Rundumschlag gegen muslimisches Patriarchat

Einen Rundumschlag gegen die Ignoranz (muslimischen) Frauen gegenüber liefert die deutsche Autorin Sineb El Masrar in ihrem neuen Buch „Emanzipation im Islam - Eine Abrechnung mit ihren Feinden“.

El Masrar kritisiert alle: Institutionen, Personen - durchaus auch Frauen - und Traditionen wegen ihrer Aufrechterhaltung patriarchaler Strukturen. Und auch westliche Feministinnen, wenn sie versuchen, muslimischen Frauen nahe zu legen, wie sie sich aus Unterdrückung zu befreien haben. Durch die teils sehr pointiert verfassten Beispiele macht El Masrar Sachverhalte im Umgang mit der koranischen Offenbarung und den Traditionen deutlich und gibt Einblicke in die europäischen, ägyptischen, arabischen und marokkanischen Lebens- und Sichtweisen von Muslimen.

Wesentlich in ihrer Kritik steht die Ideologie der Muslimbrüder, die sich bis in die muslimischen Organisationen in Europa ziehen und maßgeblich auch von Frauen weitergegeben werden. Frauen spielen, wie El Masrar beschreibt, bei den Muslimbrüdern zwar nicht nur als Mütter eine Rolle, aber sie würden unter anderem mit Aufgaben betraut, die in der Öffentlichkeit das Bild der Organisation schönen sollen.

Sineb El Masrar

Privat

Sineb El Masrar

Selbstverständliche Selbstbestimmtheit

El Masrar, deutsche Muslimin mit marokkanischen Wurzeln, stammt großväterlicherseits aus Gelehrtenfamilien. Sie habe, so schreibt sie, immer Fragen stellen dürfen. Ihr Islamverständnis und ihr Selbstverständnis als gleichberechtigte Frau bezieht sie aus dieser Erfahrung und aus der koranischen Offenbarung sowie den Überlieferungen aus dem Leben des Propheten Mohammed.

Sendungshinweis

Praxis - Religion und Gesellschaft
Mittwoch, 17.2.2016, 16.00 Uhr, Ö1

Für sie ist die volle Selbstbestimmtheit als Frau selbstverständlich, was sie von vielen anderen Musliminnen und Muslimen unterscheidet. Sie plädiert dafür, sich der Überlieferungen über den Propheten zu bedienen, um zu einem emanzipierten Frauenbild zu gelangen. Sie ermutigt, mit Lebensfreude selbstbewusst Frau zu sein. Mit oder ohne Kopftuch ist dabei nicht die Frage.

Kritik an muslimischen Frauen

In ihrem zweiten Buch beleuchtet die Autorin das Thema Emanzipation aus vielen Blickwinkeln und findet ihren Rückhalt in der Rückschau auf die Zeit des Propheten Mohammed. Hier sei die absolute Gleichberechtigung und Selbstbestimmtheit der Frauen zu finden. Was später von Männern in den Koran und die Sunna hineininterpretiert worden sei, habe stets dem Erhalt patriarchaler Strukturen gedient - und davon führt El Masrar zahllose Beispiele teils in lose wirkender Abfolge an.

Selbstbewusst kritisiert El Masrar auch diejenigen muslimischen Akteurinnen, die in Deutschland und Österreich medial besonders präsent sind, wie etwa die Pressesprecherin der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ), Carla Amina Baghajati, und die Leiterin der Islamischen Religionspädagogischen Akademie (IRPA), Amena Shakir. Sie stützen laut El Masrar letztlich auch patriarchale Strukturen. So thematisiere Baghajati in ihrem Buch „Muslimen sein: 25 Fragen - 25 Orientierungen“ „in keiner Weise tiefgehende frauenfeindliche Gelehrtenmeinungen im Islam“.

Buchcover "Emanzipation im Islam" von Sineb El Masrar

Verlag Herder

Buchhinweis

Sineb El Masrar: Emanzipation im Islam - Eine Abrechnung mit ihren Feinden, Verlag Herder 2016

Die eigene Rolle hinterfragen

El Masrar bringt viel in ihrem Buch unter: Sie informiert über die islamische Geschichte, die Genese der islamischen Frauenbekleidung, beleuchtet wirtschaftliche Aspekte und geht auf die Entstehung des Dschihadismus und des islamischen Extremismus ein. Kritisch kommentiert sie die Schriften jener Männer, deren Ideen heutigen Extremisten als Grundlage dienen und argumentiert mit Koranversen, Propheten-Überlieferungen und geschichtlichen Abrissen die Unsinnigkeit, Frauen eine bestimmte Kleidung überzustülpen.

Sie macht das Thema Emanzipation in vielen Facetten deutlich und regt dazu an, die eigenen Standpunkte zu hinterfragen - als Muslimin und als Nichtmuslimin. „Ein erster Schritt heraus aus dem Konzept der männlichen Dominanz kann das Infragestellen der eigenen Rolle sein. Wobei dies für einige persönlich durchaus schmerzhaft sein mag, weil es das eigene Leben und die familiären Strukturen ins Wanken bringen kann. Sich dem aber nicht zu stellen oder nur oberflächliche Schönheitskorrekturen vorzunehmen, die sich in passenden Erklärungen für die eigene Unsicherheit und Benachteiligung äußern, ist nichts weiter als Selbstbetrug“, schreibt sie.

