Lessing-Symposium zur Wahrheitsfrage

Die Ringparabel von Gotthold Ephraim Lessing gilt als literarischer Schlüsseltext der Aufklärung und der europäischen Toleranzidee. Die Wiener Katholisch-Theologische Fakultät hat dem Text ein Symposium gewidmet.

Ist eine friedliche Koexistenz der Religionen möglich? Seit das Morden im Namen Gottes durch Terroranschläge, etwa in Paris und Kopenhagen, wieder Europa erreicht hat, steht die Frage nach dem Miteinander der Religionen erneut im Zentrum vieler Diskussionen. Es ist eine bestürzende Faktenlage, die am Anfang des Lessing-Symposiums an der Uni Wien aufgezeigt wird.

Lessing Symposium an der Uni Wien. April 2015

ORF/Marcus Marschalek

Lessing-Symposium der Uni Wien an der Katholisch-Theologischen Fakultät

Es ist kein friedliches Bild, das zu Beginn des Symposiums von den Religionen gezeichnet wird: Der Islamismus scheint die Kraft zu besitzen, das Bild des Islam zu entstellt. Tägliche Berichte von Gräueltaten der Terrormiliz Islamischen Staat (IS) provozieren Gegenreaktionen. Es mehren sich barbarische Anschläge auf islamische Einrichtungen, islamophobe Tendenzen breiten sich in der Gesellschaft aus. Immer öfter werden Musliminnen und Muslime in aller Öffentlichkeit beschimpft, angegriffen und bespuckt.

Lessing Symposium an der Uni Wien. April 2015

Österreichische Nationalbibliothek

Lessings Ringparabel

Die Ringparabel wird von der Titelfigur in „Nathan der Weise“ von Gotthold Ephraim Lessing aus dem Jahr 1779 erzählt. Sultan Saladin, muslimischer Herrscher Jerusalems zur Zeit des dritten Kreuzzugs, stellt dem Juden Nathan die Frage, welche der drei monotheistischen Religionen er für die wahre halte. Nathan entkommt der Zwickmühle mit folgendem Gleichnis:

Ein Vater besitzt ein wertvollen Ring, der seinen Träger „vor Gott und den Menschen angenehm“ machen kann. Da er drei Söhne hat und er keinen von ihnen bevorzugen will, lässt er Duplikate herstellen und vererbt jedem einen davon mit der Versicherung, sein Ring sei der echte. Nach dem Tode des Vaters ziehen die Söhne vor Gericht, um die Echtheit klären zu lassen - was nicht gelingen kann. Der Richter erklärt, die „Echtheit“ werde sich in der Zukunft an der ihm nachgesagten Wirkung zeigen. Jeder Ringträger - der für eine der Weltreligionen steht - solle sich also bemühen, „vor Gott und den Menschen angenehm“ zu sein.

Aber auch der Antisemitismus verzeichnet 70 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz Zuwachsraten. Ein durchaus Besorgnis erregender Befund, den der Wiener Theologe Jan-Heiner Tück als aktuelle Ausgangssituation skizziert. Unter dem Titel „Lessings Ringparabel. Ein Paradigma für die Verständigung zwischen den Religionen heute?“ haben sich deutschsprachige Theologen und Geisteswissenschafter aus Judentum, Christentum und Islam an der Uni Wien getroffen.

Diskutiert wurden beim Symposium sowohl das historische Umfeld des Textes, als auch seine Bedeutung für die heutige Zeit.

Im Zentrum der Ringparabel steht die Frage nach der Wahrheit der Religion. Lessing kritisiert in seinem mehr als 200 Jahre altem Text Vorurteile und schreibt gegen doktrinale Ignoranz. Er wirbt für Toleranz gegenüber Andersgläubigen und versucht anderen Religionen dadurch gerecht zu werden, dass er deren Selbstverständnis Rechnung trägt, so der übereinstimmende Befund der Wissenschafter am Symposium.

