Papst stellt Schreiben zu Familie und Sexualität vor

Der Vatikan hat am Freitag das nachsynodale apostolische Papst-Schreiben „Amoris Laetitia“ (Freude der Liebe) vorgestellt. Es schreibt die aktuellen Positionen der katholischen Kirche zu den Themen Sexualität und Familie fest.

Hauptthema ist wie schon in den beiden vorangegangenen Bischofssynoden 2014 und 2015 der Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen und mit Homosexuellen. Das in neun Kapitel unterteilte, 190 Seiten starke Schreiben lässt immerhin teilweise etwas Raum für Spekulationen. Nebenbei hat Franziskus auch den einen oder anderen Rat in Sachen Kindererziehung und Liebesdinge parat.

Wiederverheiratete „keineswegs exkommuniziert“

Das für viele wichtigste Thema der Familienpastoral sind die wiederverheirateten Geschiedenen: „Was die Geschiedenen in neuer Verbindung betrifft, ist es wichtig, sie spüren zu lassen, dass sie Teil der Kirche sind, dass sie ‚keineswegs exkommuniziert‘ sind und nicht so behandelt werden, weil sie immer Teil der kirchlichen Communio sind.“ Diese Situationen „verlangen eine aufmerksame Unterscheidung und von großem Respekt gekennzeichnete Begleitung, die jede Ausdrucksweise und Haltung vermeidet, die sie als diskriminierend empfinden könnten. Stattdessen sollte ihre Teilnahme am Leben der Gemeinschaft gefördert werden“, so der Papst.

„Respekt“, aber keine Ehe für Homosexuelle

Auch die Situation Homosexueller behandelt das Schreiben: „Jeder Mensch, unabhängig von seiner sexuellen Orientierung“, solle „in seiner Würde geachtet und mit Respekt aufgenommen werden.“ Es sei sorgsam zu vermeiden, ihn „in irgendeiner Weise ungerecht zurückzusetzen“ oder ihm gar „mit Aggression und Gewalt zu begegnen“.

Sendungshinweis

„Orientierung“ widmet sich am Sonntag um 10.00 Uhr in ORF2 dem Thema mit einem Bericht aus Rom, Reaktionen aus Österreich und einem Livegespräch mit dem Religionssoziologen Paul Zulehner.

Doch er macht gleichzeitig klar, dass an eine Billigung gleichgeschlechtlicher Ehe seitens der katholischen Kirchen nicht einmal zu denken ist: „Was die Pläne betrifft, die Verbindungen zwischen homosexuellen Personen der Ehe gleichzustellen, gibt es keinerlei Fundament dafür, zwischen den homosexuellen Lebensgemeinschaften und dem Plan Gottes über Ehe und Familie Analogien herzustellen, auch nicht in einem weiteren Sinn.“

Keine „Felsblöcke“ auf das Leben von Menschen

Es sei „unannehmbar, dass auf die Ortskirchen in dieser Frage Druck ausgeübt wird und dass die internationalen Organisationen Finanzhilfen für arme Länder von einer Einführung der ‚Ehe‘ unter Personen des gleichen Geschlechts in ihrer Gesetzgebung abhängig machen“, zeigt sich der Papst strikt.

Ganz klar bringt er zum Ausdruck, „dass man von der Synode oder von diesem Schreiben keine neue, auf alle Fälle anzuwendende generelle gesetzliche Regelung kanonischer Art erwarten durfte“. Doch dürfe „ein Hirte sich nicht damit zufriedengeben, gegenüber denen, die in ‚irregulären‘ Situationen leben, nur moralische Gesetze anzuwenden, als seien es Felsblöcke, die man auf das Leben von Menschen wirft“.

„Ja zur Sexualerziehung“

Bemerkenswert ist das „Ja zur Sexualerziehung“, zu dem sich Franziskus im Rahmen seiner Gedanken zur Kindererziehung bekennt: So könne sie einer „außer Kontrolle geratenen Pornografie und der Überladung mit Stimulierungen, welche die Geschlechtlichkeit verkrüppeln lassen können“, entgegenwirken. Das Schreiben hat freilich eine „Sexualerziehung, die ein gewisses Schamgefühl hütet“, im Sinn.

Papst Franziskus

APA/AFP/Tiziana Fabi

Papst Franziskus stellt die neue Exhortation vor

Franziskus interpretiert die Bibel hinsichtlich der Rolle der Familie im Christentum. „Die Bibel betrachtet die Familie auch als Ort der Katechese für die Kinder. Daher ist die Familie der Ort, wo die Eltern zu den ersten Glaubenslehrern ihrer Kinder werden.“ Die Familie als Gottes „lebendiger Abglanz“ und als erster spiritueller Lernort für Kinder - das ist gewissermaßen die Idealvorlage.

„Anthropologisch-kultureller Wandel“ der Ehe

Doch Jesus „weiß um die Ängste und die Spannungen der Familien und greift sie in seinen Gleichnissen auf“ - das führt den Papst zu „Wirklichkeit und Herausforderungen“ der heutigen Familien. Er spricht über den „anthropologisch-kulturellen Wandel“, den die Ehe durchlebt habe, was er zunächst einmal positiv wertet: Eine „höhere Bewertung der persönlichen Kommunikation zwischen den Eheleuten trägt dazu bei, das gesamte familiäre Zusammenleben menschlicher zu gestalten.“

Die Schwierigkeiten junger Leute, in wirtschaftlich schweren Zeiten eine Familie zu gründen, thematisiert der Papst ebenso wie Tendenzen zu Individualismus und persönlicher Freiheit, die mit den traditionellen Rollenbildern von Familie nicht vereinbar scheinen. Dass auch Selbstkritik seitens der katholischen Kirche angebracht ist, fügt er hinzu mit dem Eingeständnis, man habe zum Teil „ein allzu abstraktes theologisches Ideal der Ehe vorgestellt“.

