Ehe und Scheidung: Vom Umgang mit dem Scheitern

„Das Sakrament der Ehe ist unauflöslich“: Dieser Satz ist vielen Wortmeldungen aus der römisch-katholische Kirche und speziell der derzeit stattfindende Bischofssynode vorangestellt. Aber warum ist das so, und muss es so bleiben?

Derzeit ist es Katholiken, die nach einer Scheidung eine neue Ehe eingehen, nicht erlaubt, die Sakramente der Kommunion und der Buße zu empfangen. Nach Auffassung der Kirche leben sie im permanenten Zustand der Sünde, denn eine kirchlich geschlossene Ehe ist aus deren Sicht unauflöslich. Die katholische Lehre zum Thema Ehe stehe nicht zur Debatte und sei mit der Familiensynode nicht infrage gestellt worden, sagte auch Papst Franziskus neulich zu Beginn der Weltbischofssynode zu den Themen Familie und Ehe.

„Was Gott verbunden hat ...“

Die entscheidende und vielzitierte Bibelstelle, auf die sich Christen in Bezug auf die Ehescheidung berufen, ist: „Was Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen.“ (Mk 10,9) Dem gegenüber steht eine Scheidungsrate von 42,1 Prozent in Österreich im Jahr 2014. Hier hinkt, so scheint es, die Kirche der gelebten Praxis Lichtjahre hinterher. Ist eine so starre Haltung der Kirche zu einer gesellschaftlich so dynamischen Entwicklung noch im Sinne ihres Gründers?

Katholische Trauung, der Priester segnet das Brautpaar

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Katholische Eheschließung: Viele Verbindungen sind nicht für die Ewigkeit

Die Theologin Marlis Gielen, die an der Universität Salzburg Neutestamentliche Bibelwissenschaft lehrt und dort den Fachbereich Bibelwissenschaft und Kirchengeschichte leitet, ist nicht dieser Meinung. Sie nennt es „absurd“, dass die Kirche wiederverheiratete Geschiedene von der Kommunion ausschließt.

Die lebenslange Ehe sei für Jesus „eine Zielvorgabe unter dem Vorzeichen des neuen, bedingungslos allen Menschen geltenden Heilshandelns Gottes gewesen, das er verkündigte“. An dieser Zielvorgabe habe die urchristliche Überlieferung festgehalten. „Das freilich hinderte sie nicht daran, am Wort Jesu zur Ehescheidung kulturell bedingte Adaptionen und sachliche Konzessionen vorzunehmen“, so Gielen im Gespräch mit religion.ORF.at.

Vor allem die Sanktion des Ausschlusses der wiederverheirateten Geschiedenen von der Teilnahme am eucharistischen Mahl werfe „ein bezeichnendes Schlaglicht auf die Absurdität der geltenden Rechtspraxis in der katholischen Kirche. Denn diese Sanktion missachtet konsequent, dass Jesus selbst gerade gescheiterte und sündige Menschen als seine Tischgäste willkommen geheißen hat“, sagte die Theologin.

Konzessionen im Urchristentum

Sie führt dazu ein Beispiel aus dem Markusevangelium an. Dort endet ein Streitgespräch Jesu mit Kritikern um das durch Moses verbriefte Recht des Mannes, seine Frau aus der Ehe zu entlassen, mit dem schon zitierten Wort, das das Trennungsverbot Jesu festhält: „Was Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen.“ (Mk 10,9) Das hinderte den Evangelisten aber nicht daran, sofort an dieses Wort ein Gespräch Jesu mit seinen Jüngern anzufügen, das das bedingungslose Trennungsverbot „aufweicht“.

„Denn jetzt bricht sich die Macht des Faktischen Bahn. Daher wird für den Fall, dass sich ein Mann doch von seiner Frau trennt und damit gegen die Zielvorgabe Jesu verstößt, zumindest eine zweite Eheschließung untersagt, indem sie mit Ehebruch gleichgestellt wird (Mk 10,11). Eine kulturell bedingte Anpassung stellt Mk 10,12 dar. Hier wird vorausgesetzt, dass sich auch eine Frau von ihrem Mann trennen kann“, so Gielen. Das aber war in dem von der Thora bestimmten jüdischen Rechtsraum, in dem Jesus zu Hause war, nicht möglich.

"Christus und die Ehebrecherin" aus dem Codex Egberti, ca. 980 bis 993 n. Chr.

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„Christus und die Ehebrecherin“ aus dem Codex Egberti, ca. 980 bis 993 n. Chr.

