Theologe und Publizist Kermani mit Friedenspreis geehrt

Am letzten Tag der Frankfurter Buchmesse ist der Publizist und Islamwissenschaftler Navid Kermani mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geehrt worden.

Der 47-Jährige sei „eine der wichtigsten Stimmen“, die zwischen den Erfahrungswelten von Menschen unterschiedlichster nationaler und religiöser Herkunft vermittelten, so die Begründung des Stiftungsrats des Friedenspreises. Er greife mit „großer Sachkenntnis in theologische und wissenschaftliche Debatten“ ein.

Kermani nahm den mit 25.000 Euro dotierten Preis am Sonntag in der Frankfurter Paulskirche entgegen. Der Friedenspreis gehört zu den bedeutendsten Kulturpreisen in Deutschland und wird vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels seit 1950 verliehen. Der Literaturwissenschaftler Norbert Miller hielt die Laudatio auf Kermani, er hob unter anderem Kermanis Reportagen über Fluchtbewegungen hervor. Der Autor lebe und denke in zwei Kulturkreisen.

„Islam führt Krieg gegen sich selbst“

Aufhorchen ließ Kermani selbst, als er in seiner Dankesrede - ausgehend von den in Syrien entführten christlichen Patres Jacques Mourad und Paolo Dall’Oglio - die Anwesenden zum Gebet für Freiheit und Frieden aufrief: „Ein Friedenspreisträger soll nicht zum Krieg aufrufen. Doch darf er zum Gebet aufrufen.“

Publizist und Islamwissenschaftler Navid Kermani bei der Verleihung des Friedenspreis des Deutschen Buchhandels in Frankfurt

APA/EPA/Arne Dedert

Navid Kermani

Darüber hinaus prangerte Kermani die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) und eine Gleichgültigkeit des Westens an, sprach aber auch von einem Niedergang des Islam. Die meisten Muslime lehnten Gewalt ab, sagte der Publizist und Islamwissenschaftler. Es sei ein Trugbild, dass der Islam einen Krieg gegen den Westen führe: „Eher führt der Islam einen Krieg gegen sich selbst, will sagen: wird die islamische Welt von einer inneren Auseinandersetzung erschüttert, deren Auswirkungen auf die politische und ethnische Kartographie an die Verwerfungen des Ersten Weltkriegs heranreichen dürften.“

„Bruch mit der Tradition“

Angesichts des IS könne man von einem „religiösen Faschismus“ sprechen, so Kermani weiter. Die Gräueltaten seien „nicht der Beginn, sondern der vorläufige Endpunkt eines langen Niedergangs, eines Niedergangs auch und gerade des religiösen Denkens“. Die alten Schriften sagten etwas darüber aus, „was einmal denkmöglich oder sogar selbstverständlich war innerhalb des Islams“, so der Literat. In der heutigen religiösen Kultur finde sich nichts, „das auch nur annähernd vergleichbar wäre, eine ähnliche Faszination ausübte, von ebensolcher Tiefe wäre wie die Schriften, auf die ich in meinem Studium stieß“, so der Islamwissenschaftler.

Die Vergangenheit dieser Religion sei „so viel aufklärerischer“ gewesen: „Vielleicht ist das Problem des Islam weniger die Tradition als vielmehr der fast schon vollständige Bruch mit dieser Tradition, der Verlust des kulturellen Gedächtnisses, seine zivilisatorische Amnesie.“ Kermanis düsteres Fazit: „Es gibt keine islamische Kultur mehr, jedenfalls keine von Rang. Was uns jetzt um die Ohren und auf die Köpfe fliegt, sind die Trümmer einer gewaltigen geistigen Implosion.“

Flüchtlinge erinnern an „Verheißung Europas“

Der Friedenspreisträger appellierte daran, die europäische Idee nicht aus den Augen zu verlieren. „Wer vergessen hat, warum es Europa braucht, muss in die ausgemergelten, erschöpften, verängstigten Gesichter der Flüchtlinge blicken, die alles hinter sich gelassen, alles aufgegeben, ihr Leben riskiert haben für die Verheißung, die Europa immer noch ist.“ Für ihn sei es beglückend, wenn sich viele Menschen hier für Schutzsuchende engagierten. Aber: „Wir führen keine breite gesellschaftliche Debatte über die Ursachen des Terrors und der Fluchtbewegung und inwiefern unsere eigene Politik vielleicht sogar die Katastrophe befördert, die sich vor unseren Grenzen abspielt.“

Der im nordrhein-westfälische Siegen geborene Sohn iranischer Eltern studierte Islamwissenschaften, Philosophie und Theaterwissenschaft. Vor etwa zehn Jahren habilitierte sich Kermani im Fach Orientalistik mit „Der Schrecken Gottes - Attar, Hiob und die metaphysische Revolte“. Zuletzt erschien von ihm in diesem Jahr „Ungläubiges Staunen - Über das Christentum“, es ist ein Buch über christliche Bildwelt. Schon vor dem Friedenspreis war Kermani mehrfach ausgezeichnet worden: etwa 2011 mit der Buber-Rosenzweig-Medaille, die für die Verständigung zwischen Christen und Juden verliehen wird, oder 2014 mit dem Joseph Breitbach-Preis.

religion.ORF.at/KAP

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