Woody Allen: „Verdammt zur Perspektive des Clowns“

Im Dezember 1935 wurde Woody Allen in New York geboren. Aus Anlass des bevorstehenden achtzigsten Geburtstags stehen fünf seiner Filme auf dem Programm des diesjährigen Jüdischen Filmfestivals Wien.

Zelig, Manhattan, Stardust Memories, Verbrechen und andere Kleinigkeiten sowie Hannah und ihre Schwestern. Sie demonstrieren, wie Allen dagegen ankämpfte, auf seine Rolle als Komödiant festgelegt zu werden. Er wollte sich nicht damit begnügen, witzig zu sein, sondern die großen existentiellen Themen des Menschseins zur Sprache bringen.

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Jüdisches Filmfestival Wien
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Jüdisches Filmfestival Wien 2015

Mehr als fünfzig Filme

Zu Woody Allen eine Meinung zu haben ist einfacher als sein vielfältiges Werk zu überblicken. Und diese Meinungen gehen auseinander: Waren die frühen, lustigen Filme besser? Ist er nur gut, wenn er selbst mitspielt? Dreht er zu viel? Ist nur jeder zweite Film wirklich gut? (Und welche wären dann die ersten?) Darf ein Regisseur, der zum Inbegriff des New Yorkers geworden ist, auch in London drehen, in Paris oder Rom? Ist es cool oder uncool, ihn zu mögen? Woody Allen beteiligt sich an diesen Diskussionen nicht.

Wenn ein Film fertig ist, setzt sich der Computer-Verweigerer an seine alte Schreibmaschine und beginnt den nächsten zu schreiben. Mehr als fünfzig Titel stehen in seiner Filmographie. Dazu kommen Theaterstücke und Prosatexte, zum Beispiel für die Zeitschrift „The New Yorker“.

Ein Witzeschreiber geht zum Film

Woody Allen begann als blutjunger Witzeschreiber für Zeitungen und Kabarettisten, bevor er selbst begann, vor Publikum aufzutreten. Seine Spezialität: „One-liner“ – Witze, die aus nur einem Satz bestanden. („Diese Uhr hat mir mein Großvater auf dem Sterbebett verkauft.“)

Woody Allen bei einem Konzert in der Wiener Stadthalle (2010)

APA/Herbert Pfarrhofer

Im Dezember wird Woody Allen seinen 80. Geburtstag feiern

Es waren seine Manager und späteren Produzenten Charles Joffe und Jack Rollins, die Woody Allens Filmtalent erkannten und ihn drängten, seine eigene Karriere zu starten. In seinen frühen Filmen (Take the Money and Run, Play it Again, Sam, Love and Death - Die Abenteuer des Boris Grushenko etc.) tat er, was er immer schon gemacht hatte: Er unterhielt das Publikum mit klug gesetzten Pointen.

Die Woody-Allen-Brille wurde zum Markenzeichen; weil er in seinen Filmen auch selbst die Hauptrollen spielte, verglich man ihn bald mit Charly Chaplin. Auch in den frühen Werken, sind die dunklen Fragen nach dem Sinn des Lebens angesichts von Tod und Endlichkeit nicht ausgespart, aber der Witz, mit dem sie gestellt werden, nimmt ihnen die Schärfe. „Love and Death“ zum Beispiel kreist zwar direkt um die ewigen Themen der Existenz, bleibt aber in allen Facetten Komödie. („Nicht-Existenz. Schwarze Leere.“ – „Was sagst du?“ – „Ich war nur dabei, meine Zukunft zu planen.“)

Annie Hall als Wendepunkt

Die große Woody Allen-Dokumentation von Robert Weide (Woody Allen. A Documentary) identifiziert den Film Annie Hall (Der Stadtneurotiker) als das Werk, in dem Allen die Entscheidung traf, nicht mehr allein aus Witzen Filme zu machen. Neben seine Vorbilder Groucho Marx und Bob Hope sind Größen des europäischen Kinos getreten: Federico Fellini und ganz besonders Ingmar Bergman. Die Pointen werden nicht schwächer und nicht weniger, aber eine neue Qualität tritt in den Vordergrund: Es geht um Menschen und ihre Gefühle. Eine zarte Liebesgeschichte wird erzählt, mit der famosen Diane Keaton als Partnerin.

