Ordensarchive geben kräftiges Lebenszeichen

Rund 100 Ordensvertreter, Archivare, Theologen und weitere Experten aus Österreich, Deutschland, den Niederlanden, der Schweiz und Südtirol haben im Schloss Puchberg bei Wels getagt.

Diskutiert wurden neue Herausforderungen für Ordensarchive. Einig waren sich die Teilnehmer der Tagung, dass es noch einer viel stärkeren Zusammenarbeit zwischen den Archiven auch über Ländergrenzen hinweg bedürfe.

Irmgard Becker, Vorsitzende des Verbandes deutscher ArchivarInnen, bezeichnete die digitale Welt als größte aktuelle Herausforderung für Ordensarchive. „Diese Herausforderung wurde von den Archiven lange nicht zur Kenntnis genommen. Die großen Archive tun es und die kleinen tun es nicht“, konstatierte Becker.

Neue „Quellengattungen“

Durch die neuen Technologien entstünden neue Quellengattungen, „die wir neu einordnen müssen“, so Becker. Sie sah in ihren Ausführungen bei einer Podiumsdiskussion in der Datenbank die technische Quelle für die Zukunft. Die klassischen Hilfsmittel reichten nicht mehr aus. In Deutschland gibt es 170 Ordensarchive und 30 Diözesanarchive sowie einige überregionale Archive.

„Große Aufarbeitungsrolle“

Peter Pfister, Direktor des Archivs der Erzdiözese München-Freising, zeigte sich überzeugt, dass Archive auch wichtige aktuelle Bedeutung hätten: „Zeitgeschichte ist ein wichtiger Bereich der Archive.“ Das zeige sich bei Themen wie Zwangsarbeit oder in der Missbrauchsdebatte: „Dort spielen Ordensarchive eine große Aufarbeitungsrolle.“

Für den Wiener Archivexperten Heinrich Berg brauche es eine neue Auseinandersetzung mit dem sogenannten „Recht auf Vergessen“, wie es derzeit vor allem in den Sozialen Medien diskutiert wird. Die Anliegen der Archive könnten mit diesem eingeforderten „Recht auf Vergessen“ kollidieren. „Das geordnete Erinnern und Vergessen ist unser Leitspruch“, sagte Berg.

In Österreich gibt es rund 200 Frauen- und Männerorden mit mehr als 1.000 Niederlassungen. Viele dieser Orden könnten auf eine lange Geschichte mit entsprechend wertvollen Archivbeständen zurückblicken. Archive gibt es in jeder Ordenszentrale wie auch in zahlreichen einzelnen Niederlassungen.

Prügl: Auch Unbequemes aufheben

Orden sollten sich zu ihren alten Traditionen bekennen und von ihnen immer wieder Inspiration und Handreichung beziehen, so der Kirchenhistoriker Thomas Prügl in seinem Vortrag. Zu diesen Traditionen gehörten die Vorstellungen, welche die Gründungsgestalten antrieb, ebenso wie die Auslegungen und Realisierungen, mit denen die Orden auf die sich verändernden historischen Herausforderungen und Zeitumstände reagierten.

Archivaren komme auch die Verantwortung zu, nicht nur das aufzuheben, was der offiziellen Ordenslinie entspricht, sondern sich auch unbequemer Tatsachen und Realitäten anzunehmen. „Man hat damit eine kritische Funktion und man weist auf etwas hin, was man vielleicht nicht hören will“, sagte Prügl.

Dass es heute und künftig Orden braucht, steht für ihn außer Zweifel, so der Kirchenhistoriker: „Ordensleben ist eine Entscheidung für eine feste Lebensführung, eine alternative Lebensführung. Alte Traditionen haben sich als bewährte Lebensformen herausgestellt. Das Wachhalten und Erinnern an Lebensformen, die quer zu den Moden, quer zu den gesellschaftlichen Strömen und Versuchungen stehen, ist der Beitrag der Orden heute.“

Polak: Konflikte für Reform notwendig

Auf die pastoraltheologische Relevanz von Oral-History-Projekten in Ordensgemeinschaften wies die Wiener Pastoraltheologin Regina Polak hin. Sie skizzierte in ihrem Vortrag ein entsprechendes Projekt der Schwesterngemeinschaft Caritas Socialis (CS), bei dem die Erinnerungen von elf Schwestern aus der Zeit großer Reformen um das Jahr 1970 aufgezeichnet wurden.