Vom Alleinanspruch zum Miteinander

Im Mittelalter war Religion aus christlichen Perspektive singulär zu verstehen, betont der Islamwissenschafter Ahmad Milad Karimi im Gespräch mit religion.ORF.at. „Es gab nur eine Religion, alle anderen waren bestenfalls Sekten oder aufgehobene Religionen, Momente des Christentums. Aber Lessing schafft es, ihre Eigenständigkeit zu bewahren und sie als Familie zu begreifen. Das ist unglaublich schön, sich als Familienmitglied zu verstehen, sich gegenseitig zu unterstützen. Dafür steht Lessing!“

Wegen der Unentscheidbarkeit der Wahrheitsfrage verlagert Lessing den Streit um die wahre Religion auf die Ebene des Wettstreits zwischen den Religionen um das Gute. Der Lösungsansatz zur Wahrheitsfrage, den Lessing in der Ringparabel anbietet, beschäftigt die Wissenschaft seit Erscheinen des Textes, „weil er in der deutschsprachigen Literaturgeschichte und Geschichte des Theaters erstmals und mit einer ganz eigenen Prägnanz vertritt, dass keine Religion die Wahrheit für sich gepachtet hat. Es wird bestritten, dass es eine allein selig machende Religion geben kann,“ sagt Christoph Schulte vom Institut für jüdische Studien der Universität Potsdam.

Wettstreit um das Gute

In der Erzählung gehe es Lessing nicht etwa um die Auflösung aller Religion in einen „abstrakten Humanismus“ oder um einen Wettstreit um die Wahrheit einer einzigen Religion, erklärt Tück im Gepräche mit religion.ORF.at, es gehe vielmehr um einen Wettstreit der Religionen um das Gute auf Augenhöhe: „Das Jude-, Christ- und Muslimsein soll gerade nicht neutralisiert, sondern als geschichtliche Quelle von Humanität stark gemacht werden. Die jeweilige Religion soll als Vehikel der Menschwerdung des Menschen dienen, die strittige Echtheit des Ringes soll durch die humane Praxis seines Trägers sichtbar gemacht werden.“

Lessing Symposium an der Uni Wien. April 2015

ORF/Marcus Marschalek

Islamwissenschafter Ahmad Milad Karimi, Uni Münster

Etwas provokanter formuliert es Jan Assmann, Religionswissenschafter an der Universität Heidelberg: „Es kommt nicht darauf an, an welchen Gott man glaubt. Es kommt darauf an, was man aus diesem Glauben macht und wie man die Welt im Tun in gewisser Maßen verbessert.“

„Gut“ statt „wahr“

Assmann zeigte als Eröffnungsredner der Tagung in einer historisch-theologischen Betrachtung den theologischen Wert der Ringparabel für die heutige Diskussion auf: Diesen sieht Assmann in Ansätzen einer „performativen Theologie“, die Lessing in der Ringparabel skizziert habe.

TV-Tipp

„So glaube jeder..“ - Lessings „Ringparabel“ als Schlüsseltext der Aufklärung
Orientierung am 19. 4., 12.30 Uhr, ORF 2

Indem Lessing seine Parabel nämlich - anders als bei der historischen Textvorlage, dem 1348 entstandenen „Decamerone“ von Boccaccio - auf einen Wettstreit nicht um das Wahre, sondern um das moralisch Gute hinauslaufen lässt, werde ein theologischer Raum eröffnet, in dem nicht unterschiedliche Wahrheitsansprüche kollidieren, sondern in dem Wahrheit in eine moralische Kategorie überführt werde. „Plädiert wird für eine Anerkennung des Anderen auf der Grundlage einer Selbstzurücknahme, einer Relativierung der eigenen Wahrheit“, so Assmann.

Für den Erziehungswissenschafter und Publizisten Micha Brumlik ist die Ringparabel weniger ein theologisches als ein religionspolitisches Lehrstück: “Die Leistung Lessings mit seiner Parabel besteht darin, dass er den Gedanken der Toleranz vorbereitend in einen Gedanken der Akzeptanz verwandelt hat und zwar so, dass es nach der Ringparabel nicht mehr auf eine absolute theologische Wahrheit ankommt, sondern darauf was die einzelnen Religionen von ihrem Wahrheitsanspruch aus handelnd in der Welt zum Guten verändern.”

Jan-Heiner Tück

ORF/Marcus Marschalek

Theologe Jan-Heiner Tück, Uni Wien

Mit einem Plädoyer, den Religionsdialog als Friedensdialog zu intensivieren, ohne den je eigenen Wahrheitsanspruch aufzugeben, beschließt Tagungsinitiator Jan-Heiner Tück das Symposium. „Eine Verflüssigung des Wahrheitsanspruchs“ in einen moralischen Wettstreit oder in eine „performative Theologie“, wie sie Assmann zuvor empfohlen hatte, sei nur bedingt hilfreich und greife zu kurz, so Tück.

Miriam Beller, Marcus Marschalek; religion.ORF.at

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