Wien: „Eine Flüchtlingsfamilie pro Pfarre verkraftbar“

Der Flüchtlingskoordinator der Erzdiözese Wien, Rainald Tippow, ist weiterhin auf der Suche nach Quartieren in den Pfarren: Die Unterbringung einer Familie pro Pfarre sei nicht nur möglich, sondern eine Bereicherung.

Es sei eine „bedeutsame Problemlösungsstrategie“, zeigte sich Tippow in einem Beitrag auf der Website der Erzdiözese Wien überzeugt. „Wir erleben durch die Aufnahme von Menschen, wie banal unsere ganzen Alltagssorgen sind, auch wie banal die kirchlichen Struktursorgen sind.“ Aktuell werden rund 300 Menschen auf der Flucht direkt in Pfarrhöfen, Pfarrheimen und einige in aufgestellten Containern untergebracht.

Info-Kampagnen in Pfarren

In der Erzdiözese nehme er aktuell die gleiche „große Spannung“ wahr, die auch in der Gesellschaft spürbar sei. Viele Pfarren engagierten sich, auf der anderen Seite gebe es Gemeinden, in denen „das überhaupt kein Thema ist. Wo sekundäre Zuschreibungen wie Kultur, Religion, Geschlecht mehr wiegen als die Frage, sollen wir jemanden aufnehmen oder nicht“.

Dort wo etwa eine Unterbringung mit dem Verweis auf ein gerade neu renoviertes Pfarrheim abgelehnt werde, „muss ich sagen, die Überwertung des Steins gegenüber dem Menschen ist unerträglich aus der Sichtweise des Evangeliums“. Solche Gemeinden müssten sich, so Tippow, „heilen lassen, durch die Begegnung mit einem Menschen auf der Flucht“. In den kommenden Wochen will Tippow erneut eine Info-Kampagne in den Pfarren durchführen.

Tippow: „Wir werden noch einmal über die Möglichkeit, Menschen auf der Flucht unterzubringen, informieren.“ Die Erzdiözese stehe den Pfarren auch mit Rat und Tat zur Seite. Es gehe um ein gutes Zusammenspiel zwischen den Pfarren und den diözesanen Einrichtungen wie etwa der Caritas.

Tippow: 1.000er-Marke erreichbar

Im Moment liegen Tippow rund 130 Wohnraumangebote vor - der Großteil der „guten Angebote“ sei aber „einfach abgegrast“. In vielen Pfarren scheitere die Unterbringung an der alten Bausubstanz der Gebäude, „ohne Fließwasser, ohne Sanitärbereich, ohne Heizung, das ist kein gesellschaftsadäquates Wohnen“. Trotzdem glaube er, dass die von Kardinal Christoph Schönborn genannte 1.000er-Marke erreicht werden könne, denn grundsätzlich gehe es nicht um Luxus, sondern den Grundstandard. Er vertraue darauf, „dass Pfarren aufgrund der Kenntnis vor Ort sagen, hier oder dort gibt es eine Wohnung, die wir anmieten können“.

Dort, wo Pfarren Flüchtlinge unterbringen, werde mehr als nur ein Dach über dem Kopf geboten. In der Regel verbinde sich mit der Unterbringung eine „sehr intensive soziale Begleitung. Personen, die von Pfarren betreut werden, hätten eine Intensivbetreuung sieben Tage in der Woche, hätten oft fünfmal wöchentlich Deutschkurse“. Neben den rund 300 Flüchtlingen, die aktuellen in diözesanen Gebäuden leben, hat die Erzdiözese 2015 über 17.000 Menschen auf der Flucht in Notquartieren kurzfristig versorgt und bietet den Winter über 130 weiteren Personen eine vorübergehende Unterkunft.

„Kein Zaun hält von Flucht ab“

Klar ist für Tippow, dass „kein Zaun, egal ob in der Kafkaesken Bauweise Österreichs, mit Löchern oder in einer geschlossenen Form“, Menschen davon abhalten werde, vor Terror und Tod zu fliehen. „Jemand der überleben möchte, läuft so lange bis er überlebt hat, oder stirbt.“ Und auch von einer „kapazitätsorientierten Obergrenze“, wie sie zurzeit in der Politik überlegt wird, hält er nicht viel. Das gehe alleine schon deshalb nicht, „weil wir ein Rechtsstaat sind, der die Genfer Flüchtlingskonvention unterschrieben hat“. Derartige Rechte könnten aus Platzgründen nicht einfach ausgeblendet werden.

Anstatt der im Raum stehenden Kürzung der Mindestsicherung für anerkannte Flüchtlinge wünscht sich Tippow einen leichteren Zugang zum Arbeitsmarkt. Die Mindestsicherung reiche bereits jetzt kaum aus, um gut über die Runden zu kommen. Eine Kürzung führe zu einer „breiten Verelendung“ und in Folge zu sozialen Spannungen und Problemen. Es brauche vielmehr eine frühzeitige Erkennung der Fähigkeiten und Fertigkeiten, der Ausbildung der Menschen. „Jeder Tag, den Flüchtlinge keinen Deutschkurs machen, keine Vorbereitung auf ihr Leben hier machen, ist ein verlorener Tag.“

Trotz der Prognose für 2016, die eine weitere Steigerung der Flüchtlingszahlen voraussagt, will der Koordinator nicht von Flüchtlingsströmen sprechen. „Wir haben bestenfalls einen Promille-oder Prozentanteil im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Denen müssen wir als Mensch, als Christ begegnen.“ Außerdem gebe es eine Menge an freien Flächen, die in Leichtbauweise verbaut werden könnten.

religion.ORF.at/KAP

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