Bockelmann: „Ohne Geschichte keine Zukunft“

Der Film „Zeichnen gegen das Vergessen“ begleitet den Maler Manfred Bockelmann, der Kinder und Jugendliche, die vom Nazi-Regime umgebracht wurden, in beeindruckenden Kohlezeichnungen verewigt.

Der 1943 geborene Maler Manfred Bockelmann hat sich der Frage gestellt, was mit den Kindern passiert ist, die damals in der „falschen Wiege“ lagen. Viele der von den Nazis ermordeten Kindern und Jugendlichen hat Bockelmann gezeichnet und versichert, damit nicht aufzuhören, solange er könne. „Ich möchte diese Kinder zurückholen aus der Dunkelheit“, so Bockelmann.

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Jüdisches Filmfestival Wien
religion.ORF.at begleitet das Jüdische Filmfestival Wien als Medienpartner und berichtet über ausgewählte Programmpunkte.

Jüdisches Filmfestival Wien 2015

Der Film „Zeichnen gegen das Vergessen“ dokumentiert Bockelmanns Schaffen vom Entschluss bis zur Ausstellung der Bilder aus der gleichnamigen Serie im Leopold Museum in Wien 2013. Er wird im Rahmen des heurigen Jüdischen Filmfestivals gezeigt.

Immer wieder zeigt der Film Sequenzen aus Interviews mit Holocaust-Überlebenden. Auch Treffen Bockelmanns mit Zeitzeugen geben einen Eindruck von der Intensität seiner Beschäftigung mit dem Thema wieder. So trifft er auf Helga Pollak-Kinsky, die das Konzentrationslager Theresienstadt überlebte. Sie war zum Zeitpunkt der Befreiung 15 Jahre alt. „Ohne Geschichte ist keine Zukunft“, sagt sie. 60 Mitglieder ihrer Familie kamen durch die Nationalsozialisten ums Leben, zwei überlebten. Nicht verwunden habe sie das Schicksal ihrer Cousine, die drei Monate alt war, „als sie ins Gas ging“, erzählt Pollak-Kinsky.

„Der Statistik ein Gesicht geben“

Bockelmann hat sich tief mit den Porträtierten verbunden: „Man kann nicht ein Porträt zeichnen, wenn man kein Gefühl für die Person bekommt“, „es ist, als ob ich sie kenne“, sagt Bockelmann in dem Film.

Manfred Bockelmann mit einigen seiner Werke bei den Filmaufnahmen. JFW15

D. Kunac

Dreharbeiten zum Film „Zeichnen gegen das Vergessen“ in Bockelmanns Kärntner Atelier

Seine Emotionen würden in seine Bilder fließen. So lässt sich auch der starke Ausdruck erklären, den die Bilder haben. Vorlage für seine Werke sind die Fotos des „Erkennungsdienstes“ der Nazis aus dem Konzentrationslager Auschwitz. 40.000 solcher Fotos sind dort im Archiv dokumentiert. Laut Bockelmann wurden nur die fotografiert, die durch Arbeit sterben sollten. Er möchte „der Statistik ein Gesicht geben“.

„Zeichnen gegen das Vergessen“

Der Film wird im Rahmen des Jüdischen Filmfestivals am Dienstag, 13.10.2015 in Anwesenheit von Manfred Bockelmann, Helga Pollak-Kinsky und Filmproduzent David Kunac um 20.00 Uhr im Votivkino gezeigt.

„Meine Angst ist, dass wenn man das vergisst, sich alles wiederholen wird“, so Bockelmann. Der Sohn aus gutbürgerlichem Haus, dessen Vater 1939 Bürgermeister von Ottmanach in Kärnten wurde, sagt ganz klar, dass die Generation seiner Eltern Verantwortung für das Großwerden Hitlers trage. Seinem Vater sei die Tragweite des Naziregimes zu spät bewusst geworden.

Manfred Bockelmann mit einigen seiner Werke im Leopold-Museum. JFW15

Lukas Wögerer/Manfred Bockelmann

Manfred Bockelmann beim Ausstellungsaufbau im Leopold Museum 2013

Die Geschichte annehmen

Auf der Suche nach Bildern für sein Projekt reiste Bockelmann ins KZ Auschwitz und in die USA ins Sara & Sam Schoffer Holocaust Resource Center an der Stockton Universität in New Jersey. Dort traf er auf Professor Murray Kohn, der mit 13 ins KZ gebracht wurde, ohne sich von seiner Mutter und seiner Schwester Yda verabschieden zu können.

Ihm schenkte Bockelmann das Bild seiner Schwester, das er bei den erkennungsdienstlichen Fotos gefunden und gezeichnet hatte. Auch Kohn nimmt seine Geschichte an, er hätte nicht für viel Geld seine auf den Unterarm tätowierte Häftlingsnummer wegmachen lassen wollen, so der Überlebende.

Manfred Bockelmann mit einigen seiner Werke bei den Filmaufnahmen. JFW15

D. Kunac

Mit langen, angekohlten Birkenästen zeichnete Bockelmann im Leopold Museum großflächig das Bild eines Kindes an die Wand. Die verkohlten Birkenäste stehen symbolisch für das Konzentrationslager Birkenau

2013 wurden schließlich die Zeichnungen im Leopold Museum ausgestellt. Bedrückende Stille herrschte beim Betreten der Ausstellungsräume, die nach den Vorstellungen Bockelmanns gestaltet worden waren. Obwohl er immer wieder mit der Sorge kämpft, nicht etwas zeichnen zu können, was er nicht selbst erlebt hat, bleibt der Bruder des Ende 2014 verstorbenen Udo Jürgens an den Bildern dran. Zuerst zehn Porträts, dann immer mehr, das Projekt läuft noch.

Nina Goldmann, religion.ORF.at

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