In „Annie Hall“ arbeitete Allen zum ersten Mal mit dem New Yorker Kameramann Gordon Willis zusammen. Ihn nannte man in der Branche „Prinz der Finsternis“, weil er dunkle Bilder sehr liebte. Viele hielten eine Zusammenarbeit des sehr ernsthaften Fotografen Willis mit dem Komödianten Allen für unmöglich. Doch der Film wurde ein Welterfolg und gewann vier Oscars.

Liebe zur Tragödie

In einem BBC-Interview aus dem Jahr 1977 spricht Woody Allen über seine künstlerischen Pläne: „Ich möchte ernstere Filme machen – schreiben und Regie führen, aber nicht in ihnen spielen.“
Mit Interiors (Innenleben), einem Drama um eine nach langer Ehe verlassene Frau, setzt er 1978 diese Ankündigung um. Die dunklen Seiten des Lebens treten endgültig in den Vordergrund.

In Robert Weides Film schildert Allen die Sache so: Ich lege auf die tragische Muse mehr wert als auf die komische. Ich habe es immer so empfunden, dass sich tragische Literatur, tragisches Theater und tragischer Film direkter mit der Realität auseinandersetzen. Sie mildern den Ernst nicht mit einem Gag in letzter Minute. Das ist schwieriger; ich kann mich leichter blamieren. Aber es ist für mich befriedigender, an einem Projekt zu scheitern, das mich begeistert, als Erfolg zu haben mit Dingen, von denen ich weiß, dass ich sie gut kann.“

Woody Allen JFW15 - Crimes  Misdemeansors

JFW

Szenenfoto aus „Verbrechen und andere Kleinigkeiten“

Manhattan und die Selbstkritik

„Manhattan“, ist im Zusammenhang dieser künstlerischen Entwicklung Allens, seines konsequenten Weges aus dem Zwang zur Komödie zu verstehen. Die Romanze eines jungen Mädchens namens Tracy mit dem viel älteren Isaac hat Kultstatus erhalten – nicht zuletzt deshalb, weil der Film auch eine Liebeserklärung an New York ist. „Er war ein New Yorker und würde es immer bleiben“, heißt es im Prolog. 
Auch in diesem Fall war Gordon Willis für die Kamera verantwortlich; seine eindrucksvollen Schwarz-Weiß-Bilder liefern einen neuen Blick auf die Stadt und eröffnen, mit George Gershwins Rhapsodie in Blue unterlegt, emotionale Zugänge.

Woody Allen ist längst zum Charakterdarsteller geworden. Isaac versucht, die junge Geliebte (Mariel Hemingway) auf Distanz zu halten, weil die Verbindung nicht sein darf. Gleichzeitig wirbt er um sie, weil er sich nach ihr sehnt. Eine neue, sehr fragile Seite in Allens Schauspiel wird spürbar. Isaac braucht letztlich seine Tracy mehr als sie ihn. Mit dem letzten Satz im Film ermutigt sie den älteren Freund: „Hab ein wenig Vertrauen zu den Menschen.“

Manhattan zog Massen ins Kino. Aber Woody Allen hielt den Film für gescheitert. Er bot seinen Geldgebern von United Artists an, einen Film ohne Bezahlung zu machen, wenn sie dafür Manhattan nicht veröffentlichen würden. Es gibt kaum einen schärferen Kritiker am Werk Woody Allens - als Woody Allen selbst.

Düstere Erinnerungen

Es folgte ein weiterer Schwarz-Weiß-Film, wieder gedreht vom „Prinzen der Finsternis“, Gordon Willis: Stardust Memories. Das Thema der Abkehr von der Komödie wird hier im Film ausdrücklich thematisiert. Er handelt von einem Filmregisseur namens Sandy Bates, der zu einer Retrospektive seiner Filme ins „Stardust“-Hotel eingeladen ist und dort von Fans geradezu belagert wird. Aber er steckt mitten in einer Sinnkrise. „Ich mag keine lustigen Filme mehr machen, ihr könnt mich nicht dazu zwingen“, wirft er seinen Produzenten hin. „Ich fühle mich nicht lustig. Ich sehe mich um in der Welt, und alles was ich sehe, ist menschliches Leid.“

