„Sacred Sperm“: Orthodoxe Juden und die Onanie

Der Film „Sacred Sperm“ war heuer der Liebling gleich mehrerer Festivals. Die Geschichte eines ultraorthodoxen Vaters, der seinem Sohn erklären möchte, warum strenggläubige Juden nicht masturbieren dürfen, erregte in Israel die Gemüter.

„Sacred Sperm“ läuft im Rahmen des Jüdischen Filmfestivals Wien zum ersten Mal in Österreich. Regisseur Ori Gruder ist ein religiös Spätberufener. In seiner Jugend hätten ihn und seine Freunde nur zweierlei interessiert: Die Wellen am Surferstrand und was ihr Penis machte, erzählt Gruder in der Einleitung des Films. Erst im Alter von 30 Jahren entdeckte der Filmemacher seinen Gottglauben und begann ein Leben unter Haredim, jüdischen Ultraorthodoxen. Nun ist er Vater von sechs Kindern, von denen das älteste, ein Bub, langsam in die Pubertät kommt. Weil Gruder ahnt, dass sein Sohn sich bald mit Fragen zu seiner Sexualität an ihn wenden wird, macht er sich auf die Suche nach Antworten.

Filmstill "Sacred Sperm". JFW15

Jüdisches Filmfestival Wien

Abtauchen ins Ritualbad: „Sacred Sperm“ gibt Einblick in die Welt der Haredim

Mit der Kamera zum Rabbi

Er begibt sich auf die Recherche und befragt als Erstes seinen Rabbi - mit geschulterter Kamera. Der Rabbi erteilt Gruder die Erlaubnis, den Film zu drehen, warnt ihn aber auch davor, dass er „mit dem Feuer“ spiele, wenn er ein so intimes und delikates Thema behandle. Auch Gruders Frau, ohne deren Segen er „nichts tut“, gibt zu bedenken, dass die Sache für ihre Familie unangenehm werden könnte, sie gibt ihm aber ebenfalls ihre Erlaubnis.

Gruder beginnt seine Recherche in einem Labor, in dem Samenspenden gelagert werden. Orthodoxen Männern werde ihr Samen in einem speziellen Verfahren abgenommen, erzählt eine Laborangestellte - zum Teil per Injektionsnadel und unter Narkose.

Spezielle Unterwäsche gegen Versuchung

„Wer seinen Samen vergießt, tötet seine Söhne“, liest ein anderer Rabbi dem Regisseur aus seinen uralten heiligen Texten vor. Ein chassidischer Freund des Regisseurs, ebenfalls Rabbi, zeigt ihm eine spezielle Toiletten-Vorrichtung und eine eigens für Haredim angefertigte Unterhose: Beides helfe dabei, zu vermeiden, den Penis anzugreifen.

Filmhinweis

„Sacred Sperm“ am Montag, 19.10. um 19.00 Uhr im De France Kino in Wien. Im Anschluss Diskussion mit Regisseur Ori Gruder

Es folgt eine Aufzählung von Ratschlägen, wie dem Problem der sexuellen Erregung bei völligem Verbot von Selbstbefriedigung und außerehelichem Sex zu begegnen sei. Mit Staunen erfährt man, was orthodoxe männliche Juden offenbar alles tun, um dem natürlichen Drang zu masturbieren zu widerstehen: Stehen auf den Zehenspitzen, schnelles Gehen und Hüpfen, auch das Krallen der Fingernägel in den Boden.

Onanie als Mord

„Every sperm is sacred“, spottete einst die britische Komikergruppe Monty Phyton über das Sexleben streng katholischer Familien - für ultraorthodoxe Juden ist dieser Satz Realität. Die Abgabe auch nur eines Tröpfchens Sperma außerhalb des Körpers der Ehefrau gilt als Mord, als etwas Zerstörerisches. Der Ausweg ist die (gewöhnlich in jungen Jahren eingegangene) Ehe. „Die Hochzeitsnacht verwandelt das schreckliche Verbot der Verschwendung von Samen in das erste Gebot der Thora: ‚Seid fruchtbar und mehret euch‘“, so der Kommentar des Regisseurs.

„Sacred Sperm“ dreht sich nicht rein um das Thema männliche Selbstbefriedigung (wie strengreligiöse Mädchen und Frauen mit dem Thema Masturbation umgehen, findet leider gar keine Erwähnung), sondern um das Thema Sexualität an sich. So begleitet der Film einen jungen Mann, der im Begriff steht, zu heiraten, zu einer Eheberatung durch einen Rabbi. Grundsätzlich, so erklärt der orthodoxe Beziehungsexperte, seien im Ehebett alle Stellungen „erlaubt“ - solange man dabei komplett zugedeckt bleibe. Zu bevorzugen sei allerdings die Variante „Mann oben“ (also die Missionarsstellung), erfährt der leicht verlegene Bräutigam. Das helfe dem Ehemann dabei, den nun heiligen Akt in die Länge zu ziehen, damit seine Frau mehr davon habe.

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Jüdisches Filmfestival Wien

Religion.ORF.at begleitet das Jüdische Filmfestival Wien als Medienpartner und berichtet über ausgewählte Programmpunkte.

Jüdisches Filmfestival Wien 2015

Der Film ist zum Teil recht flott geschnitten, insbesondere in den „weltlichen“ Szenen (etwa Rückblicke), dann folgen wieder längere, sehr ruhige Gesprächspassagen, gegengeschnitten mit Szenen aus dem Alltagsleben strenggläubiger jüdischer Männer und Buben. Es ist bei den teilweise schnellen Dialogen (im hebräischen Original mit englischen Untertiteln) eine Herausforderung, alle Einzelheiten mitzubekommen.

Der Regisseur im Mittelpunkt

Das Bemühen, an ein starkes Tabu der Strengreligiösen zu rühren, selber für sich und seine Familie zu einer Lösung zu finden, bringt der Film intensiv herüber. Regisseur Gruber erspart sich selber nicht viel, er steht stets im Zentrum des Films, meistens ist es, via Kamera, sein persönlicher Blick, dem die Zuschauer folgen. Selbst in einer Szene, in der Gruder sich, zur Abkühlung von Leidenschaften und um „Reinheit“ zu erlangen, im Schnee wälzt, ist die Kamera mit dabei. Privater geht’s nicht.

Vor allem aber bietet „Sacred Sperm“ Einblicke in die hermetische, für säkulare Menschen weitgehend unbekannte Kultur der Haredim. Der britische „Guardian“ schrieb in einer Filmkritik nach Erscheinen des Films im Februar, Gruder zeige einen „raren Blick auf dieses sensible Thema“, indem er an Orten filmte, die normalerweise für die Welt verschlossen blieben. Eine Welt, die für Außenstehende rätselhaft und faszinierend ist.

Johanna Grillmayer, religion.ORF.at

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