Keine Bewegung in Sachen Verhütung

Hoffnungen mancher, in Sachen Verhütung werde sich etwas entscheidend ändern, werden vom Papst in dieser Exhortation nicht erfüllt. Das sei „sogar an Orten mit hoher Geburtenrate unannehmbar“ - Aussagen der letzten Zeit, etwa jene zum Zika-Virus, hatten etwas anders geklungen.

Man solle „die große Vielfalt familiärer Situationen anerkennen, die einen gewissen Halt bieten können“, so der Papst, „doch die eheähnlichen Gemeinschaften oder die Partnerschaften zwischen Personen gleichen Geschlechts, zum Beispiel, können nicht einfach mit der Ehe gleichgestellt werden“. Er geht auch auf Pornografie und den Missbrauch an Minderjährigen ein, auch mit Hinweis auf christliche Einrichtungen.

Franziskus bricht eine Lanze für den Feminismus: Das Schreiben stellt fest, dass es „zwar bemerkenswerte Verbesserungen in der Anerkennung der Rechte der Frau und ihrer Beteiligung im öffentlichen Bereich gegeben hat, in einigen Ländern aber noch vieles voranzubringen“ sei.

Franziskus geißelt „Chauvinismus“

„Manche meinen, viele aktuelle Probleme seien seit der Emanzipation der Frau aufgetreten. ... Es ist falsch, es ist nicht wahr! Es ist eine Form des Chauvinismus“, urteilt Franziskus. Die „identische Würde von Mann und Frau“ sei Grund zur Freude darüber, dass alte Formen von Diskriminierung überwunden würden und sich in den Familien eine Praxis der Wechselseitigkeit entwickle. „Wenn Formen des Feminismus aufkommen, die wir nicht als angemessen betrachten können, bewundern wir gleichwohl in der deutlicheren Anerkennung der Würde der Frau und ihrer Rechte ein Werk des Heiligen Geistes.“

Viel Raum gibt der Text der Sexualität, den Gefühlen und dem „Geschlechtsleben der Ehe“. Die Erziehung des Gefühlslebens und der Triebe sei notwendig, man dürfe „die erotische Dimension der Liebe keineswegs als ein geduldetes Übel oder als eine Last verstehen, die zum Wohl der Familie toleriert werden muss“, sondern müsse sie „als Geschenk Gottes betrachten, das die Begegnung der Eheleute verschönert“. Wichtig ist dem Papst hierbei die „Zurückweisung jeglicher Form von sexueller Unterwerfung“ und die Betonung von Zärtlichkeit und gegenseitigem Einvernehmen. Franziskus zitiert hierzu vielfach die Bibel, etwa „Einer ordne sich dem andern unter“ (Eph 5,21). Und: „Es ist gut, den Morgen immer mit einem Kuss zu beginnen.“

Synode

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Bischofssynode im Oktober 2015

In den Antworten auf die in alle Welt verschickten Befragungen, die den Synoden vorangegangen waren, sei betont worden, „dass es den geweihten Amtsträgern gewöhnlich an einer geeigneten Ausbildung fehlt, um mit den vielschichtigen aktuellen Problemen der Familien umzugehen“. Es sei notwendig, „mit Hilfe von Psychopädagogen, Familienärzten, Ärzten für Allgemeinmedizin, Sozialarbeitern, Kinder-, Jugend- und Familienanwälten Laienmitarbeiter für die Familienpastoral auszubilden und dabei offen zu sein für Beiträge aus Psychologie, Soziologie, Sexualforschung ...“

Keine Umwälzungen zu erwarten

An der päpstlichen Exhortation fällt der Wille zur Modernität (nicht zuletzt auch im verwendeten Vokabular) auf - Franziskus geht auf die in die beiden Synoden eingebrachten Erfahrungen und Meinungen christlicher Eheleute ein. Deutlich wird das Bemühen, die Realität heutiger Familien wirklich zu erfassen und zu verstehen und weniger „Abgehobenheit“ der katholischen Kirchenführung zu zeigen. Der Papst zitiert ebenso Augustinus und Bibeltexte wie den Film „Babettes Fest“ und den Dichter Erich Fried.

Radikale Umwälzungen innerhalb der katholischen Kirche waren und sind von dem Papst-Schreiben nicht zu erwarten. Weder gibt es einen eindeutigen Sanctus etwa für den Empfang der Kommunion durch wiederverheiratete Geschiedene noch deutet es eine wirkliche Änderung in der katholischen Sexualmoral hinsichtlich Homosexueller und Verhütung an. Doch lässt es eine gewisse Offenheit für die Anerkennung eines geänderten modernen Zusammenlebens erkennen. Und für Seelsorger, die in der pastoralen Arbeit schon bisher den individuellen Weg gehen, statt sich unerbittlich an die Vorschriften zu halten, kann „Amoris Laetitia“ eine Bestätigung sein.

Johanna Grillmayer, religion.ORF.at

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