Krätzl warnt vor zunehmendem Antijudaismus

Der emeritierte Wiener Weihbischof Helmut Krätzl hat vor Antijudaismus in der österreichischen Gesellschaft gewarnt. Er mahnte eine vertiefte Auseinandersetzung der Christen mit ihren jüdischen Wurzeln ein.

Der Bischof äußerte sich im „Kathpress“-Interview anlässlich des 50-Jahr-Jubiläums der Verabschiedung der Konzilserklärung „Nostra aetate“ („In unserer Zeit“). Er hatte von 1962 bis 1965 als junger Priester im Dienst Kardinal Franz Königs in der Konzilsaula des Petersdoms als Stenograf den Verlauf des Konzils und die Diskussionen verfolgen können. „Nostra Aetate“ ist das erste offizielle Dokument der römisch-katholischen Kirche, in der die anderen Religionen positiv anerkannt werden. Das Kapitel über das Judentum ist das umfangreichste der Erklärung.

Antisemitismus im Steigen

Umfragen der vergangenen Jahre würden belegen, dass die Judenfeindlichkeit im Land - und darüber hinaus auch in Europa und weltweit - wieder im Steigen begriffen sei, gab sich Weihbischof Krätzl besorgt. Damit dürfe man sich nicht abfinden. Das zeigt für Krätzl zum einen, dass das seit dem zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) neue Verhältnisses zwischen Christen und Juden noch zu wenig in das allgemeine Kirchenbewusstsein eingedrungen sei.

Weihbischof Helmut Krätzl

Kathpress/Franz Josef Rupprecht

Weihbischof Helmut Krätzl

Zugleich bewahrheite sich wieder einmal das irrationale Phänomen, dass in jeden wachsenden Fremdenhass immer auch die Juden miteingeschlossen sind. Krätzl: „Fremdenhass insgesamt kann nur erfolgreich bekämpft werden, wenn auch die Wurzeln des Antijudaismus endlich ausgerottet werden.“

Jüdische Wurzeln der Christen

Die Konzilserklärung „Nostra aetate“ beinhaltet hinsichtlich des Judentums zwei zentrale Anliegen: erstens die Verurteilung des Antisemitismus, verbunden mit einem Schuldeingeständnis der Kirche als Mitverursacherin; zweitens die Notwendigkeit, dass die Kirche niemals die Wurzeln ihres Glaubens im Judentum vergessen darf. Dies Feststellungen seien vor 50 Jahren ein theologischer Quantensprung gewesen, so Krätzl.

Der Wiener Weihbischof erinnerte gegenüber „Kathpress“ auch an Papst Johannes Paul II., der in seiner denkwürdigen Ansprache in der Hauptsynagoge von Rom am 13. April 1986 die Hauptaussagen des Konzils nochmals zusammengefasst und fortgeführt hatte: Die jüdische Religion sei für Christen nicht etwas „Äußerliches“, sondern gehöre in gewisser Weise zum „Inneren“ des Christentums. Zum Judentum hätten die Christen somit Beziehungen wie zu keiner anderen Religion. „Ihr seid unsere bevorzugten Brüder und, so könnte man gewissermaßen sagen, unsere älteren Brüder“, so der Papst damals wörtlich.

Judenhass im Christentum

Johannes Paul II. bekräftigte zudem, dass den Juden als Volk keine dauernde oder kollektive Schuld wegen der „Ereignisse des Leidens“ Jesu angelastet werden könne. Der Papst damals wörtlich: „Haltlos wird also jede angeblich theologische Rechtfertigung für Maßnahmen der Diskriminierung oder schlimmer noch, der Verfolgung.“ Deshalb sei es auch nicht erlaubt, aus der Bibel zu folgern, dass die Juden „verworfen“ seien.

