Buch: Christen und der neue Antisemitismus

Schwere Geschütze hat der Wiener Kommunikationswissenschaftler Maximilian Gottschlich in einem neuen Buch aufgefahren: Der Judenhass sei wieder in der Mitte der europäischen Gesellschaft angekommen, sagte er.

Deshalb stehe Europa vor einem neuen Exodus der Juden, da diese sich nicht mehr sicher fühlen. Wenn die Entwicklung so weitergehe, werde es künftig keine Juden mehr in Europa geben. Gottschlich äußerte sich am Montagabend in Wien, wo er sein neues Buch „Unerlöste Schatten - Christen und der neue Antisemitismus“ vorstellte und zum Thema mit dem Wiener emeritierten Weihbischof Helmut Krätzl diskutierte.

„In der Mitte der Gesellschaft“

„Heute ist der Antisemitismus nicht mehr im rechten oder linken Spektrum anzufinden sondern er ist bereits in der Mitte der Gesellschaft angekommen“, so Gottschlich wörtlich. Das lasse sich durch Statistiken belegen, wonach bereits jeder zweite Österreicher glaubt, „die Juden“ hätten zu viel Einfluss in Wirtschaft und Politik. Mehr als zwölf Prozent der Österreicher seien überhaupt der Meinung, es sei besser, keine Juden im Land zu haben.

Diese Zahlen zeigten, dass Antisemitismus auch in der dritten Generation nach der Schoah „in den Köpfen und Herzen der Menschen“ vorhanden sei, warnte Gottschlich. Erhöhte Dringlichkeit gebe es zudem vor dem Hintergrund der neuen muslimischen Migrationsbewegung in Europa. Fundamentalistische Muslime würden einen Antisemitismus von ganz neuer Qualität propagieren. Dass dieser auch nicht vor dem Äußersten zurückschreckt, würden die zahlreichen von Muslimen begangenen Attentate auf Juden in den letzten Monaten zeigen.

2.000 Jahre Theologie der Verachtung"

Mitschuld am zunehmenden Antisemitismus sprach der Kommunikationswissenschaftler auch der katholischen Kirche zu. Er verwies auf das Konzilsdokument „Nostra aetate“, das vor genau 50 Jahren verabschiedet wurde. Nach Ansicht Gottschlichs ist darin die positive Beziehung der Christen zum Judentum viel zu zaghaft formuliert. Eine konkrete Entschuldigung gegenüber dem jüdischen Volk würde zudem fehlen. Wörtlich sagte Gottschlich: „Die katholische Kirche hat über 2.000 Jahre eine Theologie der Verachtung des Judentums betrieben, das lässt sich nicht mit einer einseitigen Erklärung wegwischen.“

Krätzl: „Nostra aetate“ als „Quantensprung“

Als einen „Quantensprung von revolutionärem Charakter“ bezeichnete hingegen der Wiener Weihbischof Helmut Krätzl „Nostra aetate“. Die katholische Kirche habe sich endlich zur engen Beziehung zum Judentum bekannt und auf theologischer Ebene die eigenen Wurzeln im Judentum erkannt. „Aus den Christusmördern sind über Nacht ältere Brüder geworden, diesen Wandel erachte ich schon als revolutionär“, so Krätzl, der das Zweite Vatikanische Konzil als Zeitzeuge miterlebt hat.

Bedauern äußerte Krätzl darüber, dass der Erklärung zur Beziehung zum Judentum keine Eigenständigkeit zukam. Es sei vielmehr in ein Dokument eingeflochten, das „Wahres und Heiliges“ in allen anderen nichtchristlichen Religionen anerkennt. Dabei sei es unbestreitbar, dass das Christentum zum Judentum die engste Verbindung habe, da es aus diesem erwachsen sei.

„Sehr viel weitergegangen“

Vonseiten der Kirche in Österreich sei nach dem zweiten Vatikanischen Konzil „sehr viel weitergegangen“ im Dialog mit dem Judentum. Insbesondere auf institutioneller Ebene stehe man in „brüderlicher Freundschaft“ mit der Kultusgemeinde und in zahlreichen Ausschüssen und Foren würde dieser Verbundenheit auch Ausdruck verliehen. Wie es auf Gemeindeebene aussieht, sei natürlich schwer messbar, aber auch in der Priester- und Religionslehrerausbildung käme den jüdischen Wurzeln des Christentums großes Gewicht zu, so der Bischof.

Man könne dem Antisemitismus nur durch religiöse Bildung entgegentreten, zeigte sich Krätzl überzeugt: „Durch religiöse Bildung und Aufklärung in Schulen und Pfarrgemeinden wird der Grundstein für ein respektvolles Miteinander gelegt.“ Deswegen käme beispielsweise auch dem Religionsunterricht große Bedeutung zu.

Für Gottschlich reichte Bildung alleine aber nicht aus. Es brauche eine „Kultur des Mitgefühls“ und eine gewisse „Ergriffenheit“, diese emotionale Komponente sei aber schwierig vermittelbar. Diese Solidarität mit dem jüdischen Volk vermisse er unter anderem auch vonseiten der Kirche. Es brauche neben einer Verbundenheit im Glauben auch eine politische Solidarität.

religion.ORF.at/KAP

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