„Exodus“: Moses und der eifersüchtige Gott
Das knapp 500 Seiten starke „Exodus. Die Revolution der Alten Welt“ des Ägyptologen und Religionswissenschaftlers Assmann verhandelt die Themen Auszug aus Ägypten, Moses’ Herkunft und seine Beziehung zu Gott, die Teilung des Roten Meeres, die Irrwege durch die Wüste und den Empfang der Gesetzestafeln auf dem Berg Sinai, den Tanz um das Goldene Kalb und die Errichtung eines Zeltheiligtums.
Geschichte eines gebrochenen Bundes
Aber vor allem geht es um die Gründung eines Monotheismus im Sinne eines Bundes mit Gott, die in Exodus ihren Anfang nimmt. Was er an dieser Geschichte so aufregend finde, sagte Assmann im Gespräch mit religion.ORF.at, sei die tragische Seite des Exodus: „Das ist ja nicht eine reine Erfolgsgeschichte. Es geht hier nicht nur um die Stiftung eines Bundes, es geht auch um den Bruch dieses Bundes - und die Heilung dieses gebrochenen Bundes.“
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Jan Assmann
Der deutsche Ägyptologe, Kultur- und Religionswissenschaftler Jan Assmann unterrichtete bis 2003 Ägyptologie an der Universität Heidelberg. Assmann leitete unter anderem ein Forschungsprojekt in Ägypten und veröffentlichte zahlreiche Bücher und wissenschaftliche Publikationen, darunter „Moses der Ägypter“ (1998) und „Monotheismus und die Sprache der Gewalt.“ (2006).
Assmann ist weniger eine historische „Wirklichkeit“ wichtig, vielmehr eine Verortung der Exodus-Geschichte im „kulturellen Gedächtnis“ der Welt. Eindrucksvoll skizziert er die Schwierigkeit, die geschilderten Ereignisse, sofern man sie überhaupt für „historisch“ hält, in einen zeitlichen Rahmen zu betten - für eine Landnahme Kanaans durch zurückkehrende Israeliten etwa gibt es keinen Beleg. Vonseiten zeitnaher ägyptischer Quellen gibt es auch keinen Hinweis auf die in Exodus so bildhaft geschilderten Plagen oder einen Auszug einer riesigen Zahl von Sklaven.
Mit der Entstehung des Monotheismus rund um JHWH (der Name, mit dem Jahwe in der hebräischen Bibel benannt wird), der die Israeliten zu seinem eigenen Volk erwählte, entstand eine völlig neue Art von Religion, so Assmann. Viel Raum gibt der Kulturwissenschaftler dem Begriff des Bundes und der für die damalige Zeit neuartigen Vorstellung von einem einzigen Gott, der auf seiner Exklusivität auch beharrt - und zwar „eifersüchtig“, wie es in der Bibel sehr häufig heißt (hebräisch: „qanna“).
Der eifersüchtige Gott
Diese Eifersucht vergleicht Assmann mit der eines Ehemannes gegenüber seiner Frau. Einen solchen Gott hatte es in der antiken Welt noch nicht gegeben. Entsprechend schwer tut sich das „auserwählte Volk“ auch mit dessen hohen Ansprüchen. So kommt es in den Büchern, die die Geschichte vom Auszug aus Ägypten und vor allem die vierzig Jahre, die die Israeliten unter Entbehrungen in der Wüste verbrachten, behandeln, sehr häufig zu Unmutsäußerungen gegen Gott und Moses.
So stark ist dieses wiederkehrende Motiv, und so heftig wirkt der Hass des Volkes auf Moses, der das Privileg genießt, mit Gott sprechen zu können, dass einige von Assmann zitierte Autoren sogar an einen Mord an Moses denken. Auch Sigmund Freud („Der Mann Moses und die monotheistische Religion“, 1939) war ein Anhänger der These, Moses sei von den eigenen Leuten ermordet worden - Assmann widmet Freuds auch psychoanalytischen Ausführungen einige Seiten.
Mordfall Moses?
Ausgangspunkt für diese Überlegung ist das seltsam anmutende Ende des großen Führers und Religionsgründers Moses, dem sich Gott sogar einmal (wenn auch von hinten) zeigt: Noch vor Erreichen des gelobten Landes Kanaan soll Moses gestorben sein. Erklärt wird das - nach Auffassung Assmanns mehr schlecht als recht - mit einer Bestrafung von Moses durch Gott wegen einer vergleichsweise harmlosen Tat.