Trockene Antwort aus dem Off: „Menschliches Leid verkauft keine Tickets in Kansas City.“ In einem Alptraum zu Beginn findet sich Bates in einem Zug voller merkwürdiger, freudloser Gestalten. Die Reise geht zu einer Mülldeponie. Wie groß der Erfolg auch zu sein scheint: dort, auf dem Misthaufen, wird alles enden. Traum- und Filmsequenzen verschmelzen mit der Realität. Bates benützt die Auszeit auch, um sich über seine Liebesbeziehungen ins Klare zu kommen. Aber es ist schwer, der Vergangenheit zu entfliehen. Selbst Außerirdische, die er um Rat fragt, sagen ihm den Satz, den er nicht hören will: „Wir lieben deine Filme - vor allem die früheren, lustigen.“

„Stardust Memories“ wurde zurecht mit Fellinis „Achteinhalb“ verglichen. Es ist ein düsterer Film, der aber dennoch auf Humor und Komödie nicht verzichtet. Vielfach wurde er als Abrechnung mit dem Publikum verstanden und kritisiert. „Nach Manhattan“, analysiert der amerikanische Filmkritiker F. X. Feeney, „war das Publikum bereit, Woody Allen überall hin zu folgen – überall hin, außer zu den ‚Stardust Memories’.“ 
Aber Woody Allen ging unbeirrt seinen Weg. Die Bandbreite seines Schaffens war wieder deutlich gewachsen. Er hatte sich von der Erwartungshaltung des Publikums befreit. Jetzt kehrte er vorübergehend sogar ins lustige Fach zurück und versöhnte seine Stardust-kritischen Fans mit „A Midsummer Night’s Sex Comedy“ („Eine Sommernachts-Sexkomödie“).

Die Sehnsucht, sich nicht zu unterscheiden

„Zelig“ (1983) ist beim jüdischen Filmfestival schon am Samstag gelaufen. Die Pseudo-Dokumentation (Mockumentary) handelt von einem Bürger namens Zelig, dessen Krankheit darin besteht, dass er sich sofort an seine Umgebung anpasst. Unter Chinesen wird er Chinese, unter Mafiosi ein Mafioso und unter Ärzten Arzt. Kunstvoll wird hier altes Archivmaterial eingebaut, manipuliert und nachgestellt, der Stil der Wochenschauen und TV-Dokumentationen früherer Zeiten perfekt nachgeahmt. Witz und Gesellschaftskritik finden produktiv zusammen. Der überangepasste Zelig landet am Ende bei den Nazis. Nur die Liebe einer Frau kann ihn aus den Reihen der Hitler-Mitläufer retten.

Wie kann es Gott geben?

Mit Hannah’ and Her Sisters (Hannah und ihre Schwestern, JFW Sonntag, 20.30 Uhr), erschienen 1986, kommt Woody Allen nach Meinung vieler Kritiker seinem Idol Ingmar Bergman besonders nahe, ohne ihn jedoch zu imitieren. Er bleibt bei seiner eigenen Sensibilität – und auch bei seinem eigenen Humor. Er habe es genossen sich beim Schreiben auf die Perspektive von Frauen einzulassen, erzählt er. Es ist ein zarter, poetischer Film um Liebe und Lebensglück und dennoch eine Komödie mit vielen Anlässen zum Lachen und Schmunzeln.

Für sich selbst hat Woody Allen die Rolle des Comedy-Autors Mickey geschrieben. Er ist ein Hypochonder, der kleinste Symptome zu schweren Bedrohungen umdeutet. Obwohl sich die Angst vor einer schlimmen Diagnose in Luft auflöst, gerät er in eine existenzielle Krise: Es fällt ihm ein, dass er zwar nicht jetzt sterben muss, aber doch irgendwann später. Eine große Sinnsuche beginnt; sie führt in die Gefilde der Religionen, ohne dass er dort seinen Platz finden würde. Und sie führt zu einem klassischen Woody-Allen-Dialog mit Mickeys Mutter, die entsetzt ist, dass er nicht mehr an den Gott des Judentums glauben möchte.

