Indien: Proteste wegen zerstörter Sikh-Schrift

Nach gewaltsamen Protesten der Religionsgemeinschaft der Sikhs im nordindischen Pundschab hat die Regierung am Mittwoch Militäreinheiten entsandt.

In dem Bundesstaat sind die Spannungen nach der Zerstörung eines heiligen Buches der Sikhs gestiegen. Wie die Zeitung „The Hindu“ (Mittwoch-Ausgabe) berichtete, wurden etwa 1.000 Soldaten in große Städte wie Amritsar entsandt.

Heiliger Text entweiht

Vergangene Woche waren herausgerissene Seiten aus einer Kopie des Guru Granth Sahib („Schrift-Guru“, auch Adi Granth) entdeckt worden. Das Buch, ein zentraler heiliger Text der Sikh-Religion, war im Juni aus einem Sikh-Tempel entwendet worden. Zwei Verdächtige wurden festgenommen. Wie der Sender NDTV berichtete, vermuten indische Behörden den pakistanischen Geheimdienst hinter dem Vorfall. Mindestens zwei Menschen wurden bei den jüngsten Protesten und Straßenblockaden in den vergangenen Tagen getötet. Bei den Protesten fordern Sikhs auch eine Bestrafung der Verantwortlichen.

Sikhs protestieren in Amritsar, Indien gegen die Entweihung ihrer heiligen Schrift Guru Granth Sahib

APA/EPA/Raminder Pal Singh

Sikhs protestieren in Amritsar, Indien gegen die Entweihung ihrer heiligen Schrift Guru Granth Sahib

Text mit göttlicher Autorität

Sikhs berufen sich auf Guru Nanak (1469 bis 1539) und seine neun Nachfolger (bis 1708), die islamische und hinduistische Traditionen aufnahmen und ihre Lehren in dem heiligen Buch der Sikhs, dem Guru Granth Sahib, festhielten. Es enthält etwa 6.000 Hymnen, die den ersten fünf Gurus zugeschrieben werden. Ihm wohnt in der Vorstellung der Sikhs die göttliche Autorität inne, die vorher in den menschlichen Gurus gewirkt hat.

Der Sikhismus ist eine monotheistische Religion, in der Gurus („Meister“, „Lehrer“) eine besondere Bedeutung zukommt. Zur Sikh-Religion bekennen sich weltweit rund 23 Millionen Menschen, die meisten von ihnen leben in Indien. Auch in Großbritannien und den USA gibt es viele Anhänger. In Österreich leben etwa 3.000 Sikhs.

Gleichberechtigung aller Menschen

Den Sikhs („Jünger“) geht es weniger um religiöse Dogmen als vielmehr um Spiritualität im Alltag. Sikhs lehnen starre soziale Gefüge, vor allem das in Indien alles dominierende Kastensystem, ab. Beim Sikhismus gilt der Grundsatz der Toleranz gegenüber anderen Religionen sowie die Gleichberechtigung aller Menschen und der Geschlechter. Gläubige Sikhs leben nach strengen Vorschriften: Nikotin und Alkohol sind verboten, ebenso Ehebruch und sexuelle Beziehungen vor der Ehe.

Wächter steht vor dem Goldenen Sikh-Tempel in Amritsar, Indien

APA/EPA/Raminder Pal Singh

Goldener Tempel in Amritsar, Indien

Mit dem Hinduismus haben die Sikhs mehr gemeinsam als mit dem Islam, so glauben sie etwa an die Wiedergeburt. Zugleich ist das Streben nach Wohlstand für die Gemeinschaft Teil ihrer Lehre - Sikhs gelten als geschäftstüchtig und als Menschen, die bereit sind, zu teilen. So betreiben die Sikhs auch in Wien, Salzburg und Klagenfurt „Gurdwaras“, eigene Häuser, die zu jeder Zeit allen Menschen zu Verköstigung und Aufenthalt offenstehen.

Turban, Dolch und Armreif

Männer müssen die fünf „K“-Regeln befolgen: Die Haare unter ihren speziell gebundenen Turbanen (Dustar) werden aus Respekt vor der göttlichen Schöpfung nicht geschnitten (Kesh), sie bleiben unter dem Turban verborgen. In der indischen Armee dürfen Sikhs den Turban statt der Soldaten-Mütze tragen, von der Helmpflicht auf dem Motorrad sind sie befreit. Für ihr Haar haben sie einen Kamm (Kangha) bei sich. Mit dem Säbel (Kirpan) sollen sie Schwache verteidigen. Um dabei beweglicher zu sein, müssen sie Hosen (Kuccha) tragen. Ein Armband (Kara) aus Eisen soll ihre Entschlossenheit ausdrücken.

Neben dem Turban sorgt vor allem der Krummsäbel immer wieder für Aufsehen, etwa bei Sicherheitskontrollen auf Flughäfen. Deswegen tragen heutzutage viele Sikhs nur noch einen Kirpan in symbolischer Größe. Die Religionsgemeinschaft sticht auch durch die gleichlautenden Nachnamen hervor: Männer heißen Singh (Löwe), Frauen Kaur (Prinzessin).

Im Oktober 1984 wurde die damalige Regierungschefin Indira Gandhi von einem ihrer Sikh-Leibwächter ermordet, nachdem sie das Heiligtum der Sikhs, den Goldenen Tempel von Amritsar, hatte stürmen lassen. Mittlerweile hat sich das Verhältnis zwischen der Regierung und der Glaubensgemeinschaft aber wieder merklich entspannt.

religion.ORF.at/APA/dpa

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