Angesichts der dort zur Zeit Jesu herrschenden sozialen Rahmenbedingungen barg die Entlassung einer Frau aus der Ehe für sie die große Gefahr, in eine soziale Notlage zu geraten. Es blieben ihr damals nur wenige Möglichkeiten, um zu überleben - neben der Prostitution und der schmachvollen Rückkehr in die Herkunftsfamilie war das eben eine neue Ehe. Vor diesem Hintergrund schob Jesus dem Mann einen Riegel vor, sein durch Moses verbrieftes „gutes“ Recht auf Trennung von seiner Frau in Anspruch zu nehmen. „Stattdessen erwartet Jesus, dass der Mann die Barmherzigkeit und Güte Gottes, auf die er – wie jeder Mensch – angewiesen ist und die ihm von Gott auch bedingungslos geschenkt wird, zum Maßstab des eigenen Handelns macht, d. h. konkret in Treue und Verantwortung zu seiner Frau steht“, so Gielen.

Das bedingungslos barmherzige Heilshandeln Gottes, das er keinem Menschen verweigere, mache Jesus auch dadurch erfahrbar, dass er offenkundig gescheiterte und sündige Menschen als seine Tischgäste willkommen hieß. Das aber, so die Theologin, missachte gerade die kirchliche Sanktion des Ausschlusses der wiederverheirateten Geschiedenen von der Teilnahme am eucharistischen Mahl konsequent.

Vergleich Mann/Frau mit Christus/Kirche

Für die Entwicklung des Verständnisses der Ehe als Sakrament sei ein Abschnitt aus dem gegen Ende des ersten Jahrhunderts n. Chr. verfassten Epheserbrief (Eph 5,22-33) sehr wichtig geworden, so die Neutestamentlerin. Hier werde das Verhältnis von Christus und der Kirche nach dem Modell der zeitgenössisch patriarchal konzipierten Ehe zwischen Mann und Frau dargestellt, wobei Christus die Stelle des Mannes, die Kirche aber die Stelle der Frau einnehme. So spiegle also das Ehepaar die unauflösliche Beziehung zwischen Christus und Kirche wider. Allerdings nehme der Mann gegenüber seiner Frau keineswegs die Rolle Christi ein.

Sendungshinweis

Diskussionsrunde zum Thema katholisches Familienverständnis und Sexualmoral in der Ö1-Sendung „Praxis“ zum Nachhören

Vielmehr halte Eph 5,30 fest, dass Mann und Frau als Getaufte Glieder des Leibes Christi seien, also beide aufseiten der Kirche stünden. Wenn als Kirchenbild aber die Vorstellung einer vollkommenen Gemeinschaft (societas perfecta) dominiere, dann müsse angesichts dessen, so Gielen, das Scheitern einer Ehe undenkbar erscheinen.

Allerdings erinnert die Theologin daran, dass gerade das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) den Aspekt der ständigen Erneuerungsbedürftigkeit der Kirche (ecclesia semper reformanda) wieder betont habe. Dieser Aspekt könne möglicherweise auch kreativ bei der Suche nach Lösungswegen für einen evangeliumsgemäßen Umgang mit den wiederverheirateten Geschiedenen in der katholischen Kirche genutzt werden. Darüber, wie so ein neuer Umgang aussehen könnte, machen sich gerade viele Experten Gedanken.

Modell „Ehe light“?

Der Bonner Dogmatikprofessor Karl-Heinz Menke zum Beispiel plädierte kürzlich für eine Änderung des Kirchenrechts und eine „Zweiklassenehe“: Nur wer sich voll und ganz mit der Kirche und ihrem Glauben identifiziere, solle katholisch heiraten - und dann auch die Konsequenzen tragen, wenn die Ehe scheitert, sagte Menke im Rahmen einer Tagung der Katholischen Akademie in Bayern Ende September. Wer aber in der Ehe kein Sakrament sehe, solle eben nicht sakramental heiraten, aber dann auch zur Kommunion gehen können. „Ehe light“ in der katholischen Kirche also?

Marlis Gielen

Marlis Gielen

Theologin Marlis Gielen

Streng genommen wäre eine Ehe, die von solchen Partnern eingegangen wurde, schon per se keine - derzeit ist mit dem Argument, einer oder beide Partner seien sich der Tragweite einer sakramental beschlossenen Ehe nicht voll bewusst gewesen, eine Annullierung dieser Ehe möglich. Der Papst machte wohl nicht ganz zufällig wenige Wochen vor der Familiensynode ebendieses Verfahren einfacher - mehr dazu in Kürzere Verfahren: Papst erleichtert Eheannullierungen.

