Zulehner: „Wesen der Religion ist nicht Gewalt“

Gegen eine perspektivische Verengung auf Religion und Gewalt nach den jüngsten Anschlägen in Paris hat sich der Wiener Pastoraltheologe Paul Zulehner ausgesprochen.

Es sei keineswegs das Wesen von Religion, für die Rechtfertigung von Gewalt herzuhalten - auch wenn Religion oft als „Legitimationssystem“ verwendet werde. Im Gegenteil: „Das wahre Wesen der Religion ist nicht die Gewalt“, so Zulehner in den „Salzburger Nachrichten“ (Montag-Ausgabe). Wo Religion zur Legitimation genutzt werde, wachse schnell ein „unglaublicher Fanatismus“, der behauptet, „Agentur Gottes“ zu sein, der aber zugleich jeder theologischen Basis entbehre. Der jüngste Terror habe indes eine konkrete politische Botschaft, ziele er doch auf die Beteiligung Frankreichs am militärischen Einsatz gegen den „Islamischen Staat“ (IS).

„Ohnmacht“ als Wesenkern

Nicht Macht und Gewalt bildeten den Wesenskern der Religion, sondern „die Ohnmacht“, so Zulehner unter Verweis etwa auf Jesus von Nazareth, Mahatma Gandhi oder den Dalai Lama. In dieser Tradition könne auch der Islam gesehen werden - allerdings müsse er noch stärker intern eine theologische Befreiung von Bildern und Traditionen der Gewalt betreiben. Solcherart gewaltförmige Gottesbilder habe es auch im Alten Testament gegeben, die Lehre Jesu habe dann jedoch die christliche Bibel „Schritt für Schritt von diesen Gewaltelementen befreit“.

Der Wiener Pastoraltheologe Paul Zulehner

Kathpress/Franz Josef Rupprecht

Theologe Paul Zulehner

Eine solche Entwicklung ist im Islam laut Zulehner „noch ausständig“ - wiewohl diese Tradition eines auf Erbarmen hin orientieren Gottesbildes im Koran allgegenwärtig und also dem Wesen des Islam eingeschrieben sei. Eine zeitgemäße Auslegung des Korans müsse daher „unterscheiden, welche Aussagen aus historischen Gründen und aus menschlichen Interessen geboren wurden, und was sich aus einem Gesamtverständnis des Korans als die eigentliche Botschaft herauskristallisiert. Und die heißt, Allah ist der Allerbarmer. Dann geht es um Liebe, nicht um Gewalt.“

Diese Botschaft werde gerade vom Dschihadismus ausgeblendet, der gerade Personen rekrutiere, die den westlichen Lebensstil und dessen liberale Werte als „tiefe Kränkung“ empfinden. Oftmals handle es sich insofern um Menschen, „die Vielfalt nicht aushalten und dagegen einen fundamentalistischen Vernichtungsfeldzug führen.“

Diplomatie vor Cruise-Missiles

Zu unterscheiden sei jedoch die im persönlichen Umfeld geübte Gewaltfreiheit vom Einsatz eines Landes für Frieden und Gerechtigkeit: „Was die einzelne Person in ihrer Größe leisten kann, ist nicht unbedingt dasselbe, was ein Staat tun muss.“ So sei es die Pflicht des Staates, die Bürger zu schützen - notfalls auch durch Gewalt -, um so erst Gerechtigkeit gewährleisten zu können. Dennoch müsse stets in allen Konflikten die Diplomatie Vorrang haben, unterstrich der Theologe: „Ich bin entschieden der Meinung, dass das erste Wort in allen Weltkonflikten die Diplomatie haben muss - und nicht die Cruise-Missiles.“

Im Fall Syrien habe man dieses Prinzip zu spät erkannt und fatalerweise auf Waffen und Krieg gesetzt. Derzeit zahle Europa in Form der Flüchtlingskrise daher „eine Rechnung nicht nur für die jüngste Vergangenheit, sondern für eine unglaublich lange Geschichte“ - eine Geschichte der Ausbeutung, Kolonialisierung und der Armut, die sich nun räche.

Als verfehlt erachtet Zulehner eine Politik der Abschottung Europas gegen den Islam. Es gebe Menschen, „die möchten das christliche Abendland durch eine christliche Abwehr des Islam retten“; er sei dagegen der Überzeugung, „dass man das christliche Abendland nicht durch Unchristlichkeit retten kann“ - bewähre sich doch gerade in der Öffnung zum nächsten, zu den Flüchtlingen, zu den Bedrängten die wirkliche Christlichkeit einer Gesellschaft. Den vorhandenen Ängsten in der Bevölkerung sei am besten durch persönliche Begegnung etwa mit Flüchtlingen zu entgegnen, so Zulehner weiter. Es brauche insofern eine „riesige Courage unserer Bevölkerung, in diesem Sinne das christliche Europa durch christliches Handeln zu stärken“.

religion.ORF.at/KAP

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