Die falschen Ansprechpartner

Neben Erklärungen der verschiedenen islamischen Strömungen und Rechtsschulen geht El Masrar auch auf salafistische Tendenzen in Deutschland und das Phänomen Dschihad ein. Erschreckend ist ihr Befund, Deutschland kooperiere auf der offiziellen Ebene mit den Falschen. Denn genau in den Institutionen, die Politikern und Medien als Ansprechpartner dienten, säßen die, die an der Aufrechterhaltung patriarchaler Strukturen festhielten.

Der Untertitel wird dem Werk stärker gerecht als der eigentliche Titel, denn Beispiele für eine gelungene Emanzipation muslimischer Frauen bleibt El Masrar weitgehend schuldig. Als Beispiele führt sie nur die 17 muslimischen Herrscherinnen an, die im Lauf der Geschichte im asiatischen Raum wirkten. Darüber hinaus gibt es keine Hinweise auf positive Vorbilder. El Masrar will auf- und wachrütteln, was ihr auch gelingt, zugleich wird deutlich, dass es bis zu einer allgemeinen Emanzipation im Sinne einer selbstverständlichen islamischen Gleichberechtigung und vor allem Selbstbestimmtheit noch ein Stück weit ist.

Auch wenn es dem Buch etwas an Stringenz mangelt und Lösungsvorschläge weitgehend vermissen lässt, leistet El Masrar mit ihren Analysen vergangener und bestehender Machtverhältnisse einen wertvollen Beitrag.

Nina Goldmann, religion.ORF.at

Mehr dazu:

Links:

  • Buch: Philosophische Impulse in Zeiten von Corona
    Sechzehn fiktive Gespräche gewähren Einblick in die Gedankenwelt des österreichischen Theologen und Philosophen Clemens Sedmak während des Corona-bedingten Lockdowns. Ein Buch über Umbrüche, Freiheiten und Verantwortungen.
  • Film: Ein Ex-Häftling als Priester
    Ein Ex-Häftling gibt sich in einem Dorf als Priester aus und kommt mit seinem ungewöhnlichen Stil gut an. Der Film „Corpus Christi“ des polnischen Regisseurs Jan Komasa, der am Freitag in die österreichischen Kinos kommt, beruht auf einer wahren Begebenheit.
  • Buch über Kaiser Franz Joseph als Pilger nach Jerusalem
    Kaiser Franz Joseph I., dem Gründervater des Österreichischen Hospizes, widmet dessen aktueller Rektor Markus Bugnyar ein Buch. Unter dem Titel „Reise nach Jerusalem“ beleuchtet der österreichische Priester den Kaiser als Pilger.
  • Lehrgang: Suche nach zeitgemäßer Spiritualität
    Ein im Oktober startender Lehrgang befasst sich an unterschiedlichen Veranstaltungsorten in Österreich mit der Suche nach einer „radikal zeitgenössischen christlichen Spiritualität“.
  • Jubiläumsausstellung im Eisenstädter Diözesanmuseum
    Mit einer doppelten Jubiläumsausstellung hat das Diözesanmuseum Eisenstadt nach der Pause wegen des Coronavirus wieder geöffnet: Mit einer neuen Schau zu 60 Jahre Diözese Eisenstadt und 100 Jahre Land Burgenland.
  • Lizz Görgl unterstützt Gottesdienstbehelf mit Lied
    „Zu mir“ - so lautet der neue Song von Skistar Lizz Görgl, die nach Beendigung ihrer aktiven Sportkarriere als Sängerin tätig ist, und dieses Lied zum jetzt erschienen Gottesdienstbehelf der Diözesansportgemeinschaft Österreichs (DSGÖ) beigesteuert hat.
  • Die Macht des Leidens in der Kunst
    Mit Verzögerung ist die Jahresausstellung des niederösterreichischen Stifts Klosterneuburg gestartet. Die Schau „Was leid tut“ zeigt, wie machtvoll das Bild des Leidens die (christliche) Kunst seit Jahrhunderten durchdringt.
  • Jan Assmann spricht über „Religion und Fiktion“
    Der deutsche Religions- und Kulturwissenschaftler Jan Assmann (81) wird im Herbst einer der namhaften Vortragenden beim diesjährigen „Philosophicum Lech“ von 23. bis 27. September sein.
  • NÖ: Stift Altenburg feiert verzögerten Saisonbeginn
    Vom Frühling bis in den Herbst öffnet das Benediktinerstift Altenburg bei Horn in Niederösterreich gewöhnlich seine barocken Räumlichkeiten für Besucherinnen und Besucher. Im Coronavirus-Jahr 2020 startet die Saison mit Verspätung.
  • Stift Kremsmünster zeigt „50 Jahre Mission in Brasilien“
    „50 Jahre Mission in Brasilien“: Auf den Zeitraum 1970 bis 2020 blickt eine Sonderausstellung im oberösterreichischen Stift Kremsmünster zurück, die sich mit der Mission von Benediktinerpatres und Schwestern in der brasilianischen Diözese Barreiras beschäftigt.