In beiden Ansätzen erkennt Gielen Schwachstellen: Eine „Vorstufe“ zur sakramental geschlossenen Ehe wie von Menke vorgeschlagen wäre schwer in die Praxis umzusetzen. „Auf den ersten Blick wirkt das verlockend, unter dem Strich würde das aber mehr Probleme aufwerfen, als es löst“, so Gielen. Um nur eines zu nennen: Wenn von den Brautleuten bei einer nicht sakramentalen, aber kirchlichen Eheschließung Gottes Segen erbeten wird, schafft Gott dann eine „lockerere“ Verbindung zwischen ihnen, sodass eine Trennung ohne kirchliche Sanktionen möglich wird? Und fällt diese „lockerere“ Verbindung dann in die nach kirchlichem Jargon bisher sogenannten „irregulären Verhältnisse“?

Eheannullierung „wird vielen nicht gerecht“

Auch die Eheannullierung, jahrhundertelang erprobtes Mittel der katholischen Kirche, um unerwünschte Ehen auf „elegante“ Weise zu beenden, bringt Schwierigkeiten mit sich. Denn durch die nachträgliche Feststellung einer nie gültig zustande gekommenen Ehe würden ganze Lebensabschnitte einfach „gelöscht“, kritisiert Gielen, „das wird der Empfindung und Erfahrung vieler Betroffener nicht gerecht“.

„Die Kirche muss sich dazu durchringen anzuerkennen, dass auch nach dem Kirchenrecht gültig zustande gekommene Ehen scheitern können“ - als Vorbild für den Umgang damit könnte die Praxis der orthodoxen Kirchen dienen, die nach dem Prinzip der Barmherzigkeit Menschen, die in ihrer ersten Ehe gescheitert sind, eine zweite Chance einräumen, so die Theologin. Stützen lasse sich dieser barmherzige Umgang durch ein weiteres Jesus-Wort, sagte Gielen: „Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken.“ (Mt 9,12) Und gleich danach: „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer. Denn ich bin gekommen, um die Sünder zu rufen, nicht die Gerechten.“ (Mt 9,13)

Beschwörung der Barmherzigkeit

Die Beschwörung der Barmherzigkeit im Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen ist dieser Tage von vielen Seiten zu hören: Der Papst selbst eröffnete die Bischofsversammlung mit einem Appell zu Barmherzigkeit - und gleichzeitig einem Bekenntnis zur Unauflöslichkeit der Ehe. Die Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Kommunion sei „nicht in erster Linie eine Frage nach der Unauflöslichkeit des Sakraments der Ehe“, sagte kürzlich der Berliner Erzbischof Heiner Koch - mehr dazu in D: Umgang mit Geschiedenen Frage der Barmherzigkeit.

Barmherzigkeit als Lösung in der Frage der wiederverheirateten Geschiedenen - das klingt recht unspektakulär. Es sieht aber ganz danach aus, als werde in etwa so das Ergebnis der Familiensynode hinsichtlich dieser Frage aussehen. Auch der Papst argumentiert gerne damit. „Das zieht sich wie ein roter Faden durch das ganze Pontifikat“, so Gielen. Der wiederholte Einsatz des Begriffs der Barmherzigkeit „weist hin auf einen pastoralen Weg", wie man mit jenen umgeht, deren Ehe gescheitert ist, die sich aber weiter der Kirche verbunden fühlen“, sagte sie gegenüber religion.ORF.at.

Buchhinweis

Thomas Schumacher: Ehe als Sakrament verstehen. Pneuma Verlag, 218 Seiten, 19,95 Euro.

Es handle sich dabei eigentlich gar nicht um sehr viele - die meisten Menschen, die geschieden werden, interessiere die Meinung der Kirche dazu ohnehin nicht sehr. Derzeit stoße die Kirche „die Treuesten der Treuen“, jene, die ihr wirklich nahestehen und auch nach dem Scheitern einer Ehe auch sakramental am Gemeindeleben teilhaben möchten, in dieser Lage vor den Kopf.

Die Lösung sei eine gute pastorale Begleitung dieser Menschen. Dazu werde es nötig sein, in mehr geschultes Personal zu investieren, so die Theologin. Es könnte sich auch für die Kirche auszahlen, gerade diese treuen Anhängerinnen und Anhänger nicht zu vertreiben. Denn, so die Theologin: „Im zweiten Versuch finden viele ihr Glück.“

Johanna Grillmayer, religion.ORF.at