Basis von Ölvorkommen

Die Nahost-Expertin Karin Kneissl forderte im Blick auf den Nahen Osten ein „Ende der westlichen Moralpolitik“ und eine „Rückkehr zur Realpolitik“. Es müssten unverzüglich Verhandlungen ohne Vorbedingungen zu einem Frieden in Syrien begonnen werden - und zwar mit Präsident Baschar al-Assad als Beteiligten.

Der Westen müsse sich erinnern, dass er die Staatsgrenzen in der Arabischen Welt 1918/20 ohne Rücksicht auf Religion und Ethnien, aber auf Basis von Ölvorkommen und Pipelines gezogen habe. Andererseits könne man nicht mehr zurück.

Es zeige sich keine Alternative, als die damals entstandenen Staaten weiter integral zu belassen. Die Gründung eines neuen Kurdenstaats beispielsweise würde wahrscheinlich in einem Desaster und internem Blutvergießen der innerkurdischen Fraktionen enden, warnte Kneissl.

Große Bedeutung der kirchlichen Infrastruktur

Die Syrien-Referenten der kirchennahen Hilfswerke „World Vision“ und „International Orthodox Christian Charities“ (IOCC), Frances Charles und Mark Ohanian, betonten die große Bedeutung der zum Teil vorhandenen kirchlichen Infrastruktur in Syrien und den Nachbarstaaten. Keinesfalls komme aber deshalb die Hilfe von „World Vision“ bzw. IOCC nur - auch nicht mehrheitlich - Christen zugute.

Ohanian warnte vor einer mit den Jahren drohenden Verwurzelung der IS-Ideologie in Syrien. Die Ideologie sei zwar regionsfremd, doch es erfolge eine massive Gehirnwäsche bei der Jugend.

Caritas-Beauftragter Forti warnte vor der Illusion eines militärischen Sieges gegen den IS. Was bei einer höheren Intensivität von Bombenangriffen geschehe, zeige das Beispiel Libyen. Während in der Gaddafi-Ära 1969 bis 2011 zumindest die Errichtung von Flüchtlingslagern mit Caritas-Zugang möglich gewesen sei, herrsche heute in Libyen völliges Chaos, und die Menschen flüchteten massenweise in Booten.

Rotes Kreuz für Friedensgespräche mit dem IS

Aus Sicht des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) soll im Irak und in Syrien über Friedensgespräche mit der Terrormiliz Islamischer Staat nachgedacht werden. „Du kannst keine langfristige Lösung schaffen, wenn du ein Friedensabkommen willst, ohne mit den Leuten zu reden, auch in Syrien, die das halbe Gebiet kontrollieren,“ sagte IKRK-Generaldirektor Yves Daccord am Rande des Kongresses.

„Wenn ich ehrlich bin, sind wir nicht einmal nahe daran, über einen Frieden nachzudenken“, räumte Daccord im Gespräch mit der Austria Presse Agentur (APA) und dem ORF ein. Auch glaube er nicht, dass man sich auf den IS beschränken solle, da dieser in kurzer Zeit entstanden sei und sich rasch ändern könne. „Aber Leute, die Gebiete kontrollieren und andere Menschen unter ihrer Kontrolle haben, zur Einsicht und zum Zugeständnis zu bringen, dass sie eine langfristige Lösung finden müssen, das ergibt einiges an Sinn, ja“, sagte Daccord.

„Arbeitsbeziehung“ mit dem IS

Hilfskräfte des IKRK versorgen zehntausende Menschen im Kriegsgebiet in Syrien und dem Irak mit dem Nötigsten. Um diese Arbeit zu ermöglichen, stünden Rot-Kreuz-Mitarbeiter in direktem Kontakt zum Islamischen Staat, sagte Daccord. Diese „Arbeitsbeziehung“ erlaube Hilfskräften, in von der Terrormiliz kontrollierten Gebieten die Notversorgung der Bevölkerung etwa mit Wasser aufrechtzuerhalten.

„Dialog ist wichtiger den je“, betonte Daccord zuvor in seiner Rede. Das IKRK sei derzeit die einzige Organisation, die in laufendem Kontakt mit dem IS und auch mit den Taliban in Afghanistan sei.

religion.ORF.at/KAP