Für die Schwestern änderte sich damals, kurz nach dem zweiten Vatikanischen Konzil (1962 bis 65) sehr viel. So habe es beispielsweise keine Ordenstracht für neue Schwestern mehr gegeben, was zu einer lang andauernden und konfliktbehafteten Kluft zwischen den Schwestern führte; die neuen gingen in Zivil, viele ältere trugen weiterhin die Ordenstracht. Fortan lebten die Schwestern in Einzelzimmern, wer wollte, konnte den Taufnamen als Schwesternnamen behalten.

Wandel in Schwesterngemeinschaft

Bis dahin hatte man in größeren Räumen zusammengelebt und kaum Privatsphäre gehabt. Die Briefzensur wurde aufgehoben und der davor streng geregelte Kontakt zu Familie und Freunden ermöglicht. Große klösterliche Gemeinschaften wurden durch kleinere Gemeinschaftsformen mit mehr individuellen Freiheiten aber auch mehr Eigenverantwortung abgelöst. Polak verwies auf die Wichtigkeit von Bildung und Ausbildung für Veränderungsprozesse, ebenso notwendig seien Partizipation und die Miteinbeziehung der jungen Schwestern. Auch Beratung und Begleitung von außen sei notwendig. Genauso unabdingbar sei es, Strukturreformen und geistliche Reformen miteinander zu verschränken.

Spannungen zwischen sogenannten „Progressiven“ und „Konservativen“ seien charakteristisch und auch notwendig für alle Change-Prozesse, „denn ohne sie gibt es keine Entwicklung“. Polak: „Während die einen das Neue propagieren, versuchen die anderen Bewährtes zu sichern. Fehlt diese Spannung oder wird eine der beiden Gruppen ignoriert und vertrieben, handelt es sich um eine autoritäre und totalitäre Organisation.“

Einige weitere Anregungen, die die Pastoraltheologin aus den Interviews mit den Ordensschwestern ableitete: „Für die Zukunft wird es entscheidend sein, das Ordenscharisma verstärkt auf die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den CS-Einrichtungen auszuweiten und ihnen auch Formen des Gemeinschaftslebens auf Zeit anzubieten.“

Zentrum für Klostererbe

Der niederländische Archivexperte Otto Lankhorst berichtete über das Zentrum zur Pflege des niederländischen Klostererbes im Kreuzherrenkloster Sankt Agatha: „25 Gemeinschaften haben in den 1980er-Jahren begonnen, und heute sind über 100 Gemeinschaften die Nutzer dieses Zentrums für ihr Klostererbe. Es geht darum, Quellen zu retten von einer reichen Vergangenheit." In den Niederlanden seien viele Klöster schneller geschlossen worden als in anderen europäischen Staaten.“ Die gemeinsame Stiftung sei aber noch rechtzeitig von den Orden verwirklicht worden. Die einzelnen Orden blieben Besitzer der Archivalien. Die besondere Herausforderung seien die Digitalisierung sowie die Archivierung von Websites, so Lankhorst.

Der Provinzarchivar der Schweizer Kapuziner, Christian Schweizer, stellte das Netzwerk geistlicher Archive in der Schweiz vor. „In der Schweiz ist die Vielsprachigkeit und die Kleinstrukturiertheit die besondere Voraussetzung. Etwa 2.000 kirchliche Archive sind in der Arbeitsgemeinschaft AGGA zusammengefasst.“

Über ganz andere Voraussetzungen referierte der „Ein-Personen-Archivar“ des Schottenstiftes in Wien, Maximilian Trofaier. Er rief u. a. dazu auf, die Öffentlichkeitsarbeit für Archive ordensintern wie auch darüber hinaus stärker in den Mittelpunkt zu stellen.

Jahr der Orden 2015

Die Tagung in Schloss Puchberg, die am Mittwoch zu Ende ging, war die gemeinsame Jahrestagung der österreichischen und deutschen Ordensarchive. Anlässlich des „Jahres der Orden 2015“ wurden auch Vertreter aus weiteren Ländern eingeladen. Veranstalter der Tagung sind die Arbeitsgemeinschaft der Ordensarchive Österreich und die Arbeitsgemeinschaft der Ordensarchive Deutschland mit Unterstützung der Ordensgemeinschaften Österreich und dem Land Oberösterreich.

religion.ORF.at/KAP

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