Die Mama hat sich in ihrem Zimmer eingesperrt und ruft von drinnen hinaus: „Natürlich gibt es Gott, du Idiot, glaubst du nicht an Gott?“ Mickey antwortet mit einer Frage: „Warum gibt es dann so viel Böses auf der Welt? Ganz simpel gefragt: Warum gab es die Nazis?“ Darauf schaltet sie den Vater ein: „Max, erklär’s ihm!“ Doch der pragmatische Vater muss passen: „Was zum Teufel weiß ich über die Nazis? Ich weiß ja nicht einmal wie der Dosenöffner funktioniert.“
Nazis, Holocaust, nicht gesühnte Schuld: das sind wiederkehrende Themen in den Filmen Woody Allens.

Die offenen Augen der Schuld

In Crimes and Misdemeanors, („Verbrechen und andere Kleinigkeiten“, Sonntag, 16.00) sind Elemente der Tragödie und der Komödie besonders kunstvoll miteinander verflochten. Der angesehene Augenarzt Judah Rosenthal (Martin Landau) entledigt sich seiner Geliebten, die mehr von ihm will als nur Versprechungen, durch einen Auftragsmord. Ein tiefer Abgrund menschlicher Existenz wird zum Thema: Schuld. Es ist einer der philosophischsten, in einem gewissen Sinn auch „jüdischsten“ Filme Allens.

In seinen Gewissensqualen denkt sich Judah Rosenthal zu einer Seda-Feier seiner Familie zurück, wo der Verfall der Moral diskutiert wird. Ein wenig Erleichterung verschafft ihm das Gespräch mit einem seiner Patienten, einem Rabbi, der gerade dabei ist, sein Augenlicht zu verlieren. Die offenen Augen der ermordeten Geliebten und der blinde Rabbi werden zu Symbolen der Angst vor der Entdeckung der Schuld.

Wer sieht, was nicht gesehen werden darf? Erträgt der Täter das Dunkel? 
In einem zweiten Handlungsstrang muss ein mittelloser Filmemacher (Woody Allen als Cliff Stern) aus finanziellen Gründen eine Dokumentation über einen oberflächlichen und entsetzlich von sich selbst eingenommenen Fernsehproduzenten drehen. Das ist natürlich Stoff für eine Woody-Allen Komödie. Aber auch hier ist ein sehr ernsthafter Gegenpol gesetzt: Stern möchte eigentlich einen Film über einen alten jüdischen Professor drehen und sammelt Material über ihn. In einem Interview-Ausschnitt sagt der Professor: „Das Universum ist ein ziemlich kalter Ort. Wir sind es, die Gefühle investieren. Und unter bestimmten Bedingungen empfinden wir, dass es das nicht mehr wert ist.“

Zum Clown verdammt?

Tragödie oder Komödie? Beides bestimmt das Werk des bald Achtzigjährigen.
In der Robert-Weide-Dokumentation von 2012 sagt Woody Allen: „Die Fragen nach dem Sinn des Lebens, also warum wir hier sind, warum alles so schmerzhaft ist, die Fragen nach dem Verhältnis des Menschen zu seiner Existenz, nach der Einsamkeit des Menschen, können nie gelöst werden. Sie sind für mich von ständigem Interesse. Wenn ich auf meine Arbeit zurückblicke, haben sich dauernd einige von ihnen eingeschlichen.“ Er wäre gern als großer, talentierter Tragiker geboren, schmunzelt er. Aber: „Ich bin verdammt zur Perspektive des Clowns. Ich muss es immer auf die komische Weise angehen.“

Ein hoffentlich langes Leben

Als „Meister des Existentialismus“ hat der „New Yorker“ kürzlich Woody Allen gefeiert. Sein neuester Film An Irrational Man greift – mit Joaquin Phoenix in der Hauptrolle das Dostojewski-Thema vom perfekten, nicht entdeckten Mord erneut auf.

Befragt über sein Verhältnis zum eigenen Tod und Sterben, antwortet Woody Allen mit einem sehr existentialistisch angehauchten Satz: „I am strictly against it“, ich bin strikt dagegen. Aber er verweist gerne auch auf seine genetische Langlebigkeit. Sein Vater wurde 100, die Mutter, deren Familie übrigens aus Österreich stammte, 96. Macht er zu viele Filme? Sind nur die einen oder nur die anderen gut? Die Diskussionen werden vermutlich so schnell nicht abreißen. Gut so. Hauptsache er macht noch lange weiter. Happy birthday, Woody Allen. Wir freuen uns auf ein reiches Alterswerk.

Christian Rathner, religion.ORF.at

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