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Assmann sieht Moses als literarische Figur. Dennoch: Es gebe rund um diese Figur einige „irritierende erratische Blöcke, die darauf hinweisen: Da steckt irgendwas Historisches dahinter.“ Es könne eine Version des - mündlich erzählten - Mythos gegeben haben, „die tragisch endete“. Klar sei: „Nachdem er seine Rolle ausgespielt hat, muss er verschwinden, damit kein Totenkult entsteht.“
Der Bund und seine Kehrseite
Die brutale Kehrseite eines persönlichen Bundes mit einem Gott, der sogar, in einem genauestens geplanten „Zeltheiligtum“, direkt unter seinem Volk wohnen will, zeigt sich den Israeliten nach dem Vorfall mit dem Goldenen Kalb. Da sich das Volk von Moses (und damit Gott) verlassen fühlte, nachdem dieser in einer Feuerwolke auf dem Berg Sinai verschwunden war, wollte es sich mit einem Abbild behelfen, das es anbeten konnte. Dieses Goldene Kalb nun stellte für JHWH, der dem Volk gerade erst klargemacht hatte, wie wichtig es ihm war, dass keine Bilder - nicht einmal sein eigenes - angebetet werden dürften, die größtmögliche Provokation dar.
Erschütternd und grausam ist Moses’ Reaktion: „Zieht durch das Lager von Tor zu Tor! Jeder erschlage seinen Bruder, seinen Freund, seinen Nächsten.“ (Ex 32,27). Hier wird deutlich: Der Monotheismus bringt eine neue Qualität der Gewalt mit sich. Dieser „liebende“ Gott eifert, und auch seine Anhänger tun das. Doch „das ist nicht der Kern der Sache“, so Assmann. „Der Kern ist Treue und Liebe.“ Zum Pessach-Fest werde das Hohelied Salomonis gelesen - eine Anthologie von Liebesliedern. „Das ist ein Liebesbund.“ Diese affektive Aufladung kenne weder die babylonische noch etwa die griechische Mythologie, so Assmann.
Abgrenzung von der Vergangenheit
Gewalttätig wird im Buch Exodus auch die Rückeroberung des Landes Kanaan geschildert - alle dort siedelnden Stämme sollen „ausgerottet“ werden. „Diese Gewalt der Ausmerzung richtet sich gegen den Kanaanäer in der eigenen Brust“, sagt Assmann dazu - denn bei diesen Stämmen konnte es sich ja nur um enge Verwandte, Vorfahren der Hebräer handeln, die nicht nach Ägypten gezogen waren. Die neue, revolutionäre Idee des Monotheismus bedurfte einer starken Abgrenzung, auch von der eigenen Vergangenheit. Denn die Israeliten hatten zuvor nicht nur JHWH, der „der Chef eines kleinen Pantheons“ gewesen sei, verehrt, sondern eben auch andere Götter.
Verlag C.H.Beck
Seine große Kenntnis des ägyptischen Altertums stellt Assmann etwa im Vergleich des Dekalogs (Zehn Gebote) mit einem „Pentalog“, der sich aus altägyptischen Totenbüchern ergibt, unter Beweis: Dessen sehr viel umfangreichere Ge- und Verbote, die in Form der Leugnung von Sünden erkennbar sind („Ich habe kein Unrecht gegen Menschen getan“), könnten sogar der „Ursprung“ der biblischen Zehn Gebote sein, wie Assmann in den Raum stellt.
Der „demokratische“ Bund
Das geradezu bahnbrechende Potenzial des Bundes zwischen Gott und den Israeliten sieht Assmann in dessen „demokratischer“ Form: „Der Bund, den Gott mit Israel schließt, kennt keine vermittelnden Instanzen.“ Das heißt nicht mehr und nicht weniger, als dass jeder (und jede) Einzelne direkt verantwortlich für den Bund mit JHWH ist, ohne Vermittlung durch ein Königtum, wie es in Ägypten üblich war, aber auch ohne jede Art von „Kirche“. Die Priesterschaft der Israeliten „herrscht nicht“, so Assmann zu religion.ORF.at.
In „Exkursen“ behandelt Assmann auch die Rezeption des Moses-Stoffes in Oper, Literatur und Kunst. Faszinierend und in seiner Fülle an gelehrten Details schon sehr anspruchsvoll liest sich der Teil des Werkes über historische Hintergründe und die Vielzahl altorientalischer Völker.
Über die wahrscheinliche Entstehungszeit des Buches Exodus sagt Assmann: „Da gibt es verschiedene Theorien.“ Er glaubt, dass die Juden im Exil in Babylonien (6. Jh. v. Chr.) und in Ägypten zu einer „umfassenden“ Erzählung, wie sie die Bibel darstellt, inspiriert wurden. Einen Exodus-Mythos habe es sicher schon früher gegeben. Um 520, als es darum ging, den Tempel neu zu gründen, habe man ein Dokument gebraucht. Die „literarische Fassung“ sei in dieser Zeit entstanden, vermutet Assmann.
Johanna Grillmayer, religion.ORF.at