Dalits: Noch immer Menschen zweiter Klasse

In Indien gibt es nach wie vor Millionen, die wegen ihrer „Unberührbarkeit“ als Menschen zweiter Klasse leben müssen. Obwohl die Verfassung sie eigentlich schützt, werden die Dalits noch immer diskriminiert - aus vorgeblich religiösen Gründen.

Die Dalits, die früher „Unberührbare“ genannt wurden, müssen die schmutzigen, für Hindus auch rituell verunreinigenden Arbeiten für die Gesellschaft verrichten, etwa das Töten von Tieren und die Entsorgung bzw. Weiterverarbeitung der Kadaver. Etwa die Schuster- und Gerberkasten gehören dazu. Vor allem in ländlichen Gebieten gehört zu ihren Aufgaben auch das Einsammeln von Exkrementen.

Rituelle „Verunreinigung“

Dalits dürfen durch diese „Verunreinigung“ Tempel nicht betreten und nicht an Pujas, religiösen Ritualen der hinduistischen Mehrheitsgesellschaft, teilnehmen. Sie wohnen am Rand der Dörfer und haben häufig keinen Zugang zu Trinkwasser, weil sie nicht aus demselben Hahn Wasser holen dürfen wie die anderen. Dalit-Kinder werden der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) zufolge in der Schule häufig diskriminiert, wo sie sogar die Toiletten putzen müssen. Etwa 240 Millionen und damit fast ein Fünftel der indischen Bevölkerung gehören dieser Gesellschaftsgruppe an.

Dalit-Frauen in Uttar Pradesh

Reuters/Pawan Kumar

Dalit-Frauen in Uttar Pradesh beim Bearbeiten von Kuhdung

Alle Hindus werden bei ihrer Geburt in eine Kaste hineingeboren. Die vielen tausend Kasten (Jati) in Indien können den vier traditionellen Bevölkerungsschichten (Varna) zugeordnet werden. Die ersten drei - Brahmanen (Priester), Kshatriya (Krieger) und Vaishya (Händler) - gelten als Elite. Die Shudra bilden als Handwerker, landlose Bauern und Diener die „niedrigste“ Schicht - aber auch sie stehen weit über den „Unberührbaren“. Obschon die Diskriminierung der Dalits in Indien laut Verfassung seit 1949 verboten ist, sind sie von Gleichberechtigung meilenweit entfernt.

Diskriminierung auch im religiösen Bereich

Wie eine großangelegte Studie des Navsarjan Trust, einer Organisation, die sich für die Rechte der Dalits einsetzt, aus dem Jahr 2010 zeigt, ist die Diskriminierung de facto fast ungebrochen, auch im religiösen Bereich. Sanktioniert wird die Ungleichbehandlung im Hinduismus traditionell durch die heiligen Schriften, die Veden, das Bhagavad Gita und andere.

Die umfassende Studie, die in knapp 1.600 Dörfern im Bundesstaat Gujarat über vier Jahre hinweg durchgeführt wurde, ergab unter anderem, dass in 90 Prozent der untersuchten Ortschaften Dalits der Zutritt zu Tempeln verwehrt wurde. Dalits haben meist eigene Tempel und auch andere Gottheiten als die Varna-Angehörigen. In 96 Prozent der Dörfer hatten sie keinen Zugang zu Friedhöfen.

Massentaufe an Dalits in Indien

Reuters/Prashanth Vishwanathan

Massentaufe in Maharashtra: Viele Dalits traten zum Christentum oder zum Buddhismus über

Doch mache auch die Zugehörigkeit zu anderen „großen“ Religionen keinen Unterschied bei der Diskriminierung, so die Untersuchung. Ab dem 19. Jahrhundert traten zahlreiche Dalits zum Christentum über, in den 1930er und 1940er Jahren führte der erste Dalit-Politiker in Indien, B. R. Ambedkar, viele tausend der „Unberührbaren“ zum Buddhismus. Andere wiederum konvertierten zum Islam. Doch auch innerhalb der neuen Religionen blieben die Dalits oftmals isoliert.

Kasten dominieren das ganze Leben

Mahatma Gandhi (1869-1948) setzte sich für die „Unberührbaren“, für die er den Namen „Harijan“, („Kinder Gottes/Vishnus“) erfand, ein. Gesetze garantieren ihnen reservierte Studienplätze und Jobs im öffentlichen Dienst. Berufe sind vor allem in den Städten längst nicht mehr an Kasten gebunden.

Doch das Kastensystem determiniert bis heute den Alltag vieler Inder. Die meisten Menschen tragen die Zeichen ihres jeweiligen Lebensbereiches - Kleidung, Schmuck, Zeichen der Kaste - und sind somit oft auf den ersten Blick einzuordnen. Ebenso verrät der Name viel über die soziale und religiöse Zugehörigkeit. Dalits etwa haben oft nur einen Namen. Zudem ist jeder Mensch einer klar umrissenen Ordnung festgelegter und sorgfältig befolgter Normen und Tabus unterworfen.

Extreme Gewalt bei „Übertretung“

Was man essen und nicht essen, was man suchen und was man meiden, mit wem man verkehren, speisen und sich verheiraten soll, all diese persönlichen Angelegenheiten sind genau geregelt, und sowohl versehentliche als auch absichtliche Übertretungen werden streng und oft mit extremer Gewalt geahndet. Passiert eine „Übertretung“ der rituellen Vorschriften, wodurch jemand durch einen Dalit „verunreinigt“ wird (dazu reicht es etwas schon, wenn ein „Unberührbarer“ auf den Schatten einer anderen Person tritt), wird Letzterer zur Rechenschaft gezogen.

Absichtliche „Übertretungen“ wie Eheschließungen und Beziehungen zwischen Dalits und Mitgliedern der „höheren“ Kasten enden nicht selten mit dem Tod eines oder beider Partner - so geschehen etwa im März dieses Jahres, als ein Student im Bundesstaat Tamil Nadu ermordet wurde, weil er eine Frau aus einer höheren Kaste geheiratet hatte. Seine 19-jährige Ehefrau wurde bei dem Überfall schwer verletzt. Auch viele der mittlerweile vielbeachteten (Massen-)Vergewaltigungen werden von „Höhergestellten“ an „unberührbaren“ Frauen und Mädchen begangen - manchmal als „Strafe“ für die ganze Gruppe der Dalits.

religion.ORF.at/APA/dpa/AFP

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