Das Konzil betone sogar mehrfach mit Berufung auf die Schrift, dass die Juden „weiterhin von Gott geliebt werden“, der sie mit einer „unwiderruflichen Berufung“ erwählt hat. Die Aussagen des Papstes seien so wichtig, weil gerade in der Geschichte Wurzeln des Antijudaismus vielfach aus dem Christentum stammen, „und, was noch schwerer wiegt, man diese noch biblisch und theologisch zu rechtfertigen versuchte“.

Annährung und Dialog

Weihbischof Krätzl sagte, dass es schon große Bemühungen gegeben habe, die Beziehungen zum Judentum neu und positiv zu gestalten. Er verwies etwa auf den Koordinierungsausschuss für christlich jüdische Zusammenarbeit, verschiedene Initiativen der Katholischen Aktion oder der Wiener Ruprechtskirche, die seit vielen Jahren zum jährlichen Gedenken an die Novemberpogrome von 1938 lädt.

Die kirchlichen Beziehungen zur israelitischen Kultusgemeinde seien sehr gut, so der Bischof weiter. Aber auch in Schulen habe es große Bemühungen gegeben. Trotzdem dürfe man sich damit nicht zufrieden geben: „Der christlich-jüdische Dialog muss intensiv fortgesetzt werden“, forderte Krätzl. Die theologischen Grenzen des Gesprächs mit Juden würden darin liegen, „dass sie Jesus nicht als Messias anerkennen“. Trotzdem würde man sich gerade im Blick auf die Endzeit wieder in gewisser Weise treffen: „Die Juden erwarten den Messias und die Christen erwarten die Wiederkehr des Messias.“

Nostra aetate über Islam

Weit weniger bekannt als die Textpassagen zum Judentum in „Nostra aetate“ sind jene zum Islam. So heißt es in dem Dokument wörtlich: „Mit Hochachtung betrachtet die Kirche auch die Muslim, die den alleinigen Gott anbeten.“ Die Synodenväter rufen Christen und Muslime dazu auf, „sich aufrichtig um gegenseitiges Verstehen zu bemühen und gemeinsam einzutreten für Schutz und Förderung der sozialen Gerechtigkeit, der sittlichen Güter und nicht zuletzt des Friedens und der Freiheit für alle Menschen“.

Mitte der 1960er-Jahre sei der Dialog mit dem Islam bei weitem nicht so dringlich auf der Tagesordnung gestanden wie heute, sagte Krätzl, Papst Johannes XXIII. habe ein Gespür dafür gehabt, welche Herausforderungen auf die Kirche zukommen würden. Der Dialog mit dem Islam würde an mangelnder religiöser Bildung auf beiden Seiten mangeln, kritisierte der Bischof.

„Einen echten religiösen Dialog kann ich nur führen, wenn ich ein fundiertes eigenes Glaubenswissen und eine feste Glaubensüberzeugung habe“, so Krätzl. Die unter Christen weit verbreitete Angst gegenüber dem Islam sei, so Krätzl, ein Indiz dafür, im eigenen Glauben nicht sicher verankert zu sein. Er appellierte an Christen und Muslime, stärker aufeinander zuzugehen und einander vom je eigenen Glauben zu erzählen.

„Falsche Toleranz“ und Aufklärung

Sogenannte „falsch verstandene Toleranz“ kritisierte Krätzl allerdings - etwa wenn in Wien in Kindergärten oder Schulen religiöse Feste ausgespart werden, wenn Kinder mehrerer Religionen die Einrichtung besuchen. Krätzl sprach zudem davon, dass er - auch wenn es naiv sei - hoffe, „dass die Begegnung und der Dialog mit dem Christentum für den Islam die Chance bietet, die Aufklärung nachzuholen“.

Der emeritierte Bischof wies im „Kathpress“-Gespräch auch auf einen seiner Ansicht nach zu wenig beachteten Aspekt von „Nostra aetate“ hin: „Das Konzil fordert in gewisser Weise einen Schulterschluss aller Religionen, um den Menschen Antworten auf ihre existenziellen Fragen zu geben.“ Alle Menschen hätten in Gott denselben Ursprung und Gott zugleich als dasselbe Ziel.

religion.ORF.at/KAP

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