„Den Toten ihre Namen geben“
Maly Trostinec war einer der Orte bei Minsk in Weißrussland, an dem während des Zweiten Weltkriegs die Deportationszüge der Nazis aus Wien ihr Ende fanden. Dort wurden insgesamt etwa 60.000 Menschen ermordet, 10.000 davon Juden aus Wien. „Das Totenbuch gibt jenen Tausenden, deren Asche von keinem Grab geborgen ist, ihre Namen wieder und hält ihr Gedächtnis für immer fest“, schreibt der Verlag des Buches in einer Aussendung.
Buchpräsentation
Donnerstag, 1. Oktober 2015, um 18.30 Uhr im Jüdischen Museum Wien, 1010, Dorotheergasse 11.
Zeugnis gegen „Wir haben nichts gewusst“
Das Buch wurde mit Beiträgen der Direktorin des Jüdischen Museums Wien, Danielle Spera, Bundespräsident Heinz Fischer, Schauspielerin Elisabeth Orth, dem Wiener Bürgermeister Michael Häupl, Martin Jäggle, Präsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit und katholischer Theologe, Texten der Journalistin Susanne Scholl und anderen gestaltet. Sie alle haben Vorfahren und Angehörige, die in Maly Trostinec ermordet worden sind.

Manfred Haselgruber
Heute steht an der Erschießungsstelle nahe Maly Trostinec ein junger Wald. An seinen Stämmen wurden Gedenktafeln aufgehängt
Die Dokumente berichten von der Methodik des Mordens, sie seien ein „Zeugnis gegen das ‚Wir haben nichts gewusst‘“, heißt es in einer Aussendung. Das Buch werde zu einem „Ort des Gedenkens“, „zu einem Instrument der Erinnerung und vielleicht auch des Trostes“, so die Aussendung. Bei der Buchpräsentation am 1. Oktober werden Nachfahren und Verwandte der Opfer anwesend sein.
Buchhinweis
Maly Trostinec - Das Totenbuch.
Den Toten ihre Namen geben
Hrsg. von Waltraud Barton
Verlag Edition Ausblick, 2015
Maly Trostinec ins Gedächtnis rufen
Die Herausgeberin des Buches, Waltraud Barton, ist evangelische Christin, sie gründete 2010 den Verein IM-MER. IM-MER hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Gedenken an die in Maly Trostinec Ermordeten aufrecht zu erhalten beziehungsweise im Gedächtnis der Österreicher zu verankern. Denn das sei es überhaupt nicht, betont Barton auf ihrer Website und im Gespräch mit religion.ORF.at.
Warum sich die Mediatorin mit den Toten von Maly Trostinec befasst, hat einen persönlichen Hintergrund: Die erste Frau ihres Großvaters war Jüdin und kam in Maly Trostonec ums Leben. Diese Frau hatte sich jahrelang um Bartons Vater gekümmert, der das Kind ihrer Nachfolgerin (der zweiten Frau des Großvaters) war. Bartons Vater nannte sie „Tante Malvine“ und habe in seinen ersten sieben Lebensjahren eine starke emotionale Bindung zu dieser Frau, die ihm die kranke Mutter ersetzte, gehabt, erzählt Barton.
Veranstaltungshinweis
Am 5. Oktober 2015 werden am Platz der Opfer der Deportation im 3. Bezirk (am ehemaligen Aspangbahnhof) von 8.00 Uhr bis ca. 22.00 Uhr die Namen der deportierten Opfer vorgelesen.
Familienmitgliedern einen Platz geben
Ihr Vater habe nicht verstanden, warum sie plötzlich weg war, so Barton. Sie wollte daher dieser Frau ihren Platz in der Familie geben. Daraus ist das Engagement für die insgesamt 10.000 Österreicherinnen und Österreicher entstanden, die in Weißrussland erschossen oder in Gaswägen erstickt wurden.
Laut Barton gibt es in Maly Trostinec keine Gedenkstätte an die Geschehnisse von vor mehr als 70 Jahren. Nichts erinnere an das dortige Geschehen. Sie engagiert sich daher auch für ein Grabmal, auf dem alle Namen der österreichischen Opfer aufgelistet sind.
religion.ORF.at
Mehr dazu:
- Maly Trostinec: Das unbekannte Nazi-Todeslager (science.ORF.at; 30.11.2011)