Armenien: Papst trifft Nachkommen von Opfern

Papst Franziskus wird am kommenden Samstag bei seinem Besuch in Armenien eine Gruppe von Nachkommen der 1915 durch die osmanischen Behörden vor einem Jahrhundert Verfolgten und von Benedikt XV. im Vatikan Aufgenommenen treffen.

Die Begegnung findet während des Besuchs des Papstes am Völkermordmahnmal Tzitzernakaberd nahe Eriwan statt. Dabei wird die Erinnerung an die eineinhalb Millionen Armenier, die während der Massendeportationen von 1915/16 gestorben waren, im Mittelpunkt stehen. Der Papst startet seine 14. Auslandsreise am Freitag (24. Juni). Die Rückkehr nach Rom ist für Sonntagabend (26. Juni) geplant.

400 von Papst Benedikt XV. gerette Kinder

Vatikan-Sprecher Federico Lombardi sagte bei einer Pressekonferenz am Dienstag, dass die Begegnung mit den Nachkommen einer der bewegendsten Momente der Reise werden dürfte. Franziskus werde beim Mahnmal einen Kranz niederlegen, einen Baum pflanzen und dort mit Nachkommen der Opfer zusammentreffen.

„In der Zeit des ‚Metz Yeghern‘ (des ‚Großen Unglücks‘) habe der damalige Papst Benedikt XV. sehr viel für die Armenier getan“, so der Vatikansprecher mit Bezug auf die Massaker von 1915. Dokumente aus dem Vatikanischen Geheimarchiv zeigen, dass Benedikt XV. und sein Nachfolger Pius XI. rund 400 armenische Waisenkinder in der Papstresidenz Castel Gandolfo bei Rom einquartierenließen.

Papst Franziskus bei einer Ansprache vor einem Mikrofon

APA/AP/L'Osservatore Romano

Papst Franziskus wird mit Nachkommen von geretteten Armenieren zusammentreffen

Lombardi wandte sich auf der Pressekonferenz zugleich gegen eine Fokussierung auf die Völkermord-Debatte. Wörtlich sprach er von einer „Obsession, das Wort ‚Genozid‘ zu verwenden“. Die historischen Fakten seien hinreichend bekannt. Papst Franziskus selbst hatte den Begriff „Völkermord“ vor einem Jahr in einer Messe in Rom zum Gedenken an die armenischen Vertreibungen und Massaker von 1915 gebraucht. Wie er sich auf seiner von Freitag bis Sonntag stattfindenden Armenien-Reise zu dem Thema äußern wird, ist unbekannt.

Vatikan wusste über Massaker Bescheid

Der Düsseldorfer Historiker Michael Hesemann wertete Dokumente aus dem Vatikanischen Geheimarchiv aus, woraus hervorgeht, dass man im Vatikan sehr früh über die Massaker an den Armeniern, die im April 1915 begannen, informiert war. Papst Benedikt XV. intervenierte im September 1915 bei Sultan Mehmet V. und bat um Mitleid mit dem „schwer bedrängten armenischen Volk“ berichtet Kathpress-Korrespondent Thomas Jansen. Den Erkenntnissen Hesemanns zufolge, wurde die Zustellung des päpstlichen Schreibens von türkischer Seite aus allerdings solange hinausgezögert, bis die Gräueltaten beendet waren.

„Nach zwei Monaten teilte der Sultan dem Papst dann mit, dass ‚eine spürbare Verbesserung der Lage dieses unglücklichen Volkes eingetreten‘ sei. Das war, wie der deutsche Historiker kommentiert, durchaus die Wahrheit, wenn auch eine sehr zynische: Zu diesem Zeitpunkt sei die Zahl der Armenier bereits so dezimiert gewesen, dass es keiner weiteren Massaker mehr bedurft hätte“, schreibt Jansen.

Friedenstauben an türkischen Grenzegebieten

Die größte Veranstaltung während des Aufenthalts von Papst Franziskus in der Kaukasusrepublik wird nach der Erwartung des Vatikans ein ökumenisches Friedensgebet am Samstagabend in Eriwan. Dazu rechne man mit 50.000 bis 60.000 Teilnehmern, sagte Lombardi. Ein starker symbolischer Moment dürfte der Besuch des Klosters Chor Virap sein, das mit dem armenischen Nationalheiligen Gregor verbunden ist. Franziskus und das armenisch-apostolische Kirchenoberhaupt Karekin II. wollen auf dem Vorplatz des Klosters in Sichtweite zu den türkischen Grenzanlagen Friedenstauben aufsteigen lassen.

Der seit 1999 amtierende Patriarch und Katholikos Karekin II. Nersissian empfängt zum zweiten Mal einen Papst in Armenien. 2001 reiste Johannes Paul II. (1978-2005) als erstes katholisches Oberhaupt in die Kaukasusrepublik, in der mehr als 90 Prozent der Bevölkerung der armenisch-apostolischen Kirche angehören. Wie Johannes Paul II. wird auch Franziskus von Karekin II. beherbergt. Es ist eine Seltenheit, dass ein Papst bei einem nichtkatholischen Gastgeber übernachtet. Der einzige katholische Bischofssitz Armeniens ist in Gjumri, der Vatikanbotschafter residiert in Tiflis im benachbarten Georgien.

religion.ORF.at/KAP

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